Shukri Ghanem hatte viele Feinde
Von Stefan Schocher
Er war eine der zentralen Figuren in Muammar Gaddafis Geldbeschaffungsmaschinerie. Und als sich Shukri Ghanem im Mai des Vorjahres nach Tunesien absetzte, war er zu diesem Zeitpunkt das höchste Mitglied aus dem Kreis um Gaddafi, das sich von dem damals schon schwer bedrängten libyschen Führer abwandte. Einer, der sehr viel wusste über die Geschäfte des Regimes, dem er da entsagte. Als Öl-Minister war er es, der wusste, wo und wie die Profite geparkt wurden. Er war es, der die Verträge aushandelte und als Gesandter bei der OPEC die Preispolitik seines Landes maßgeblich mitbestimmte.
Seine alten Vertrauten hatte Ghanem mit der Flucht nach Wien vor den Kopf gestoßen. Für die neuen Herren in Libyen war er aber zu tief in die Machenschaften des alten Regimes verwickelt, um ihm zu verzeihen. Die gegenwärtige Führung in Tripolis stellte einen Haftbefehl auf Ghanem aus. Libysche Ermittler sehen in ihm die Schlüsselfigur in den Geschäften der Familie Gaddafi. Ghanem sei es gewesen, der die Konten der Gaddafis füllte. Er sei es gewesen, der die Deals in Europa und auf der arabischen Halbinsel geschlossen habe. Verbrechen, die er laut dem libyschen Banker Abdel-Hamid al-Jadi, der den Ermittlern in Tripolis hilft, nicht alleine begangen habe. „Er hatte viele Partner hinter sich, auch Regierungen. Vielleicht wollten die ihn mundtot machen", sagt al-Jadi. Ghanem hat eine Rückkehr nach Libyen stets ausgeschlossen.
Saifs Vertrauter
Aus der Riege der alten Führung galt Ghanem dennoch als Reformer. Als einer, der das Image seines Landes im Westen verbessern wollte. Er war wiederholt in Konflikte mit den Hardlinern gezogen worden – was ihm 2006 den Posten als Premier kostete. Als Reformer galt Ghanem als enger Vertrauter von Gaddafis Sohn Saif al-Islam. Jener Lebemann, der in Europa mit Milliardensummen jonglierte, die Befreiung bulgarischer Krankenschwestern aus libyscher Haft vermittelte und gerne zu Gast in Österreich war – und da besonders in Kärnten bei der FPÖ.
Saif al-Islam befindet sich heute in der Hand einer Brigade der Revolutionäre in Sintan im Westen des Landes. Die Führung in Tripolis fordert seine Herausgabe, die ihr jedoch verwährt wird. Und in Libyen wird diskutiert, ob und wie Saif al-Islam dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) übergeben werden soll. Klar ist: Sollte es jemals zu einem Prozess gegen Saif al-Islam vor dem IStGH kommen, wäre ein Mann ganz sicher als Zeuge geladen worden – Shukri Ghanem. Und hätte der ausgesagt, Konten und Bankverbindungen offen gelegt, hätte es für den Angeklagten wohl nicht gut ausgesehen.
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