Walesa: „Nur Kapitalisten schaffen Jobs“
Wenn Lech Wałesa über die Zukunft redet, ist er ganz der Alte. Brennend interessieren den ehemaligen Chef der Gewerkschaft Solidarność die neuen Protestbewegungen.
Die Faust ist geballt, die Augen strahlen, wenn der polnische Ex-Präsident und Friedensnobelpreisträger über die Demos von Occupy-Wall-Street gegen das Finanzsystem spricht. Am Tahrir-Platz in Kairo war er selbst, und die Millionen arbeitslosen Jugendlichen in Spanien, Griechenland und Italien lassen ihn nicht in Ruhe.
„Wir müssen diesen Menschen einen neuen Stellenwert geben. Die Jungen müssen Kapital besitzen“, lautet sein Credo. Die Proteste rund um die Welt – „das ist die neue Revolution, die das kapitalistische System herausfordert“. Der KURIER traf Lech Wałesa am Rande der vom Wiener Kongress com.sult verliehenen „Golden Arrow“-Auszeichnung. Wałesa ebenso wie der langjährige deutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher wurden am Dienstag für ihre außergewöhnlichen Ideen und Visionen geehrt.
KURIER: Herr Präsident, was erwarten Sie sich von der EU im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit?
Lech Wałesa: Es gibt genug Arbeit für jeden, mehr als genug. Natürlich können nur Kapitalisten Jobs schaffen. Das können weder die Gewerkschaften noch die Politiker. Die Eigentümer, die Kapitalisten, können das. Wenn sie ideenlos sind, dann sollen sie Pyramiden errichten.
Ist das kapitalistische System nicht auch in der Krise?
Deswegen müssen Menschen Eigentümer werden. Das heißt, man muss den Menschen Eigentum anbieten. Die Hälfte des Lohnes steckt ein Arbeitnehmer in die Tasche, die andere Hälfte geht in Anteile am Unternehmen. Man beteiligt die Menschen am Eigentum, das ist der Weg aus der Krise. Die Menschen müssen Eigentum haben, ansonsten gibt es zu viel Demagogie und Populismus. Das ruiniert die Unternehmen. Wenn jemand Eigentum besitzt, zerstört er nichts. Je mehr Eigentum ein Arbeiter hat, desto mehr kann er mitreden im Unternehmen.
Fürchten Sie eine Revolution der Jungen in der EU?
Nein. Aber sie werden von Kapitalisten und Unternehmern Lösungen erzwingen. Ich habe mir die Geschichte in Ägypten angeschaut, auch Scheichs waren da und haben die Revolutions-Erfolge studiert. Im Internet wurden die Menschen mobilisiert: ,Geht hin, da gibt es Paläste, nehmt sie‘, lautete der Aufruf. Sie haben sich Dinge genommen. Die Scheichs haben dann solche Angst bekommen, dass sie jetzt in ihren Ländern für Vollbeschäftigung sorgen.
Die Menschen holen sich, was ihnen nicht gehört. Das kann doch nicht sein – oder?
Was macht die Welt, die sich nicht vor Gott fürchtet? Sie holt sich Gerechtigkeit. Die Menschen machen Revolution, es sei denn, man kommt ihnen zuvor.
Die EU kommt aus der Schuldenfalle nicht heraus. Was macht sie falsch?
In der EU gibt es zu große Unterschiede bei Bildung, in der Sozialpolitik oder in der Finanzpolitik. Wir müssen die Unterschiede ausgleichen. Jeder Mensch muss sehen, was die EU tut und dass für ihn auch etwas gemacht wird. Die Menschen müssen etwas von der EU haben.
Sind Sie für Sparen?
Ja, aber wir müssen die Regeln angleichen. Das Problem ist die ehemalige Teilung Europas, das Erbe eines Europa mit Grenzen. Das verursacht unsere Krise.
Polen geht es viel besser als den sogenannten alten europäischen Mitgliedsländern.
Ja, das ist richtig. Wir heben unser Niveau erst an. Das alte Europa muss das Niveau absenken. Die Balance muss stimmen. Wir haben keine andere Wahl.
Muss das alte Europa auf Wohlstand verzichten?
Es muss dem alten Europa klar sein, dass es eine Balance geben muss. Ich habe den Kapitalisten in Ägypten gesagt: Gebt das, was ihr zu viel habt, den jungen Leuten. Wenn ihr ihnen Arbeit verschafft, bekommt ihr das Geld zurück. Das ist die Wahl. Kapitalisten haben die Aufgabe, Arbeitsplätze zu schaffen. Wenn nicht, werden sie beraubt.
Zur Person: Lech Wałesa
Biografie Am 29. September 1943 in Popowo in Polen geboren. Erlernter Beruf: Elektriker, ab 1967 auf der Lenin-Werft in Danzig.
Politische Laufbahn Schloss sich 1970 dem illegalen Streikkomitee auf der Danziger Lenin-Werft an. Führte von 1980 bis 1990 als Vorsitzender der freien Gewerkschaft Solidarität (Solidarność) den Arbeiter-Aufstand gegen das KP-Regime. 1983 Friedensnobelpreis. Von 1990 bis 1995 Staatspräsident Polens.