Zar Putin will bis 2024 bleiben
Von Stefan Schocher
Die Präsidenten-Wahl vom Sonntag scheint er schon als gewonnen abgehakt zu haben, Wladimir Putin denkt jedenfalls weit voraus: Ja, er könne sich durchaus vorstellen, Russland bis 2024 zu führen, sagte der ewig Machthungrige am Freitag in einem Interview. „Das wäre normal, wenn alles gut läuft, wenn das den Leuten gefällt.“ Putin, der bereits von 2000 bis 2008 Präsident und danach vier Jahre lang Premier war, wäre dann 72 Jahre alt und insgesamt 24 Jahre an der Macht – ein säkularer Zar, fast auf Lebenszeit.
Auch wenn sich der drahtige Machtmensch als starker Mann inszeniert und vor Selbstbewusstsein fast platzt – so wie in den vergangenen Monaten hat man Putin noch nie gesehen: Erstmals in seiner politischen Karriere musste sich der ehemalige Geheimdienstagent als Wahlkämpfer betätigen. Ein Mann, der bisher demonstrativ nicht an Fernsehdebatten teilnahm, der sich stets staatsmännisch, dem Wohl des Landes dienend präsentierte. Ein Politiker, der bisher demonstrativ nicht wahlkämpfte – in seinem dritten Anlauf auf das höchste Staatsamt hatte er es plötzlich nötig.
Aufschrei der Mittelschicht
Massenkundgebungen, der Aufschrei einer politisch frustrierten Mittelschicht, die sich zum ersten Mal in der Geschichte des modernen Russland in großer Zahl auf die Straße wagte, offene Kritik an Korruption, Justizwillkür, Kriminalität, aber auch an den hohen Preisen – all das hat es in dem Ausmaß noch nicht gegeben.
Eine Revolution ist es zwar nicht geworden. Aber eines – so bewerten es sowohl Kreml-kritische als auch Kreml-freundliche Russen – hat sich fundamental geändert: In den Monaten seit der höchst umstrittenen Parlamentswahl Anfang Dezember hat sich das politische Gefüge Russlands fundamental verschoben.
Putin, der die staatlichen Medien geschlossen hinter sich weiß, musste zu für ihn sehr ungewöhnlichen Mitteln greifen, er mobilisierte die Straße. Großkundgebungen der Opposition ließ er mit Großkundgebungen der Regierung beantworten. Aktionen von Regierungsgegnern, die kritische Videos ins Internet stellten, folgten Aufsehen erregende Nackt-Proteste für den Premier – mit der Botschaft, er möge doch baldigst wieder Präsident werden.
Brüche in der Regierung
Nach der Parlamentswahl, die von schweren Fälschungsvorwürfen überschattet war, traten Brüche innerhalb der Regierungsriege offen zu Tage. Um diese zu kaschieren, bemühte sich das Putin-Lager, die ebenfalls vorhandenen Brüche in der zerstrittenen Opposition noch zu verstärken. Plötzlich tauchten Telefonmitschnitte auf, in denen führende Oppositionelle andere führende Oppositionelle wüst beschimpften. Was Russland in den vergangenen Wochen und Monaten erlebte, war ein echter Wahlkampf – allerdings ein besonders schmutziger.
Angekratztes Image
Das der 59-jährige Putin die Wahl am Sonntag gewinnen wird, daran zweifeln nicht einmal seine schärfsten Gegner. Aber das Image des edlen Ritters, der dem stolzen Mutterland Russland zu neuer Größe verhilft, ist deutlich angekratzt.
Die Bürger erlebten einen Wahlkämpfer, der nicht über den Dingen stand. Der mit allen Mitteln versuchte, seine Gegner zu diskreditieren. Diese seien zu allem bereit, sagte Putin zuletzt, sogar dazu, jemanden zu opfern, ihn „abzuknallen“, um es der Staatsmacht in die Schuhe zu schieben. Ziel der Opposition sei es, Zusammenstöße zu provozieren. Putin warnte auch vor Wahlfälschungen durch seine Gegner, die sie dann der Regierung anlasten wollten.
Das Wechselspiel von Kundgebungen der Putin-Gegner und -Befürworter dürfte auch nach der Wahl weitergehen. Regierungsfreundliche Kräfte planen bereits am Sonntag im Zentrum der Hauptstadt den Auftakt zu mehrtägigen Demonstrationen. Putins Gegner wiederum wollen zu Zehntausenden in Moskau und anderen großen Städten des Landes auf die Straße gehen. Die Genehmigungen für diese Proteste liegen aber erst zum Teil vor.
In Putin-kritischen Kreisen wird befürchtet, dass es nach seiner Wiederwahl schnell aus sein könnte mit der verhältnismäßigen Liberalität der vergangenen Monate. Das würde bedeuten, dass die Behörden oppositionelle Kundgebungen nicht länger tolerieren und letztlich zuschlagen werden.
Russland-Wahl: Längere Amtszeit für den Präsidenten
Direkt-Wahl Russlands Staatschef wird direkt von den etwa 110 Millionen Wahlberechtigten bestimmt. Erstmals wird er für die Dauer von sechs Jahren gewählt, bisher waren es vier. Vorausschauend ließ Putin die Verfassung entsprechend ändern.
Voraussetzungen Kandidaten müssen älter als 35 Jahre sein und in den vergangenen zehn Jahren in Russland gelebt haben. Parlamentsparteien können Kandidaten formlos nominieren, Einzelbewerber brauchen zwei Millionen Unterstützer.
Kompetenzen Der Präsident hat fast unbegrenzte Machtfülle. Er ist Oberbefehlshaber der Armee samt Atomwaffen, ihm unterstehen alle Sicherheitsdienste. Er bestimmt die Ausrichtung der Innen- und Außenpolitik und kontrolliert alle Schlüsselressorts.