Politik

"Wien verträgt wesentlich mehr Hunde"

Bei den Wölfen wär's schöner gewesen", begrüßt uns Kurt Kotrschal in seinem Büro im Universitätszentrum Althanstraße in Wien 9. Den kleinen Raum teilt er mit vier Kolleginnen und Kollegen. Kaffee macht sich jeder selbst. - Ein Manager des Jahres würde sich damit nicht zufrieden geben, dem Wissenschaftler des Jahres genügt das: "Es sind sowieso nie alle da." Und geforscht wird ohnehin draußen, im echten Leben. Bei den Wölfen und Hunden im Wolf Science Center in Ernstbrunn und an der Konrad Lorenz Forschungsstelle in Grünau im Almtal.
Kotrschal geht kurz raus, bringt schwarzen Kaffee in großen Häferln und setzt sich unter das Bild eines Wolfs. Ein Treffen bei den Wölfen sei nicht möglich gewesen, sagt er, "heute unterrichte ich in Wien, morgen bin ich in Graz, dann Zürich, und so geht's weiter".

KURIER: Herr Professor, machen Sie auch Pausen?
Kurt Kotrschal:
Nein. Wenn wir sterben, machen wir alle ziemlich lang Pause (er nimmt einen Schluck Kaffee).

Die drastische Erhöhung der Hundesteuer in Wien sorgt für Diskussionen. Die Zahl der Hundehalter steigt. Wie viele Hunde verträgt die Stadt?
Wir wissen, dass es Steigerungsraten von an die fünf Prozent pro Jahr gibt. Besonders im städtischen Bereich und besonders im Hochpreissegment.

Was bedeutet Hochpreissegment?

Das sind Leute, die Rassehunde haben, die mit "Royal Canin" füttern, die sich eine gute tierärztliche Betreuung leisten können und so weiter.

Hundehaltung als Wirtschaftsfaktor?
Hunde sind ein enormer Wirtschaftsfaktor.

Zurück zur Frage: Wie viele Hunde verträgt die Stadt?
Auf jeden Fall mehr als jetzt. Wien verträgt wesentlich mehr Hunde. Aber wie viele Hunde eine Stadt tatsächlich verträgt, hängt letztlich davon ab, wie sich die Hundehalter aufführen. Die Hunde müssen einigermaßen erzogen sein. Und das Wichtigste aufseiten der Hundehalter ist, dass sie sich nach der Hinterlassenschaft ihres Hundes bücken (er lacht) .

Bücken Sie sich und räumen weg, wenn Sie mit Hund in der Stadt unterwegs sind?
Natürlich räum ich weg. Es ist eine Zumutung, wenn man's nicht tut. Das ist doch selbstverständlich!

Es gibt Leute, die den Hundekot liegen lassen und sagen: "Ich zahle Hundesteuer."
So ein Quatsch! Ich zahl' ja auch Kommunalsteuer und sch... nicht auf den Gehsteig. Das ist wirklich ein Ärgernis.

Reden Sie Hundehalter an, die nicht wegräumen?
Wie ich gestimmt bin. Für gewöhnlich biete ich denen ein Plastiksackerl an. Ich hab's aber auch schon vor ihren Augen aufgeklaubt.

Drehen wir die Frage jetzt um: Wie viel Stadt verträgt der Hund? Manche sagen: "Hunde gehören nicht in die Stadt."

Diese Einstellung find ich falsch. Hunde vertragen das Stadtleben gut, wenn einige
Bedingungen erfüllt sind: zwei tägliche Spaziergänge von je einer halben Stunde bis Stunde. Und den Hund nicht länger als vier Stunden am Tag allein lassen. Wichtig ist nicht ein Garten, sondern eine gute Beziehung zwischen Hund und Halter, und die entsteht bei gemeinsamen Aktivitäten. Hunde sind ohne Menschen nicht definiert, das heißt, die Beziehung ist das absolut Wichtigste.

Sie wohnen im Almtal, sind aber oft in Wien. Kommt Ihr Hund in die Stadt mit?
Ja, Wien ist ein tolles Pflaster für Hunde. Ich hab meinen Hund oft mit. Wir unterhalten uns in Wien immer viel besser als draußen auf dem Land. Dort hast du lauter Hunde hinter Zäunen, die einander höchstens ankläffen. Städter beschäftigen sich mehr mit ihren Hunden, das schafft bessere Begegnungsmöglichkeiten.

Wieso ist Wien ein "tolles Pflaster" für Hunde?
Es gibt kaum hundefreundlichere Großstädte - Paris vielleicht. Selbst in Skandinavien, wo Haustiere einen hohen Stellenwert haben, ist es nicht üblich, dass man Hunde in öffentliche Verkehrsmittel oder in Lokale mitnehmen darf. In Wien geht das. Und über die Hundesteuer kann man geteilter Meinung sein. Allerdings muss man neidlos zugeben, dass sich vieles gebessert hat, seit die Ulli Simma (SPÖ-Umweltstadträtin in Wien) da werkt.

Zum Beispiel?

Die Hundezonen sind wichtig. Und plötzlich gibt es Sackerlspender. Es wird appelliert: "Sei kein Schwein, heb's auf!" Gelegentlich wird auch gestraft, das ist wichtig. Nur so kann der Konfrontationskurs zwischen Hundebesitzern und Nichthundebesitzern allmählich aufgeweicht werden.

Und was sagen Sie zum verpflichtenden Hundeführschein für einige Rassen?
Ja, ist okay. Dennoch glaube ich nicht, dass das der richtige Ansatz ist. Es stimmt schon, dass sich Hunde in ihrem Aggressionspotenzial unterscheiden und darin, wie sie zubeißen. Aber es stimmt auch, dass das Problem hauptsächlich am anderen Ende der Leine ist, bei den - wenigen - Hundehaltern, die ihren Hund als Waffe sehen. Das ist eine bestimmte sozioökonomische Schicht, die muss man in den Griff kriegen. In Norddeutschland, Frankreich, Belgien gelingt das ganz gut.

Und zwar wie?

Wenn die einmal auffällig werden, ist der Hund weg. Es gibt Halteverbote, die werden kontrolliert und auch exekutiert. Es ist sinnvoller, ein starkes Auge auf diese Schicht zu haben, als alle Hundehalter zu karniefeln.

Sind das hauptsächlich Männer?
Es schaut so aus. Der Hund wird, besonders bei Männern, oft als verlängertes Ego betrachtet. Übrigens sind es vorwiegend Rüden, die beißen. 80 Prozent der Bisse stammen von Rüden. Wenn ich einen großen starken Hund habe, hat das viel mit Selbstdarstellung und Projektion zu tun: "Alles, was ich nicht bin - groß, stark, tapfer -, verkörpert mein Hund." Und das wird tatsächlich so wahrgenommen. Wir kennen sie alle: die nicht allzu groß gewachsenen jungen Männer mit einem riesen Rottweiler. Ein Hund ist ein Code, der von der Umgebung wesentlich stärker gelesen wird als die Kleidung. Früher war ich skeptisch gegenüber der Theorie "Wie der Herr, so's G'scher." Seit wir eigene Daten haben, sehe ich das absolut bestätigt. Hunde sind zu 80 Prozent ein Spiegel ihrer Besitzer.

Wenn Sie ein Hund wären, welcher wären Sie?
Ein Hund (denkt nach) - wär ich nicht gern. Darüber hab ich noch nie nachgedacht. Aber wenn, dann vermutlich ein Eurasier.

Wieso schauen Hund und Herrl einander mit den Jahren oft so ähnlich?
Nicht mit den Jahren. Das ist schon früher so. Es gibt ernsthafte Untersuchungen dazu. Aber wie misst man, ob sich zwei ähnlich schauen? Da muss man sich auf das Urteil möglichst vieler Testpersonen verlassen. Wenn man denen Bilderpaare vorlegt und fragt: "Welcher Hund passt zu welchem Menschen?", stimmen die Antworten meist.

Wie ist das möglich?
Der Grund scheint zu sein, dass sich Menschen ihren Hund nach Aussehen aussuchen. Das ist ein Phänotypen-Matching. Man kann den Leuten noch so predigen, sie sollen ihren Hund nach dem Wesen wählen, sie werden immer nach Aussehen entscheiden.

Woher kommt der verstärkte Wunsch nach Hunden in einer Zeit, in der ständig von Stress und Burn-out die Rede ist? Hunde kosten doch viel Zeit ...
... und Hundesteuer und Futter und Tierarzt. Die Kosten sind enorm. Ein Hund kostet an die 1000 Euro pro Jahr, und er kostet Zeitautonomie, ohne offenbaren Nutzen, Hunde sind Parasiten.

Aber es muss doch einen guten Grund geben.
Muss es nicht. Menschen sind zutiefst irrational. Andererseits muss man sagen: Hundehalter leben gesünder, fühlen sich besser. Und Hunde sind wichtige Sozialgefährten. 98 Prozent der Hunde im Umlauf können nichts Besonderes, retten keine Menschen, sind für nichts gut - außer, dass sie vielleicht bei ihrem Besitzer im Bett schlafen und ihm soziale Unterstützung geben.

Darf Ihr Hund bei Ihnen im Bett schlafen?
Dürfte. Will aber nicht. Eurasier gehen lieber ein bisschen auf Distanz.

Es gibt auch Menschen, die lieber auf Distanz zu Hunden gehen. Manche haben sogar panische Angst.
Hundephobie ist relativ häufig. Das ist wahrscheinlich ein evolutionäres Erbe, das mit unserer Vergangenheit als Beute von Felltieren zusammenhängt. Eine Hundephobie wird leicht ausgelöst und geht schwer wieder weg. 12 Prozent der Kinder haben das. Das muss man wissen. Darauf müssen Hundehalter Rücksicht nehmen.

Immer wieder kommt es zu Hundeangriffen auf Kinder. Passen Hunde und kleine Kinder überhaupt zusammen?

Na sicher. Die Eltern müssen aber Vermittler spielen und aufpassen, denn Hunde eignen sich nicht als Babysitter. Für Kinder ist es wichtig, mit Tieren aufzuwachsen, speziell mit Hunden. Es begünstigt die körperliche, geistige und emotionale Entwicklung. Es macht aus Kindern selbstbestimmte, selbstständigere, sozial kompetentere Erwachsene. Die Daten, die das zeigen, sind sogar so gut, dass Erwachsene, denen zugemutet wurde, ohne Hund aufzuwachsen, ihre Eltern wegen sozialer Deprivation klagen könnten.

Hatten Sie als Kind einen Hund?
Nein. Den ersten Hund hatte ich, als mein erstes Kind kam. Aber ich komme aus einem Arbeiterhaushalt, beide Eltern waren berufstätig, das wäre einfach nicht möglich gewesen.

Wie überzeugen Sie Hunde-Skeptiker?
Es gibt keine Kulturentwicklung ohne Hund. Der Mensch lebt seit 60.000 Jahren mit Wölfen und Hunden. Hundehaltung ist also keine neomoderne Spinnerei. Aufgrund der gemeinsamen Geschichte könnte man sogar von einem Menschenrecht auf Hundehaltung sprechen. Man darf die Rolle von Hunden als Sozialpartner nicht unterschätzen. Für die Gesellschaft hat das positive Effekte - wenn man Konfliktfelder sieht und bearbeitet.

Forschung: Wölfe, Hunde, Menschen

Zur Person Prof. Kurt Kotrschal, geboren 1953 in Linz, studierte Biologie in Salzburg, ging 1989 mit einem Schröder-Stipendium an die University of Colorado in Boulder, USA, und übernahm 1990, nach dem Tod von Konrad Lorenz, die Leitung von dessen Forschungsstelle in Grünau. Gemeinsam mit den Biologinnen Friederike Range und Zsófia Virányi gründete er 2008 das WSC (Wolf Science Center), das seit 2009 in Ernstbrunn angesiedelt ist. Kotrschal ist außerordentlicher Professor für Ethologie an der Uni Wien. Außerdem ist er Präsident des Eurasier Club Austria. Er ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder und eine Eurasierhündin namens Bolita.

Wolf Science Center Im WSC werden die kognitiven und kooperativen Fähigkeiten von Wölfen und Hunden erforscht und verglichen. Ein dreiteiliges ORF - "Universum" machte 2009 ein breites Publikum auf das Projekt aufmerksam. Das WSC bietet ein vielfältiges Besucherprogramm: www.wolfscience.at

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