Timoschenko: Kiew gerät in den Zangengriff
Von Stefan Schocher
Der internationale Chor der Kritik am Umgang der ukrainischen Behörden mit Julia Timoschenko wird nun durch einen russischen Bass verstärkt. Während in Deutschland mittlerweile ein totaler politischer Boykott der bevorstehenden Fußball-EM diskutiert wird, hat nun auch der Kreml seinen Tonfall gegenüber dem Nachbarn verschärft. Russlands Noch-Präsident Dmitri Medwedew nannte den Umgang mit der inhaftierten Oppositionspolitikerin gegenüber der Agentur Interfax"völlig inakzeptabel". Harte Bandagen seien in der politischen Auseinandersetzung normal, das rechtfertige aber nicht eine Inhaftierung direkter Rivalen, so Medwedew, der die Situation in der Ukraine als "höchst befremdlich" bezeichnete.
Timoschenko war vergangenen Oktober zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Der Tatbestand: Sie hatte ein Gas-Abkommen mit Russland ausverhandelt, das laut Anklage in kriminellem Maße zum Nachteil der Ukraine ausfiel. Russland hatte wiederholt Kritik an Timoschenkos Verurteilung geübt. Moskau betrachtet sie als Zeichen dafür, dass die gegenwärtige Führung in Kiew die Gas-Verträge mit Russland neu verhandeln möchte. Von einem politischen Boykott der EM, wie in Deutschland, ist denn auch nicht die Rede in Moskau. Die Frage drängt sich auch nicht auf, da Russlands Mannschaft die Gruppenspiele im EM-Co-Gastgeberland Polen bestreiten wird.
Die Deutsche Elf wird dagegen in der Ukraine spielen. Und laut Spiegel ist ein Boykott der EM durch die deutsche Bundesregierung sehr wahrscheinlich. Laut dem Magazin will Kanzlerin Merkel ihren Ministern ein Fernbleiben empfehlen, wenn Timoschenko bis zum Beginn der EM in sechs Wochen nicht freigelassen wird. Berlin hatte angeboten, die in der Haft schwer erkrankte Timoschenko zur Behandlung nach Deutschland bringen zu können.
Für Mitte Mai ist ein Gipfeltreffen europäischer Staats- und Regierungschefs auf der Krim geplant. Als Erstes hatte Deutschlands Präsident Joachim Gauck seine Teilnahme aus politischen Gründen abgesagt. Auch Sloweniens Präsident Danilo Türk wird fernbleiben. Österreichs Präsident Fischer hatte seine Teilnahme bereits vor Wochen aus terminlichen Gründen abgesagt.
Äußerst verärgert reagiert die ukrainische Regierung auf diese Proteste. Vor allem jene seitens Deutschlands. Ein Vertreter der regierenden Partei der Regionen, Wassili Kisseljow, nannte die Äußerungen Merkels eine "ungenierte Einmischung in innere Angelegenheiten". Merkel fordere "etwas faktisch Unmögliches": Die ukrainische Gesetzgebung sehe eine Behandlung von Strafgefangenen im Ausland nicht vor.