Weißrussland: Wahl oder Ernennungszirkus?
Von Stefan Schocher
Weißrussland wählt. Klingt wie ein Widerspruch – und ist auch einer. Aber dennoch: Kommenden Sonntag finden Parlamentswahlen statt in dem von Alexander Lukaschenko regierten Staat. Ein Staat, in dem der Präsident das Sagen und das Parlament bestenfalls die Rolle eines Vollzugs-organs hat. Der Chef der Volksfront, Alexej Janukewitsch, sagt: "Die 110 Abgeordneten werden nicht gewählt, sondern eher ernannt." Die Volksfront ist eine der wichtigsten Oppositionsparteien. An der Wahl am Sonntag wird sie nicht teilnehmen. Ebenso die Vereinigte Bürgerpartei. Ein bewusster Boykott. Ein Protest gegen Politjustiz, eine gegängelte Bürokratie sowie Medien und allgegenwärtigen Druck auf Wähler.
Zu verlieren hat die Opposition nichts. Auch im vorangegangenen Parlament stellte sie nicht einen einzigen Abgeordneten. Dabei galten die Wahlen 2008 noch als Hoffnungsschimmer. Von der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) waren sie zwar als undemokratisch bewertet worden – aber zugleich waren Diplomaten und Wahlbeobachter damals sehr bemüht, Verbesserungen herauszustreichen. Und seitens der Opposition bestand zumindest die leise Hoffnung auf eine Öffnung. Träume, die bei der von Massenverhaftungen und Ausschreitungen überschatteten Präsidentenwahl 2010 zunichte gemacht wurden.
Angst-Wahlkampf
Und 2012: Ein Wahlkampf, der mit Hausdurchsuchungen bei Oppositionellen, Angriffen auf Journalisten, Schnellverfahren gegen Aktivisten einherging – und eine Abstimmung, die schon seit Beginn der vorzeitigen Stimmenabgabe für Armee und Miliz von Beobachtern als "massiv gefälscht" bezeichnet wird.
Die OSZE beobachtet den Urnengang auch diesmal. Schon der Umstand, dass sie das tut, ist bemerkenswert. Denn in Folge der Eskalation um die Präsidentenwahl 2010 war das OSZE-Büro in Minsk im Frühjahr 2011 auf Druck der weißrussischen Behörden geschlossen worden. Die EU verhängte Sanktionen. Vor allem Einreiseverbote gegen Vertreter des Regimes. Dementsprechend läuft die jetzige OSZE-Mission nicht ohne Reibungen. Zumindest einem akkreditierten Beobachter wurde die Einreise verwehrt. Ebenso einigen Journalisten.
Der Politologe Alexander Klaskowski sieht die Tür zwischen Minsk und Brüssel dennoch "einen Spalt weit offen". Vor allem, da sich das vor dem Bankrott stehende Weißrussland nicht noch mehr in die Abhängigkeit seines mächtigen östlichen Nachbarn Russland begeben wolle. Die EU ist mittlerweile der wichtigste Exportmarkt für Weißrusslands Wirtschaft. Und sehr zum Ärger Russlands hat Weißrussland trotz Drängen Moskaus die von Georgien abtrünnigen und von Russland anerkannten Regionen Südossetien und Abchasien nicht anerkannt. Beobachter werten es zudem als Zeichen einer Entspannung, dass der EU-orientierte Wladimir Makejs zum neuen Außenminister ernannt wurde. Eine Wahl, die Brüssel gefällt.
Weißrussland: Der letzte Hort der UdSSR
Diktatur Seit 1994 wird Weißrussland von Alexander Lukaschenko regiert, der Privatisierungen stoppte und außenpolitisch eine Wiedererrichtung der Sowjetunion anstrebte. Politische Gegner werden verfolgt, freie Medien unterdrückt. Nach einer Phase der Annäherung an die EU – der heute wichtigste Wirtschaftspartner Weißrusslands – herrscht seit der turbulenten Präsidentenwahl 2010 wieder Eiszeit.
Wirtschaft Weißrussland hat keine Bodenschätze. Die Wirtschaft hängt zu einem großen Teil an günstigen Energieimporten Russlands, die sich Moskau wieder mit Loyalität bezahlen lässt. Wichtigster Exportmarkt ist mittlerweile jedoch die EU. In Folge der Präsidentenwahl 2010 und den damit einhergehenden Wahlzuckerln kollabierte die Wirtschaft. Nur durch Notkredite konnte ein Bankrott abgewendet werden.