Schönborn: "Müssen vom hohen Ross steigen"
Von Birgit Braunrath
Mehr als 300 Kirchenvertreter haben sich bisher dem "Aufruf zum Ungehorsam" der österreichischen Pfarrer-Initiative angeschlossen. Die Priester, Diakone und Ordensleute fordern Reformen wie etwa die Priesterweihe für Frauen, die Rückkehr verheirateter Priester ins Amt oder die Aufhebung des Pflichtzölibats. Rom hat dazu ein kategorisches Nein ausrichten lassen. Auch Wiens Erzbischof Christoph Schönborn hält die Forderungen für nicht umsetzbar. Auch nicht als "von Österreich ausgehendes Experiment", wie die Pfarrer-Initiative anregt. Ein Interview mit dem Kardinal anlässlich des bevorstehenden 20. Jahrestags seiner Bischofsweihe.
KURIER: Sie haben vor einigen Jahren gesagt: "Ich hoffe, dass ich in dieses Amt, das mit enormen Spannungen verbunden ist, immer mehr hineinwachse." Wie fühlt sich das aus heutiger Sicht an?
Kardinal Christoph Schönborn: Ich bin hineingewachsen. Es waren keine einfachen Jahre, aber spannende und in Summe sehr schöne Jahre. Wenn ich Bilanz ziehe, habe ich eindeutig den positiven Teil als stärker empfunden.
Können Sie mit Spannungen heute besser umgehen?
Sie gehören zum Leben, auch zum Leben der Kirche, zum Leben der Gesellschaft. Nur ein toter Körper hat keine Spannung.
Im Rahmen der Pfarrer-Initiative begehrt nicht das Kirchenvolk auf, sondern die Kirchenvertreter. Ist der Druck dadurch höher?
Ich glaube, der Reformdruck ist generell höher geworden. Und damit verbunden auch Verunsicherung. Nicht nur in der Kirche, auch in der Gesellschaft - etwa in der Finanzfrage, der Pensionsfrage, der Umweltfrage. Lösungen hat niemand in der Tasche. In der Kirche ist es ähnlich. Wir spüren alle, dass es großer Reformen bedarf. Wenn man aber genauer hinschaut, was eine echte Lösung wäre, sind wir auch hier - wenn wir ehrlich sind - in mancher Hinsicht ratlos.
Dass die Forderungen der Pfarrer-Initiative nicht die Reformlösungen sein werden, haben Sie bereits klargestellt. Am Dienstag hat Kardinal Piacenza, der Chef der Kleruskongregation, ausrichten lassen: "Die Frage ist abgeschlossen." Was aber sind Ihre Reformvorschläge?
Der Kirchenbesuch ist europaweit dramatisch gesunken. In der Stadt Wien gab es vor 30 Jahren noch doppelt so viele Katholiken. Mein Reformansatz ist, dass wir uns fragen: Ist die Religion gefragt? Ist der Glaube gefragt? Wird der Glaube gelebt?
Das lässt viel Raum für Interpretation. Die Multimedia-Gesellschaft verlangt nach einer klaren "Message". Der Ruf nach der Aufhebung des Zölibats etwa ist eine solche Ansage. Was halten Sie diesen Forderungen entgegen?
Wir haben klare Rahmenvorgaben für das, was im Raum der katholischen Kirche möglich ist. Man kann sich anderes wünschen. Aber Reformen dort zu fordern, wo sie - manche sagen zur Zeit, manche sagen grundsätzlich - nicht möglich sind, und die Reformen, die möglich sind, nicht zu machen, das halte ich nicht für klug oder verantwortungsvoll.
Was wäre klug?
Wir müssen uns heute neu auf die Ziele besinnen. Dort, wo der Glaube lebendig wird, sammeln sich junge und ältere Menschen wieder neu. Wer sagt: "Das ist mir zu theoretisch", der sucht nach schnellen Lösungen. Und schnelle Lösungen - das sehen wir im Finanzbereich - sind nicht nachhaltig und führen in noch größere Katastrophen.
Sie haben in einem Interview gesagt: "Das können wir von den Juden lernen, die kennen auch nur männliche Priester." Man könnte entgegenhalten: Bei den Juden hat ein Priester Frau und Kinder, sonst gilt er als nicht angekommen im Leben. Sind Vergleiche mit Juden, Protestanten oder Orthodoxen nicht eher kontraproduktiv?
Ich habe oft gesagt, ich habe kein Problem mit verheirateten Priestern, weil ich selber zuständig bin für verheiratete Priester der ostkirchlich katholischen Gläubigen in Österreich, das sind hervorragende Priester. Trotzdem ist der Weg der römisch-katholischen Kirche aus meiner Sicht ein sinnvoller und guter, der sicher nicht in Österreich und von Österreich aus geändert wird.
Und von Rom aus?
Das Zweite Vatikanische Konzil, die Bischofssynoden, vor allem auch die kontinentalen Bischofssynoden in Afrika, Lateinamerika und Asien haben sich klar dagegen ausgesprochen. Wir müssen ein bisschen vom hohen Ross steigen. Europa wird das lernen müssen, auch kirchlich. Wir glauben immer noch, wir, die europäische Kirche, sind das große Vorbild. In Wirklichkeit haben wir zu lernen von den Kirchen Afrikas, Lateinamerikas, Asiens. Wir erleben dort eine junge, lebendige Kirche, die sich diese Fragen nicht stellt.
Bei uns hat diese Fragen - im Rahmen der Pfarrer-Initiative - ausgerechnet Helmut Schüller aufgeworfen, Ihr ehemaliger Generalvikar, mit dem Sie in den Neunzigerjahren als Erfolgsteam galten. 1999 haben Sie Schüller nach Meinungsverschiedenheiten per Brief entlassen, das war mit großer Aufregung verbunden. Sie haben sich entschuldigt. Wie stehen Sie heute zu Helmut Schüller?
Die Pfarrer-Initiative ist Sache einer ganzen Gruppe. Aber es ist ein Mediengesetz, dass man personalisiert, und da wird das gerne Schüller - Schönborn gespielt. In Wirklichkeit betrifft es alle Diözesen und alle Bischöfe. Dass es zwischen uns beiden aus der Geschichte unserer Zusammenarbeit ein schmerzliches Kapitel gibt, ist eine Tatsache. Aber ich habe mich sehr darüber gefreut, dass Helmut Schüller in unserem Diözesanprozess "Apostelgeschichte 2010" im Leitungsteam aktiv und sehr kreativ mitgearbeitet hat. Ich hoffe, das wird auch in Zukunft so sein.
Schüller selbst betont, für ihn komme keine andere Kirche als die römisch-katholische als Heimat infrage ...
... und ich hoffe auch, dass er dabei bleibt.
Der deutsche Journalist und Autor Matthias Matusek hat vor Kurzem einen Bestseller geschrieben: "Das katholische Abenteuer - eine Provokation". Darin beklagt er, dass in der Kirche alltägliche Themen erörtert würden, anstatt sich auf "Weihrauch, Mystik und Gott" zu beziehen. Sehen Sie in der Mystik ein zeitgemäßes Verkaufsargument?
Karl Rahner hat gesagt: "Das Christentum des 21. Jahrhunderts wird mystisch sein, oder es wird nicht sein." Da ist eine große Wahrheit drin. Ich bin mit 18 ins Kloster gegangen (Dominikanerorden, Anm.) , nicht um Politik oder Kirchenreform zu treiben, sondern um einen inneren Ruf nach einem Leben der Gottsuche zu folgen.
Ein Punkt, der heute oft kritisiert wird, ist die Erbsündentheorie. Sie vertreten diese. Erinnern Sie sich, was Sie als Kind gebeichtet haben?
Schon, ja. Denkt nach. Was hab ich genascht, was hab ich gestohlen, und dass man was mit der Unkeuschheit zu beichten hat, ist erst viel später dazugekommen. Das Hauptthema für mich war, überhaupt in diesen Kasten hineinzugehen. Ich hatte das Glück, dass wir einen wunderbaren Pfarrer hatten. Ich werde nie vergessen, wie der mir als Bub gesagt hat: "Du solltest mit deinem Bruder besser umgehen."
Ihr jüngerer Bruder spielt derzeit in Wien den Pfarrer im Musical "Sister Act". Sie waren bei der Premiere. Ihr Buder ist geschieden und bekennt sich dazu, kein Kirchgänger zu sein. Wie kommt das beim Kardinal an?
Es kommt so an, wie es der Realität entspricht. Ich bin ja auch ein Mensch, ein Suchender, ein Kämpfender, der sich in der Normalität des Alltags seiner Mitmenschen und seiner Geschwister wiederfindet.
Ihr Bruder war Schüler an der Odenwaldschule, von der schwere Missbrauchsfälle bekannt geworden sind. Er sagt, er sei persönlich nicht betroffen gewesen. Haben Sie mit ihm darüber gesprochen?
Sehr intensiv. Er war genau zu der Zeit dort, als das geschah. Auch mit meinem älteren Bruder habe ich viel geredet. Er war im Werkschulheim Felbertal, die Entlassung des damaligen Direktors hatte dieselben Gründe. Ich weiß von meinen beiden Brüdern, dass es diese Realität gibt. Und dass es sie in der Kirche gibt, ist umso schlimmer.
In Irland wird die Aufhebung des Beichtgeheimnisses diskutiert, wenn es um Kindesmissbrauch geht.
Ich glaube, eine radikale Reinigung ist notwendig. Das Beichtgeheimnis darf nie gebrochen werden, aber die Absolution zu geben in bestimmten Situationen, ist fahrlässig.
Noch eine Frage mit Blick auf den Stephansdom: Die Besucher der Heiligen Messe werden weniger, aber große Kirchen sind voll - mit Touristen, die nicht der Andacht wegen kommen. Wird die Kirche zur Tourismusattraktion?
Der Dom ist das meistbesuchte Monument Österreichs mit mehr als fünf Millionen Besuchern im Jahr. Aber es gibt einen Raum der Stille, die Eligiuskapelle, wo von sechs Uhr Früh bis zehn Uhr Abend eucharistische Anbetung ist. Das ist ein schönes Bild für wie ich mir Kirche wünsche: Sie hat diese Herzkammer, in der das Geheimnis gehütet und gelebt wird. Die Herzkammer pulsiert und gibt dem ganzen Leben. Dann darf der Dom ruhig weit offen sein für alle, die vorbeikommen und ihre touristischen und auch religiösen Interessen ausleben wollen.