Politik

Russland: Schlappe zwingt Putin zu Kompromissen

Wir leben seit heute in einem anderen Land. Der Kaiser ist nackt und muss das zugeben, wenn er sich nicht lächerlich machen will.“ So kommentierte Boris Nemzow, einer der Führer der liberalen Opposition, den Ausgang der Parlamentswahl. Die Regierungspartei „Einiges Russland“ von Premier Wladimir Putin verlor nicht nur ihr satte Zweidrittelmehrheit in der Duma, sondern sogar die absolute Stimmenmehrheit. Nur durch Überhangmandate stellt sie im neuen Parlament mit 238 Sitzen mehr als die Hälfte der Abgeordneten.

Die Kommunisten dagegen kamen auf 92 Mandate (35 mehr als bisher), das linksnationale „Gerechte Russland“ auf 64 und die ultranationale Liberaldemokratische Partei auf 56 Sitze.

Weder die massive Behinderung von Opposition, Medien und Wahlbeobachtern, noch soziale Wohltaten und Manipulationen, auf die die Opposition Montagabend mit Protestkundgebungen reagierte, konnten den Absturz verhindern. Beobachter der Zivilgesellschaft meldeten gleich aus mehreren Regionen vom massenhaften Einwurf von Stimmzetteln zugunsten von „Einiges Russland“ noch vor Öffnung der Wahllokale; auch von „Karussells“: Gruppen meist kremlnaher Jugendlicher, die außerhalb ihres Bezirks abstimmten und mit der eigens dazu ausgestellten Berechtigung ein Dutzend Wahllokale abklapperten.

Stagnation statt Stabilität

Doch sogar westliche Beobachter glauben nicht, dass das Ergebnis dadurch wesentlich verfälscht wurde.

Russische Analysten sind sich einig, dass der Absturz der Putin-Partei auf Überdruss zurückzuführen ist. Statt auf neue Angebote habe „Einiges Russland“ auf Wahrung des Erreichten gesetzt. Auf Stabilität, die in Stagnation umgeschlagen ist, wie sogar Spitzenkandidat und Noch-Präsident Dmitri Medwedew frühzeitig warnte.

Matt trösteten er und Putin sich über die Niederlage mit der Erkenntnis hinweg, das „Einiges Russland“ stärkste Kraft bleibe. Dennoch: Bei Verfassungsänderungen muss sie künftig den Kompromiss mit der Opposition suchen. Medwedew sprach sogar von Koalition.

Querdenker

Experten wie der als Querdenker in Ungnade gefallene Ex-Chef der staatsnahen „Stiftung für effektive Politik“, Gleb Pawlowski, sind vorsichtiger: Die Einheitsrussen würden nur punktuell und mit wechselnden Partnern kooperieren. Allein um die Fiktion des Machtmonopols aufrechtzuerhalten, würden sie sich, anders als in westlichen Demokratien, nicht per Koalitionsvertrag an Juniorpartner ketten, sondern versuchen, diese gegeneinander auszuspielen.

Ex-Premier Michail Kasjanow warnte die erfolgreichen Oppositionsparteien: Sollten sie sich aus purem Opportunismus mit Putin arrangieren, so könnte die Enttäuschung der Wähler in Wut umschlagen und sogar Unruhen auslösen.

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