Leben/Reise/Astana

Kohle und Kupfer unter fremden Sternen

Heute ist Karaganda der zweitwichtigste Industriestandpunkt in Kasachstan nach Almaty.

Harry Gangl & Sieglinde Spanlang
über die Geschichte der Kohle

Nach einem hervorragenden Abendessen im Tomiris Restaurant hoch über den Dächern Astanas, führt uns am frühen Morgen der Weg aus Astana hinaus und bei gesalzenem trockenen Fisch aus dem "Chipssackerl" - aber doch eben mal was anderes als diese welche -geht's "relativ" ;-)) flott - wenn nicht gerade wohlbeleibte Ordnungshüter an ihren beschrankten Posten - mit ihren Signalstäbchen wachelnd auf "Mittagskörberlgeld" spekulieren - auf einer diesmal (fast) makellosen Straße Richtung Süden durch die scheinbar nie enden wollenden, goldgelb leuchtenden Steppen Kasachstans, die hin und wieder von grünen Hügeln durchzogen werden. Auf diesen Kuppen sind meist Friedhöfe eingebettet, die wie arabische Dörfer in Miniaturform pittoresk auf uns herabblicken.

Es heißt jetzt dringend tanken inklusive unserer beiden 20 Liter Kanister, zumal im nachfolgendem Gebiet der Diesel knapp und die Tankstellen sehr rar sein werden, meist wird dort überhaupt nur mehr 92 Oktan Benzin verkauft. An dieser Tankstelle gibt's aber sogar Winterdiesel (der Tankwart beantwortet uns so die Frage nach dem teureren mit einem gelangweilten "Sima" - also Winter - wir dachten, es sei der Unterschied zwischen LKW und PKW Diesel - was einem bei den jetzigen Temperaturen um die 40 Grad (zumindest in der Ebene) ein Schmunzeln auf die Lippen zaubert. - An die kirgisischen Berge hab ich dabei noch nicht gedacht. ;-))) Das Einfüllen in den Tank - so haben wir es entwickelt, geht übrigens weit effektiver und schneller mit einer präparierten 2 Liter Plastik Flasche, als mit dem dazugehörigen original Aluminium Einfüllstutzen...

Schon vor der Einfahrt nach Termitau und Karaganda sehen wir von weitem aus schnaufend, stampfenden Fabriken schwarzen Rauch aufsteigen, ein Hinweis darauf, dass wir uns in den Reichen des schwarzen Goldes befinden....Gegründet wurde Karaganda Mitte des 19. Jahrhunderts eigentlich als Siedlung für die Gewinnung von Kupfer. Der damals sehr kleinräumige Kohleabbau diente zur Belieferung der nahegelegenen Kupferhütte. Unter Stalin begann erst die großräumige Erschließung der Kohlelagerstätten und der Aufbau der Stadt im Wesentlichen durch zahlreiche Häftlinge.

Erst 80 Jahre später entstanden in Karaganda ein gigantischer Industriekomplex und eine städtische Zivilisation.

Laut dem berühmten Schriftsteller Alexander Solschenizyn war Karaganda - sein von mir sehr empfohlenes Hauptwerk "Der Archipel Gulag" beschreibt sehr treffend und detailliert - die größte Provinzhauptstadt der sowjetischen Zwangsarbeitslager zur systematischen Ermordung von Zwangsarbeitern.

In den Lagern Karaganda Dolinka, Saraner, dem Wiesen- und Sandlager zum Wohnungsbau und dem Sonderlager Spasski waren zwischen 1931 und 1955 bis zu 150.000 Menschen.

Darüber hinaus bestand in Karaganda das deutsche Kriegsgefangenenlager für des II. Weltkriegs, das 1949 in eines der Sonderlager des Gulag umgewandelt wurde.

Am 22. Oktober 1962 erlitt Qaraghandy - die kasachische Bezeichnung - den stärksten elektromagnetischen Impuls, der jemals in der Geschichte beobachtet werden konnte, ausgelöst durch eine sowjetische Kernwaffe von 300 Kilotonnen bei 290 Kilometern Höhe über Schesqasghan, dessen Gammastrahlung ein 1.000 Kilometer langes flaches Energiekabel mit einem Strom von 2.500 Ampere überlastete das elektrische Kraftwerk der Stadt Feuer fing und alle Sicherungen der Stadt durchbrannten.

Heute ist Karaganda der zweitwichtigste Industriestandpunkt in Kasachstan nach Almaty. Vor allem die riesigen Kohlevorkommen haben ihr diesen Status auf Jahrzehnte gesichert. Hier hat auch das jedermann bekannte Kohlebergbauunternehmen Schubarkol Komir seinen Hauptsitz und betreibt selbst etliche Kohlebergwerke.

Und wer mich kennt, weiß, dass ich es mir nicht nehmen lassen würde, ein solches - in dem Fall ein stillgelegtes - näher begutachten zu wollen, alles ganz genau zu betrachten und den hohen Förderturm hurtig zu erklimmen, wenngleich auch die schwindelerregenden, in der Luft "schwebenden" Leitern da rauf etwas wackelig und porös wirken...doch es zahlt sich allemal aus, das gewaltige Schwungrad an der Spitze beeindruckt, wie auch der grenzenlose Blick über das Land...entlang der Straße reiht sich eine Mine an die andere, ja man stolpert unentwegt über die Kohle und beim Fotografieren der Minen könnte ich gleich nebenbei tonnenweise "Augen" für die hoffentlich nicht so bald kommenden Schneemänner daheim mitnehmen...

Nach einem Abstecher in die Heilige Wwedenski Kathedrale, deren Baustelle auch durch das Oberhaupt Patriarch Alexizs II. besucht und schließlich 1998 eröffnet wurde, wo am Eingang Frauen ihrem Gebet nachgehen und sich vor Eintritt die Arme und Beine mit Wasser aus der Flasche reinigen.

Wir nähern uns - die Bahntrasse überquerend (die Wärterhäuschen neben jedem Bahnübergang sind übrigens rund um die Uhr besetzt), die uns, wie die unzähligen "Ryba" also (geräucherten und Frisch-) Fischverkäufer entlang der Straße - und die uns schon länger ostwärts begleitet - dem heutigen Übernachtungsplatz, ans Südufer des 18.000 m2 großen, 620km langen und bis zu 26m triefen Balchaschsee (Sumpf - See), mit länglicher Sichelform.

Bemerkenswert ist, dass sein Ostteil stark salzhältig ist, der Westteil aber Süßwasser und beiderlei Fische darin leben können. Der niedrige Salzgehalt des Westteils wird durch seine großen Zuflüsse und durch den geringen Wasseraustausch zwischen West- und Ostteil verursacht.

Der Nordeingang des Sees ab Balkhash - die Stadt wurde 1937 als Industriestadt rund um das metallische Kombinat - gegründet, ist ja berühmt für seine reichhaltigen Kupfervorkommen - beginnt bei der Einfahrt durch die bereits tiefstehende Sonne in allen Rottönen zu schillern. Sogar die Straße färbt sich jetzt rostbraun.

Es wird eine Nacht im Freien, diesmal ohne Zelt auf der - mit dem 12 Volt Stecker des Touareg bequem - aufblasbaren Matratze, den Liegematten oben drauf und den Schlafsäcken unterm Sternenzelt...Prinzessin ohne Erbse und dazu Festbeleuchtung könnte man's abkürzen ;-))

Ich steh noch um 2:00 Uhr an der Klippe unter Millionen, wie Diamanten glitzernden Sternen, genieße den lauwarmen Wind, der sich um den Körper schmiegt, seh auf den stillen, spiegelglatten See hinaus, in dem hie und da ein Fisch im Mondlicht konzentrische Kreise malt und halte mir vor Augen, dass ich 1000e Kilometer von der Heimat entfernt, irgendwo fernab unserer M36 Route zwischen Priozerk und Bishkek - wo die Gegend keinen Namen mehr trägt - in Südkasachstan unmittelbar an der kirgisischen Grenze im Freien an einem wunderschönen Fleckchen Erde auf einer Klippe übernachte.

Es ist ein Gefühl von Freiheit und Weite - von unendlicher Unbekümmertheit in einem Raum, der sich nur schwer beschreiben lässt. Es ist das genaue Gegenteil, von dem, was ich noch vorgestern in der "strahlenden Stadt" Kurtschatow gespürt habe. In direkter Nähe hört man allerlei Tiere ihre Runden ziehen, es gibt hier noch Wölfe, Wildschweine, Pelikane, Wildkatzen und allerlei sonstiges Getier, am Abend bei Fackeln und Zitronella Kerzen, flogen faustgroße Libellen mit knisternden Flügelschlägen wie Fledermäuse über uns hinweg und Eidechsen kreuzten neugierig am Boden auf und ab, um einen Happen zu ergattern, während die gefüllten Paprika am Kocher dahin brutzeln und der halbsüsse 2013er Kindsmarauli aus Georgien hervorragend mundet...um vier beschließe ich dann aber doch noch, mich in meinen Schlafsack zu knuddeln, die Sterne zu betrachten, an daheim und meine Lieben zu denken und ein wenig zu schlafen...;-) und sag deshalb jetzt gute Nacht oder wie's heute bei Bergwerkskumpeln Tradition war: Glück auf!

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