Van der Bellen: "Da ist bei mir der Ofen aus"
Von Daniela Kittner
KURIER: Herr Professor, ein entscheidender Moment Ihrer Tätigkeit waren 2002 die Verhandlungen mit Wolfgang Schüssel über eine Koalition ÖVP/Grüne. Denken Sie manchmal: Hätte ich damals bloß zugeschlagen?
Alexander Van der Bellen: So nicht, aber es ist für beide, für ÖVP und Grüne, eine verpasste Gelegenheit. Es hätte auf europäischer Ebene gewaltiges Aufsehen erregt, wenn derselbe Schüssel, der zuerst mit den nicht zu Unrecht verschrienen Blauen eine Koalition macht, dann mit den Grünen regiert. Das hätte sein Standing erheblich verbessert.
Schüssel muss bereuen, dass er nicht zugegriffen hat?
Ja. Wobei unser Verhältnis ein gutes ist. Ich respektiere ihn als einen, der zumindest Ziele hatte, auch wenn ich sie nicht teile. Ein bissl ein Draufgänger war er. Was mir auch imponiert hat – obwohl ich gegen Schwarz-Blau war –, dass er das gegen den expliziten Wunsch der Krone durchzog. Das verrät Mut.
Sie haben die Innenpolitik jetzt lange beobachtet. Wo sehen Sie die größten Schwächen der Bundespolitik?
Es gibt teilweise einen Mangel an Leadership. Man hat das Gefühl, sie verwalten so vor sich hin. In EU-Fragen herrscht zu viel Anpassung an die jeweilige deutsche Linie, zu wenig Selbstbewusstsein. Obwohl ich hinzufüge, dass Faymann in den letzten Monaten auffälliges europäisches Interesse zeigt . Das ist ein Fortschritt. Wohingegen die ÖVP sich in einem merkwürdigen Zustand der Lethargie befindet, Mitterlehner und Töchterle vielleicht ausgenommen.
Wenn Sie etwas ändern könnten an der Bundespolitik, was würden Sie tun?
Ich versuche, es an einem Beispiel zu bringen. Der EU-Beitritt war ursprünglich alles andere als populär. Dann hat es von oben nach unten einen Prozess der Erklärung gegeben, der ganz zum Schluss in eine Propagandawelle ausgeartet ist, aber dem ist ein jahrelanger Prozess der Überzeugung voraus gegangen. Es ist keine geringe Kunst, die Industriellenvereinigung, den ÖGB und mich – ich war ursprünglich auch kein Freund des EU-Beitritts – auf eine Linie zu bringen.
Jetzt bin ich aber neugierig, was Sie umgestimmt hat.
Ich kann mich gut erinnern an ein Gespräch mit dem damaligen Finanzminister Ferdinand Lacina. Da gab es einen Report, wonach der EU-Beitritt Österreich 0,3 Prozent zusätzliches Wirtschaftswachstum bringen wird. Ich habe ihm gesagt: Geh Ferdl, das ist ja im Bereich des statistischen Fehlers. Und er sagt mir: Du musst bedenken: Wie, wenn nicht durch den EU-Beitritt, sollen wir die versteinerten Strukturen in Österreich aufbrechen? Damit meinte er etwa das Zuckerkartell, Marktabsprachen Ende nie.
Dass man Gorgonzola unter Strafandrohung von Tarvis nach Villach schmuggeln musste ...
Ja, so was. Das hat sich tatsächlich weitgehend aufgehört. So inoffizielle Frühstückskartelle macht man heute in der Regel nicht mehr ungestraft. Das durchzusetzen, war Leadership. Eine Überzeugung in langsamer und zäher Arbeit so weit zu bringen, dass sie von der Mehrheit akzeptiert wird – es gibt kein deutsches Wort mehr dafür.
Die sind alle diskreditiert. Führungsqualität geht noch.
Im Bergführer hat sich’s erhalten. Aber sagen Sie mir irgend eine neue Idee, die unser Vizekanzler in zäher Kleinarbeit versucht, den Leuten nahezubringen?
Die direkte Demokratie nach Schweizer Vorbild?
Geh bitte. Da schwimmen jetzt alle mit.
Ihre Partei auch. Was halten Sie denn von Gesetzgebung per Volksabstimmung?
Solange der Nationalrat nicht umgangen werden kann, lasse ich mit mir reden. Die Veto-Volksabstimmung ist okay: Der Nationalrat beschließt ein Gesetz, und das Volk sagt Nein.
Das ist geltende Gesetzeslage. Der Kern der Forderung nach mehr direkter Demokratie ist ja, dass das Volk künftig Gesetze machen soll, dass das Volk Streitfälle, in denen sich die Politik nicht einigt, wie bei der Wehrpflicht, entscheiden soll.
Gesetze ohne Befassung des Nationalrats halte ich für eine gefährliche Umgehung der repräsentativen Demokratie. Ohne Nationalrat ist bei mir der Ofen aus. Wozu hätten wir Politiker, wenn sie keine Verantwortung tragen? Das ist Demokratie per Plebiszit, dann braucht man kein Parlament mehr.
Wenn Sie zum Rednerpult gehen, wird es oft ganz leise im Plenarsaal. Es entsteht der Eindruck, die Abgeordneten wollen von Ihrem Wirtschaftswissen etwas erhaschen. Haben wir genügend Wirtschaftskompetenz im Nationalrat?
In der Hinsicht habe ich das Ausscheiden von Schüssel und Molterer bedauert. Es ist ja oft nicht die Frage, ob man Argumente teilt, sondern ob jemand überhaupt welche hat. Bartenstein würde ich dazuzählen, Jan Krainer auch. Vom BZÖ niemanden, von der FPÖ niemanden.
Haben Sie sich im Hohen Haus als Professor manchmal vereinsamt gefühlt? Alle anderen Professoren sind weg: Nowotny, Neisser, Khol.
Ich halte nichts von der platonischen Republik, von der Vorstellung, dass man alles nur Experten anvertrauen muss. Aber zwei oder drei pro Fraktion würden nicht schaden. Es ist eine nicht ungefährliche Entwicklung, wenn es für Außenstehende nicht mehr so attraktiv ist, ins Parlament zu gehen, und dann kommen noch diese Ideen der plebiszitären Verfahren hinzu.
Wie viele Länder werden, sagen wir in einem Jahr, den Euro noch haben?
Ich sage: siebzehn.