Tango- eine schöne Frau lernt ihn relativ schnell
Von Hannah Grandits
"Was mir am Tango so sehr gefällt? Am meisten mag ich, dass es beim Tangotanzen so sehr um den einzelnen Moment geht, dass ich jeden Moment selbst gestalten kann“, erzählt ein Tangotänzer aus dem Wiener Burggarten. Dort treffen sich immer wieder Tänzer zu Open-Air Milongas (Tango-Tanzveranstaltungen). Tatsächlich ist der Tango Argentino im Gegensatz zum europäisierten Standard-Tango ein völlig improvisierter Tanz. Die Musik ist nicht starr, sondern sehr abwechslungsreich- beim argentinischen Tango gibt es verschiedene Taktarten und Tempi, denen sich der Mann als Führender anpassen muss. Das macht seinen besonderen Reiz und seine besondere Schwierigkeit aus. „Das schwierigste ist das gemeinsame Gehen, manche Paare brauchen dafür 30 Jahre“, lacht der Tangotänzer. „ Aber eine schöne Frau, die von vielen Männern zum Tanzen aufgefordert wird, wird das Tangotanzen relativ schnell lernen- und begreifen, worum es dabei eigentlich geht.“
Getanzte Einsamkeit
Und worum geht es beim Tango? „Dieser Tanz ist sexuell und aggressiv. Er vermittelt gleichzeitig aber auch Einsamkeit und Melancholie. Das ist es, was ihn so anziehend und zu einem auf der ganzen Welt bekannten Tanz gemacht hat“- so eine junge Tänzerin. Der argentinische Tango ist ein Tanz, der vor etwa 150 Jahren in Argentinien und Uruguay entstanden ist. Dorthin zog es zwischen 1880 und 1930 rund 6 Millionen Einwanderer aus Europa, die sich angelockt von großen Einwanderungsprogrammen der argentinischen Regierung ein besseres Leben erwarteten. In Südamerika gelang es vielen jedoch nicht, Fuß zu fassen und unzählige emigrierte Arbeiter lebten deshalb arbeitslos in großen Städten wie Buenos Aires. Dort mangelte es ihnen an allem: Es gab kein Geld, keine Familie, keine Arbeit , keine Zukunftsperspektiven und zu allem Unglück fehlte es auch noch an Frauen. Die Männer begannen daher in Bordellen miteinander und mit den Prostituierten zu tanzen. Der Tanz, der dabei entstand, machte sich ihren „Macho-Stolz“, ihre ganze Einsamkeit und Sehnsucht zu Eigen und wurde mit der Zeit zu dem Tango, den wir heute kennen. So erinnert etwa der Tango de Roxanne im verfilmten Musical Moulin Rouge an die Ursprünge im Bordell. Die „importierte“ Musik der europäischen Einwanderer, vor allem spanische und italienische Lieder, vermischten sich in Buenos Aires mit den Melodien und Rhythmen anderer Völker. Tänze afroamerikanischen Ursprungs wie die Habanera oder der Candombe beeinflussten die Entwicklung des Tango ebenso wie europäische Musikstücke. Deshalb ist der Tango– mindestens zur Hälfte – ein afrikanischer Tanz.
Kein Wunder, dass die feine Gesellschaft einen Tanz, der aus einem Milieu der Kleinkriminalität, Prostitution und Verzweiflung hervorgegangen war, erst als anrüchig abtat. Erst als im Laufe des 20 Jahrhunderts berühmte Tango-Sänger und Komponisten wie Carlos Gardel oder Astor Piazzolla überall bekannt wurden und die Welt von einem ungeheuren Tango-Wahnsinn ergriffen war, konnte sich auch die Upper Class nicht mehr gegen den Tango sträuben. Als sich 1924 ein Kardinal in den Kopf setzte, den Tango zu verbieten, löste das bei den feinen Leuten in Wien große Aufregung aus…
Trip Hop und Bandoneon
Mit einigen Unterbrechungen hält dieser Tango-Wahnsinn bis heute an. In den 150 Jahren seit seiner Entstehung haben sich neue Stilrichtungen entwickelt. Viele (junge) Tangotänzer tanzen heute den Tango Nuevo (oder Neotango). Dabei wird die charakteristische „Tangoumarmung“ aufgebrochen, die enge Tanzhaltung bewusst geöffnet, damit sich die Tänzer anschauen können und Elemente und Schritte aus anderen Tänzen eingearbeitet. Beim Tango Nuevo wird traditionelle Tangomusik mit moderner Musik gemischt, man hört also die Klänge des Bandoneons neben Electro Beats. Sehr bekannt dafür ist beispielsweise die französische Electrotangogruppe Gotan Project, die 2003 den World Music Award verliehen bekam oder die junge belgische Musikgruppe El Juntacadaveres, die die langsamen Rhythmen des Trip-Hop mit dem Tango verbindet.