Roma und Sinti wehren sich gegen Vorurteile.
Von Silvia Kluck
Ist Wien nun die östlichste Stadt im Westen oder die westlichste Stadt im Osten? Wien ist das Multi-Kulti Zentrum im deutschsprachigen Raum. Auf der Donauinsel campieren philippinische Großfamilien, auf dem Naschmarkt verschenken türkische Marktschreier alles an kandierten Früchten und an der Uni irren deutsche Studenten herum, die am österreichischen Dialekt verzweifeln. Wien ist ein Flickenteppich, bestehend aus allen möglichen Nationen, Kulturen und Volksgruppen. Zu diesen zählt auch die Gruppe der Roma und Sinti. Andrea Härle, Geschäftsführerin von „Romano Centro - Verein für Roma“, sagt, dass die soziale Lage, sprich Bildungs- und Arbeitssituation der Roma und Sinti in Wien deutlich schlechter ist als die der anderen Migrantinnen und Migranten.
Hintergrund ist: Die Roma haben seit Jahrzehnten mit Klischees zu kämpfen, die sich im Laufe der Zeit auch noch gefestigt haben. Das typische Zigeuner- und Zigeunerinnenbild zeigt herumstreunende Gruppen in großen Wägen, die falsche Geschäfte treiben und deren Frauen sämtliche Männerphantasien erfüllen. Dies ist eine reine Fehlinterpretation. Denn der abwertende Begriff Zigeuner ist lediglich eine Beschreibung für eine bestimmte Lebensweise ist, darunter fallen viele Gruppen, beispielsweise auch Bettler. Um diesen Klischees entgegenzuwirken und Antiziganismus, die Zigeunerfeindlichkeit, effektiv zu bekämpfen, appelliert Andrea Härle: „Gerade im Bereich Antiziganismus ist noch viel zu tun. Es geht darum, nachzufragen und nicht gleich etwas zu unterstellen. Dies ist eine Grundhaltung, die in der Schule unbedingt vermittelt werden muss.“
„Romano Centro“ ist eine Anlaufstelle für Familien, verfügt über einen Pool von Trainern und Trainerinnen, die alle selbst Rom oder Romni sind und arbeitet bereits am zweiten Antiziganismusbericht, der im November 2015 erscheinen soll. „Informieren und entgegentreten, den Leuten sagen, was Sache ist und im schlimmsten Fall klagen“, lautet der Rat der Expertin.
Im Interview spricht Willi Horvath, selbst Rom, über die Geschichte seiner Familie und welche Probleme es zu lösen gibt. Sein Statement über sich selbt: „ Ich bin Wiener und bleibe Wiener!“
KURIER: Wie lange leben Sie schon in Wien?
Willi Horvath: Bereits seit 49 Jahren. Meine Familie ist damals aus Szombathely über die ungarische Grenze eingewandert und hat sich im Mühlschüttel, Floridsdorf, festgesetzt. Meine Leute waren typische Lovara, eine Untergruppe der Roma. Der Begriff Lovara stammt aus dem Ungarischen und bedeutet Pferdehändler. Daher gehören meine Leute nicht zu den herwandernden Zigeunern, weil die Ware Pferd zum Herumziehen eher ungeeignet ist. Die meisten Familienmitglieder blieben im Mühlschüttel, einige wenige wanderten in andere Bezirke. Heute zählt meine Familie noch knapp 80 Leute.
Wie sehr haben Sie mit Klischees zu kämpfen?
Wir hatten nie das große Problem, als Zigeuner richtig abgewiesen zu werden. Klischees sind vorhanden und haben immer einen wahren Kern. Meine Familie ist zwar auch mit Klischees konfrontiert worden, allerdings nicht so extrem. Weil sie Händler waren, hat meine Familie immer schon akzentfrei deutsch gesprochen, denn wenn du ein Pferd verkaufen willst, musst du Deutsch können. Auch trugen meine Leute immer Sakko und Hut, haben sich benommen wie Geschäftsleute. Später arbeiteten sie dann als Teppichhändler, da musste man einfach gepflegt auftreten. Das Anpassen an die Gesellschaft war bei uns beruflich bedingt - und nie ein großes Problem.
Was ist das größte Problem der Roma und Sinti? Die Bildung.
Worauf ist das zurückzuführen? Die Generation, die im KZ aufgewachsen ist, durfte nicht lernen oder Schulen besuchen. Es hieß: „Zigeuner ausgesondert, bleib zuhause.“ Und nach dem Krieg wollten die Leute nichts lernen, denn sie mussten ihre Häuser wieder aufbauen, ihre Kinder versorgen und an Geld kommen. Zusätzlich gab es noch immer den großen Hass und die Angst, die noch aus KZ-Tagen stammt. Mit der Zeit haben sich unsere Leute verschlossen, wollten mit der Mehrheitsgesellschaft nur das Allernotwendigste zu tun haben. Und daher haben wir bildungstechnisch einiges aufzuholen.
Was haben Sie bildungstechnisch geplant?
Wir haben mehrere Projekte geplant. Zum Einen gibt es ein Bildungsprojekt des Vereins der Lovara Österreich, wo junge Leute ausgewählt und geprüft werden sollen, um sie auf Hochschulen zu bringen. Und zwar mit folgendem Hintergedanken: Es soll Rom und Romni geben, die mit der Identität „Ich bin Rom“ für ihr Volk in ihrem Job eintreten.
Wie setzen Sie sich für ihre Volksgruppe ein?
Ich habe vor, mithilfe des Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstands, ein Buch über die Roma in Wien zu schreiben, wo ich unter anderem einen Familienstammbaum erstellen werde. Außerdem (schmunzelt) werden wir ein Kochbuch mit typischen Kesselgerichten der Lovara schreiben, um unsere Traditionen weiterzugeben.