Race Across America: 8 Tage durch die Hölle
4860 Kilometer und 50.000 Höhenmeter von der Westküste der USA zur Ostküste. Wer diese Strecke in weniger als acht Tagen zurücklegt, fährt jeden Tag mehr als 600 Kilometer. Über Highways und Passstraßen, durch 50 Grad heiße Wüsten und bei Minusgraden über die Berge.
Auch der Österreicher Christoph Strasser bewältigt diese Strecke in etwa acht Tagen. Mit dem Fahrrad. Der 30-Jährige hat zum zweiten Mal nach 2011 das härteste Radrennen der Welt gewonnen. Nonstop fahren die härtesten Ausdauerathleten von San Diego in Kalifornien nach Washington D.C.
Schlafentzug
Wer zu lange schläft, verliert Zeit. Wer gar nicht schläft, verliert das Rennen. „Weniger schlafen zu müssen heißt, weniger Zeit zu verlieren. Darum geht es“, sagte Strasser während der Fahrt in einem Interview mit ORF.at.
75 Minuten dauert eine der wenigen Pausen. 60 Minuten davon kann Strasser schlafen, der Rest ist Ausziehen, Anziehen, Massieren, Pflegen. Je besser das Betreuerteam eingespielt ist, desto schneller sitzt er wieder auf dem Rad. Auch bei einem Rennen über acht Tage zählt letztlich jede Minute. Etwa 25 km/h beträgt Strassers Durchschnittsgeschwindigkeit über die 4860 Kilometer– alle Schlafpausen mit eingerechnet. Ein Tempo, das ein untrainierter Hobbyradfahrer nur wenige Minuten durchhalten kann.
Schon ziemlich angeschlagen war Strasser vor den letzten 250 Kilometern. Immer wieder setzte Regen ein, bei einem Sturz zog er sich Abschürfungen am Knie zu. Der Schlafentzug führt zu veränderten Sinneswahrnehmungen. Kurze Glücksmomente wechseln ab mit zermürbenden Zweifeln. Die Crew im Pace Car motiviert ihn über Lautsprecher. Um die Müdigkeit zu bekämpfen, wurde die Lichtfarbe von Strassers LED-Scheinwerfer genau auf seine Bedürfnisse abgestimmt.
Gesundheitsgefahr
Harsche Kritik an solchen Extremveranstaltungen kommt vom Wiener Facharzt für Unfallchirurgie und Sporttraumatologie Reinhard Weinstabl: „Auch wenn die Sportler gut vorbereitet sind, ist so eine Belastung schwerster Raubbau am Körper.“ Langfristig drohten Gelenks-, Muskel- oder Knorpelschäden. Im Extremfall könne es gar lebensgefährlich werden. „Es kann zum Herzinfarkt kommen. Sollte zu wenig Wasser aufgenommen werden, auch zum Nierenversagen. Außerdem kann sich durch das lange Sitzen ein Thrombos bilden, der zur Lungenembolie führt.“
Leiden wird auch die Psyche. „Schlafentzug führt zu psychischem Druck. Denn zuerst schüttet der Körper Glückshormone aus, die den Schmerz ausblenden. Verschwinden diese, entstehen Depressionen.“ Außerdem sei erwiesen: „Es gibt viele Extremsportler, die ähnliches gemacht haben und danach monatelang an Schlafstörungen gelitten haben.“
Doch der Mensch sucht seine Grenzen, die extremsten von ihnen erreichen sie auch. Indem sie den Gipfel des Mount Everest ohne Sauerstoff erklimmen, alleine um die Welt segeln – oder eben in acht Tagen auf einem Fahrrad die USA durchqueren.
Eine Million Kurbelumdrehungen, 150.000 verbrauchte Kalorien, 4925 Kilometer, 23.000 Höhenmeter, 9 Tage, 7 Stunden und 9 Minuten. Franz Spilauer war 33 Jahre alt, als er 1988 diese Höllenqual auf sich nahm. Damals wurde ein solches Unterfangen in die Kategorie Irrwitz eingeordnet. „Die haben mich doch alle für verrückt erklärt, ohne es mir ins Gesicht zu sagen“, erinnert sich der Niederösterreicher. So ist das eben mit Pionieren …
Samstag feiert Franz Spilauer den 25. Jahrestag seines Sieges beim Race Across America, dem auch heute noch härtesten Radrennen der Welt. Inzwischen haben es viele dem verrückten Franz nachgemacht. Bei der heurigen 31. Auflage des RAAM waren sieben Österreicher am Start.
Spilauer ist heute 58, ist erfolgreicher freier Unternehmer im Fahrrad-Fachhandel und organisierter Trekking-Touren mit Schwerpunkt im von ihm so geliebten amerikanischen Westen. Er selbst lebt nach wie vor im Irenental bei Purkersdorf in Niederösterreich.
Nach seiner ersten Teilnahme 1987, bei der er sensationell den dritten Platz belegte, schrieb Spilauer ein Buch mit dem Titel „Gerädert“. Ein Jahr später durfte er sein zweites Buch „Spilauer 2 – Sieg im härtesten Radrennen der Welt“ nennen.
Beide Bücher waren überraschend erfolgreich, Spilauers Dia-Vorträge in ganz Österreich fanden enormes Interesse. Glückliche Fügung, dass der Trend zu extremen Ausdauerleistungen gerade begonnen hatte.
Für den Erfolg bedurfte es einer professionellen Vorbereitung, die vom früheren ORF-Mann Thomas Blazek organisiert worden war. Jener wäre gegen Ende des Rennens fast kollabiert, als Spilauer von Halluzinationen gezeichnet in den Hügeln von West Virginia plötzlich umdrehen und nach San Francisco zurückfahren wollte. Doch schließlich durfte sich das Team in Washington D. C. vom österreichischen Botschafter empfangen lassen. Spilauer war 1988 der erste nicht-amerikanische Sieger des heutigen Klassikers. Nur 14 der 39 Teilnehmer erreichten das Ziel.
„Es war ein Rennen im roten Bereich“, sagt Spilauer heute. „Ich habe damals keinen Meter bereut – und heute tu’ ich das schon gar nicht.“