Sport

Alfred Riedl: "Unser Hotel wird streng bewacht"

Schwer bewaffnete Soldaten beim Training und Spieler, die sich gerade erst bei Alfred Riedl vorgestellt hatten: Unter ungewöhnlichen Voraussetzungen coachte der 66-jährige Österreicher die Nationalmannschaft des größten muslimischen Landes der Welt. Indonesien gewann unter Riedls Regie im ausverkauften Stadion von Solo (Ost-Java) das erste Länderspiel nach Aufhebung der FIFA-Sperre gegen Malaysia unerwartet mit 3:0.

KURIER: Sie waren Teamchef von acht Ländern und sind zum vierten Mal in Indonesien. Was kann Sie da noch überraschen?

Alfred Riedl: Dass ich erstmals praktisch ohne Vorbereitung in ein Ländermatch gehen musste. Und dass ich maximal zwei Spieler von einem Klub nehmen darf. Dieses Arrangement wurde getroffen, weil zugleich Meisterschaft gespielt wird. Der Liga-Kalender war während der FIFA-Sperre beschlossen worden.

Ist nicht ohnehin Badminton der Number-One-Sport im 247-Millionen-Menschen-Land?

Badminton ist beliebt, aber Fußball ist die Nummer eins. Obwohl Kinder keinen Platz zum Kicken haben. Zu überfüllt sind Straßen und Plätze. Auch gibt es nur 700 Vereine in dem Riesenland. In Österreich sind’s über 2000.

Barack Obama bezeichnete Indonesien als muslimische Musterdemokratie. Mittlerweile aber häufen sich Meldungen von IS-Bedrohung im Inselstaat. Merken Sie etwas davon?

Man ist vorsichtiger geworden. Unser Hotel wird streng bewacht. Beim Training standen Soldaten mit Maschinengewehren auf der Laufbahn.

Abseits vom Fußball – stellen Sie Unterschiede gegenüber 2010 fest, als Sie erstmals Indonesiens Teamchef wurden?

Der Verkehr wird extremer. Wer ins Auto steigt, sollte davor eine Toilette aufsuchen. Denn es kann sein, dass man drei Stunden nicht dazukommt. Ich riskiere keine Ausfahrt ohne Chauffeur. Obwohl die Menschen unglaublich gelassen sind. Es wird kaum gehupt.

Nehmen Sie im Training Rücksicht auf die Religion?Wir trainieren um 8.00 Uhr früh. Wegen der Hitze, nicht wegen der Religion. Wenn der Muezzin ruft, kann jeder beten. Ich hatte nirgendwo mit muslimischen Spielern Probleme.

Sind die Verhaltensregeln ähnlich streng wie in arabischen Staaten?

Ich empfinde die Indonesier als moderate Moslems. Anders als in Saudi-Arabien, den Emiraten oder im Iran sind auch Frauen im Stadion. Sogar viele. Die machen 90 Minuten lang Lärm, richtige Folklore-Stimmung.

Wie kommunizieren Sie mit den Spielern?

Englisch. In Marokko und Vietnam klappte es seinerzeit auch mit Französisch. In Indonesien beherrschen meine Helfer Wolfgang Pikal und Hans-Peter Schaller auch etwas Bahasa.

In Vietnam galten Sie als Volksheld. Wie hoch ist Ihr Bekanntheitsgrad in Indonesien? Können Sie sich frei bewegen?

Nach dem einzigen kurzen Teamtraining haben sich Menschentrauben gebildet. Jeder will ein Foto mit einem machen. Und wenn man weiße Haare und eine lange Nase hat und 1,84 Meter groß ist, gelingt’s einem schon gar nicht, nicht aufzufallen.

Entspricht der Weltranglisten-Platz 191 der Spielstärke oder könnte Indonesien Österreich in Verlegenheit bringen?

Auf den 191. Platz ist Indonesien wegen der Sperre abgerutscht. Indonesien ist besser. Aber nicht stabil genug, um in Europa der Wucht einer österreichischen Nationalmannschaft zu widerstehen. In Indonesien könnten wir die Österreicher aber ein bissel ärgern.

Wie verschaffen Sie sich in dem Riesenland Überblick über die Spieler? Via Fernsehen? Oder werden Sie zum Inselhüpfer?

Flugangst darf man keine haben. Meine Assistenten und ich haben 55 Spiele live und 45 im TV gesehen.

Der Nordwestzipfel Indonesiens soll radikal islamistisch und das Straßenbild von Burka-Trägerinnen dominiert sein. Wird dort Fußball gespielt?Ich war noch nicht dort. Ich weiß nur, dass dort die Scharia gilt. Und dass es einen Zweitligaklub gibt. Aber der Fußball ist dort nicht das Problem. Die Bandbreite der Kulturen ist gewaltig in dem großen Land. Ich bin über die unterschiedlichsten Lebensformen immer wieder aufs Neue überrascht. Bei den Papuanern ganz im Osten zum Beispiel überlegt man die Einführung eines totalen Alkoholverbots. Weniger wegen des Islam, sondern weil das Trinken ein ganz massives Problem wurde.

Sie waren Sportdirektor im Iran, Teamchef in Palästina, Vietnam, Laos und Kuwait, als dort der Krieg begann. Sie coachten Klubs in Ägypten und den Emiraten. Wo war es am schwierigsten? Wo hatten Sie Angst? Nirgends. Ich war zwar Teamchef von Palästina, aber nie dort, weil auch die Heimspiele außer Landes – meist in Katar – ausgetragen werden mussten. In Kuwait haben meine Frau und ich in der Botschaft schon Gasmasken bekommen, aber dann, als Saddam Hussein ernst machte, mit dem letzten Flugzeug noch das Land Richtung Dubai verlassen.