Wie glaubwürdig ist Tristane Banon?
Von Dietmar Kuss
Wem glauben? Und kann man zwei juristisch ungeklärte Affären benützen, um die zweifellos häufig ausgeübte sexuelle Gewalt gegen Frauen zu thematisieren? Diese Fragen quälen einen Teil der französischen Öffentlichkeit angesichts des Falls Dominique Strauss-Kahn.
Während die gegen ihn in den USA erhobene Anklage an der Glaubwürdigkeit der dortigen Klägerin, Nafissatou Diallo, zu scheitern scheint, hat in Frankreich die Anzeige der Schriftstellerin Tristane Banon die Verdachtsmomente gegen Strauss-Kahn erneuert.
Aber auch Tristane Banon muss um ihre Glaubwürdigkeit bangen. Weshalb sich auch jene Medien, die dem Sexismus den Kampf angesagt haben, unentschlossen zeigen. Eine Journalistin des Pariser Intellektuellenblatts Libération schreibt über die heute 32-jährige Banon: "Sie hat nicht das Profil eines weinenden Opfers. Ihr chaotischer Lebenslauf ist eine Goldmine für ihre Gegner."
Die Probleme beginnen schon mit dem Zeitpunkt der Anzeige: Tristane Banon wirft Dominique Strauss-Kahn einen Vergewaltigungsversuch vor, der acht Jahre zurückliegt. Anhänger des einstigen sozialistischen Hoffnungsträgers Strauss-Kahn sprechen deswegen von einem abgekarteten Spiel seiner bürgerlichen Gegner. Diese hätten Tristane Banon jetzt, da die Anklage in den USA wackelt, angestachelt, bei der Justiz vorstellig zu werden, um ein Comeback in Frankreich zu verhindern.
Dabei verweisen sie darauf, dass Tristane Banon bei der Website Atlantico schreibt, die der Partei von Präsident Nicolas Sarkozy nahesteht und die sich noch vor der New Yorker Affäre auf Strauss-Kahn mit Enthüllungen über seinen luxuriösen Lebensstil eingeschossen hatte.
"Keine Fabelerzählerin"
Tristane Banon betont hingegen: "Was er auch immer Nafissatou Diallo angetan hat oder nicht, ändert nichts daran, was er mir angetan hat. Wenn die Dinge sich dort aber nicht so abgespielt haben, wie sie ursprünglich dargestellt wurden, muss ich umso mehr beweisen, dass ich keine Fabelerzählerin bin. Das kann nur vor Gericht geschehen."
Warum sie nicht schon seinerzeit Anzeige erstattet habe? "Ich wollte alles vergessen. Ich war eine 24-jährige Journalismus-Praktikantin, und alle gaben mir zu verstehen, dass eine Anzeige nie eine Chance hätte."
Gestanden
Unter jenen, die damals von einer Anzeige abrieten, befand sich ihre Mutter, Anne Mansouret, die das jetzt bereut. Mansouret, eine SP-Politikerin und Vertraute von Dominique Strauss-Kahn, wollte ihre Politkarriere nicht aufs Spiel setzen. Sie habe aber Strauss-Kahn in einem Bistro zur Rede gestellt, und dieser habe gestanden: "Ich bin da durchgeknallt."
Heute betont Anne Mansouret, sie habe ihre Tochter dazu gebracht, Anzeige zu erstatten: "Strauss-Kahn sollte sich behandeln lassen", erklärte sie der Zeitung Parisien . Kruder Nachsatz in Libératio : "Dieser sexuell Besessene, der einen in den Aufzügen in die Ecke drängt."
Anne Mansouret dürfte sich freilich ihrer Tochter gegenüber schuldig fühlen. Tristane Banon entstammt einer kurzen Beziehung ihrer Mutter mit einem Unternehmer, der als Wirtschaftsberater von Palästinenser-Präsident Yassir Arafat Prominenz erlangte. Vater Banon traf seine Tochter nie. Und die Mutter überließ sie jahrelang einer alkohol-kranken Kinderschwester. Diese misshandelte die Kleine und ließ sie von einem Verwandten sexuell missbrauchen.
Selbst-Entblößung
In einem ersten autobiografischen Roman klagte Tristane Banon, ihre Mutter habe ihre Hilferufe ignoriert. In einem zweiten autobiografischen Roman, in dem auch der Nötigungsversuch durch Strauss-Kahn verschlüsselt dargestellt ist, präsentiert sich die Autorin selber als eine aufstiegssüchtige Nachtschwärmerin, die in der Pariser Literatenszene kurze Liebschaften mit einflussreichen und älteren Männern häuft - eine schonungslose Selbst-Entblößung, die den Schilderungen von Tristane Banon paradoxes Gewicht verleiht.