Schatzsuche im wilden Westen Siziliens
Zugegeben: Palermo entspricht so ziemlich allen einschlägigen Klischees. Eine Altstadt, die im 2. Weltkrieg von den Alliierten zerbombt wurde und den Eindruck erweckt, als wäre das keine zehn Jahre her; Müllberge, wohin das Auge blickt; und, last but not least, die spürbare Vorliebe Kleinkrimineller für die Geldtaschen der Mittelmeer-Touristen.
Warum dann also einen Trip in Siziliens Hauptstadt machen? Erstens: Weil die Stadt unvergleichliche Kunstschätze beherbergt, die allein schon die Reise lohnen. Zweitens: Weil sie ein idealer Ausgangspunkt für die Erkundung des touristisch wenig frequentierten Westens von Sizilien ist. Und drittens: Weil Palermo leicht via Rom erreichbar ist.
Prachtbauten
Doch der Reihe nach. Die absoluten Highlights verdankt Palermo den Normannen. Nur etwas mehr als hundert Jahre (1072–1194) regierten sie hier und hinterließen doch die prächtigsten Bauwerke. So etwa den Normannenpalast mit der berühmten Cappella Palatina, der Privatkapelle Rogers II. Fast märchenhaft schimmern in ihrem Inneren goldene Mosaike, die den Vergleich mit jenen von Ravenna nicht zu scheuen brauchen. Mindestens genauso beeindruckend ist der Mosaikschmuck im Dom von Monreale, einem kleinen Ort oberhalb von Palermo (erreichbar mit dem Autobus – Achtung: Taschendiebe!). Und ein absolutes Muss ist der berühmte Kreuzgang des angeschlossenen Benediktinerklosters: Kein einziges der 57 Doppelsäulenpaare gleicht dem anderen! Zurück in Palermo sollte man noch der ebenfalls von den Normannen erbauten Kathedrale einen Besuch abstatten: Sie beherbergt den Sarkophag des Stauferkaisers Friedrich II., der zwar in Apulien starb, aber als König von Sizilien in Palermo bestattet wurde.
Wer etwas Nervenkitzel braucht, sollte (vorzugsweise bei Tageslicht) einen Bummel durch eines der Altstadtviertel wagen. Als besondere Attraktion wird in den Reiseführern der Markt von Vucciria angepriesen, allerdings findet man die urtümlicheren Märkte mittlerweile in den Vierteln Capo und Albergheria.
Schauplatzwechsel nach Mondello. Der mondäne Badeort erweist sich als absolutes Kontrastprogramm zum gerade einmal zwölf Kilometer entfernten Palermo: Gepflegte Villen eingebettet in prächtige Gärten, ein kilometerlanger, pipifeiner Sandstrand mit einer frisch renovierten Jugendstil-Badeanstalt – kein Wunder, dass die Palermitaner im Sommer in Scharen aus ihrer Stadt hierher flüchten.
Filmkulisse
Endgültig in ein anderes Sizilien taucht man eine Autostunde westlich, im Dörfchen Scopello, ein. Das aus wenigen Häusern bestehende ehemalige Fischerdorf gelangte durch seine einstige Thunfisch-Fabrik zu Berühmtheit. Hier wurde 2004 eine Szene des Films "Ocean Twelve" (mit Brad Pitt und George Clooney) gedreht – weshalb nun fast jeden Sizilien-Reisebericht ein Foto dieses zugegeben pittoresken Platzes ziert.
Brad Pitt hin, George Clooney her (die beiden sollen die Zeit zwischen den Drehs übrigens ausschließlich auf ihrer Yacht verbracht haben): Scopello ist der ideale Ausgangspunkt für Wanderungen in Siziliens erstem Nationalpark "Riserva Nationale Lo Zingaro". Dessen Markenzeichen ist die Zwergpalme, die hier auf stattliche zwei Meter heranwächst. Auf mehreren gepflegten Wanderwegen kann man das Naturschutzreservat durchqueren – am schönsten ist jener entlang der Küste. Tipp: Unbedingt die Badehose in den Rucksack packen – bis in den November hinein lässt sich’s in den vielen kleinen Buchten herrlich baden!
Von Scopello aus sind die zwei herausragenden Sehenswürdigkeiten von Siziliens Westen in einer knappen Auto-Stunde erreicht. Der griechische Tempel von Segesta wurde zwar niemals fertiggestellt (zu erkennen an den nicht abgeschlagenen "Transportzapfen" der Steinquadern und am Fehlen der Säulenrinnen), wirkt aber aufgrund seiner einzigartigen Lage imposant wie kaum ein anderer antiker Tempel. Wer noch ein halbes Stündchen bergauf wandert, genießt vom prächtig in die Landschaft gefügten Theater einen tollen Blick bis zum Meer.
Liebestempel
Ebenfalls einen fantastischen Rundblicks bietet das 750 Meter hoch gelegene Bergdörfchen Erice in der Nähe von Trapani. Der Ort besitzt eine kuriose Vergangenheit: Hier wurde in der Antike Venus verehrt – und zwar, so heißt es, mit vollem körperlichem Einsatz ihrer Priesterinnen. Was prompt zu regelrechten "Männer-Pilgerfahrten" aus allen Teilen des Mittelmeeres führte.
Auch wenn der Liebestempel längst außer Betrieb ist, pilgern heute viele Touristen (beiderlei Geschlechts!) hierher: Das Städtchen mit seinem imposanten Kastell und den zahllosen Kirchen ist ein mittelalterliches Gesamtkunstwerk – und mit seinen blitzsauberen Gässchen der anschaulichste Beweis für die Vielfalt an kulturellen Highlights in Siziliens wildem Westen.