Russland: Testlauf gegen den Kreml
Von Stefan Schocher
Aus dem Marsch der Millionen ist einer der einigen Tausend geworden: Was am Dienstag als riesiger Protestzug in Moskau gedacht war, hatten schon die Behörden für maximal 50.000 Teilnehmer genehmigt. Knapp 20.000 waren es letztlich laut Behördenangaben – trotz Gewitters und Platzregens. Währenddessen sprachen Organisatoren von mehr als 100.000 Teilnehmern.
So oder so – es war die erste große Kundgebung in der russischen Hauptstadt seit der Niederschlagung einer Demonstration am Vorabend der Amtseinführung von Präsident Wladimir Putin am 7. Mai. Und es war die erste Kundgebung nach Inkrafttreten des neuen drakonischen Versammlungsgesetzes, das existenzbedrohend hohe Geldstrafen für die Teilnahme an oder Organisation von ungenehmigten Kundgebungen vorsieht.
Ein Testlauf also. Einer, der erst nach langen Verhandlungen zwischen den Behörden und den Organisatoren genehmigt worden war. Denn am Dienstag beging Russland einen seiner höchsten staatlichen Feiertage – den Tag Russlands, den Nationalfeiertag. Moskau glich denn auch einmal mehr einer Festung: 12.000 Sicherheitskräfte waren in der Innenstadt zusammengezogen worden.
Razzia
Was nebst den Sondereinsatztruppen und dem Gewitter viel schwerer für die Stimmungslage der Marschierenden wog, waren die Ereignisse des Vorabends. Da hatten maskierte Sicherheitskräfte Wohnungen gestürmt, durchsucht und Computer, Datenträger, Unterlagen sowie Bargeld mitgenommen. Es waren die Wohnungen des politisch am rechten Rand stehenden Anti-Korruptions-Aktivisten Alexej Nawalny, des Links-Front-Chefs Sergej Udaltzow, des Liberaldemokraten Ilja Jaschin sowie der Putin-kritischen TV-Showmasterin Xenia Sobtschak. Bei ihr wurde angeblich eine Million Euro gefunden.
Alle vier mussten sich am Feiertag um zehn Uhr bei der Polizei zur Befragung melden. Indirekt wird ihnen die Organisation von Massenunruhen am 6. Mai zur Last gelegt. Ein Zug der Behörden, den Beobachter einstimmig als Taktik deuten: Die vier sollten nur abgehalten werden, an der um elf Uhr beginnenden Demo teilzunehmen.
Mark Feigin, ein Sprecher von Jaschins liberal-demokratischer Bewegung Solidarnost sagte zu den Vorladungen: "Es gibt Kreml-freundliche Elemente innerhalb der Opposition. Der Kreml will auf Nummer sicher gehen, dass auch wirklich die die Show machen." Lediglich der Links-Aktivist Udaltzow widersetzte sich letztlich der Vorladung.
Die Machtdemonstrationen des Kreml scheinen letztlich einen Umstand zu untermauern: Russlands Führung hat zwar verstanden, wer ihr Gegner ist. Eine Generation, bei der all ihre Propagandamethoden versagt haben und zu der sie kaum mehr Zugang hat. Egal, ob diese Leute nun politisch oder demonstrativ unpolitisch sind. Was der Kreml nach Ansicht seiner Kritiker nicht verstanden hat: Dass Machtdemonstrationen in einer solchen Lage wie Ohnmachtsbekundungen wirken.