Leben/Reise

Südtirols Herz pocht am Puls der Zeit

Südtiroler Wein, ladinische Kultur, italienisches Klima, österreichische Wurzeln und etwas Dolce Vita – die Mischung macht den Meister. Jodelnde Bauernburschen, Ziehharmonika, Schüttelbrot, Blasmusik und verfallene Almhütten waren gestern. Das moderne Südtirol findet woanders statt. Nämlich in den Köpfen der dreisprachigen Bevölkerung. Und steht dabei ganz stolz da. Wie etwa ein Dreieck aus Glas und Beton – ein Weinkeller in Tramin. Oder die imposante Feuerwehreinfahrt aus Eisen, direkt in den Felsen gebaut in Magreid.

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Oder auch der große Würfel aus Glas, mitten in Bozen, das beliebteKunstmuseum Museion. Aber nicht nur die Architektur der futuristischen Weingüter, Scheunen und Museen zeugt von einem neuen Selbstbewusstsein unter den Architekten. Immer mehr schwindet auch dieses traditionelle Bild:idyllische alte Bauernhöfe, Almen, Kühe, Zirben, daneben ein altes Kircherl. Soll denn alles ewig so bleiben wie zu Andreas Hofers Zeiten? Oder ist jetzt endlich Platz für die Zukunft? Zum Glück haben sich die Südtiroler selbst diese Frage nie gestellt. Sie machen einfach Neues.
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Der Wandel der autonomen Provinz vom heroischen Luis-Trenker-Image zu internationaler Bedeutung in Design, Kunst und Kultur in Richtung Web 3.0 ist längst vollzogen. Egal ob bei Kultur-Touren oder Natur-Erlebnissen – Südtirols Charme zieht Touristen aus der ganzen Welt an. Mit der Stille des nächtlichen Sternenhimmels in den Dolomiten ist die Zukunft auf Gipfel, Almen, in Täler, Städte und Dörfer unbemerkt eingezogen. Heute suchen die meisten Einheimischen nicht mehr „eine Hütte über der Lärmgrenze“ zum Abschalten, wie ein gestresster Fernsehjournalist in Tim Parks Roman „Stille“. Sie steigen lieber von hoch oben herab. Um aufs Neue aufzusteigen. Wie etwa der Pustertaler Markus Lanz. Der sich nach seiner Ausbildung zum Gebirgsjäger zum „Wetten, Dass ...“-Moderator gewandelt hat. „In Südtirol ist alles zu finden, was sonst in der Welt weit auseinanderliegt“, sagte er in einem Interview mit „Die Welt“. Genau – so sehen es bestimmt auch andere weltbekannte Südtiroler, wie der Komponist Giorgio Moroder oder die Künstler Gilbert & George. Ganz egal, ob sie heute in London oder Mailand arbeiten, Südtiroler lieben ihre Heimat. Womit wir auch schon bei der Frage sind: Was ist das Besondere an einem Land, dessen Bewohner selbst es als „liebenswerteste Region Europas“ bezeichnen? Und das mit seinen atemberaubenden Naturkulissen, wie mit dem UNESCO-Weltnaturerbe Dolomiten, so viel Kraft und Kreativität versprüht, dass es offenbar nicht nur erfolgreiche Köpfe produziert, sondern auch wirtschaftlich, vor allem durch Tourismus und Landwirtschaft, boomt.
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Das Geheimnis Südtirols liegt in seinen Gegensätzen. Oder in deren Verschmelzen. Oben im Norden 3.342 Meter hohe Kalkfelsen, Geröll und Zirben – Palmen, Thermen, Weinreben und 60 Millionen Apfelbäume im Süden. Und das Beste daran: Wer will, erreicht beides innerhalb ein paar Stunden Auto- oder Zugfahrt. Und die Menschen selbst? Sind sie Grenzgänger? Zumindest aus der Geschichte heraus würde das ein wenig das Widersprüchliche, Kreative, erklären. Sagt vielleicht deswegen auch der junge upcoming Star unter den Interior-Designern, der Meraner Martino Gamper: „Meine Stühle sind selten bequem, aber man kann darauf sitzen“? Aber bitte, sein Erfolg gibt ihm Recht. „Südtirol, wir tragen deine Fahne“, singt hingegen wiederum Frei.Wild provokant. Die junge Band aus Brixen rockt zwar international erfolgreich, unterstützt aber mit dem Erlös regionale Kinderdörfer.
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Wer eine Reise in unser Nachbarland wagt, gewinnt. Egal, ob er oben im Norden in einer schicken Mountain-Lodge das Bergpanorama genießt, oder sich in der futuristischen Architektur Arnold Gapps, bei Reinhold Messners Mountain Museum im südlichen Bozen wiederfindet. Für den Kronplatz wird gerade das nächste Museum geplant: von Star-Architektin Zaha Hadid. Oder man verkostet im Vintschgau in einem modern umgebauten Weingut, etwa beim kunstsinnigen und biodynamischen Winzer Alois Lageder, den lokalen Lagrein und gibt sich im schicken Hotel-Palace-Spa von Design-Star Henri Chenot oder der Therme Meran, neuen Badefreuden hin.
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Fast immer begeistert die Einheit von moderner Architektur, homogen in die Natur eingepasst, sowie die Offenheit der meisten der über einer halben Million Einwohner. Zwischen Sterzing und Leifers, Glurns und Bruneck wird Immer öfter der Titel von Robert Zemeckis Trilogie „Zurück in die Zukunft“ auch zum Rezept für heimischen Erfolg. Lust auf Schweinskopf-Zwetschken? Oder auf Graukäse-Risotto? „Südtirol-Menü“ nennt der Ahrntaler Norbert Niederkofler eine Variante seiner bekannten Köstlichkeiten im kleinen Restaurant St. Hubertus, im Relais & Châteaux Hotel Rosa Alpina in St. Kassian. „Wenn wir unseren Kindern etwas dalassen wollen, müssen wir anfangen, wieder das wertzuschätzen, was früher einmal war. Die Bauern müssen wieder das tun, was sie früher gemacht haben: produzieren“, sagt der gefragte Sterne- und Haubenkoch und verkocht ausschließlich regionale Produkte.

Wer das auch entdecken will, speist obiges Menü nach einem Pferdetrekking im Ahrntal oder trinkt Biowein nach einer Biketour auf der Weinstraße. Mode-, Design- und Kultur-Aficionados treffen in Bozen und Meran junge Trendsetter, wie den Künstler Harry Thaler, den Designer Walter Thaler, die Musikerinnen Ganes oder die Modebloggerin Anna Quinz in gemütlichen Stadtcafés. Eines haben wir doch gemeinsam mit dem reichsten Bundesland Italiens. Den Adler. Im Wappen.