Russland lässt Alt-AKW am Netz
Von Stefan Schocher
Tschernobyl ist lange her und die Debatten um Fukushima sind in Russland nicht angekommen. Dass die Atomenergie eine Säule der Energieversorgung ist, die in Russland eher ausgebaut als eingemottet werden soll, daran hat die Führung in Moskau nie einen Zweifel gelassen. Und auch nicht daran, dass die Laufzeiten für alte Reaktoren wohl verlängert werden würden. Vor der UN-Atomenergiebehörde IAEO in Wien wurden die russischen Pläne jetzt präsentiert. Sergei Kirienko, dem Generaldirektor der staatlichen Atomagentur Rosatom, wurde diese Aufgabe überlassen.
Um 15 Jahre soll die Laufzeit aller Reaktoren sowjetischer Bauart verlängert werden - auf 45 Jahre. Unter den betroffenen Reaktoren sind elf von der Bauart Tschernobyls in der Ukraine.
Ausgelegt sind diese Reaktoren eigentlich auf eine Laufzeit von 30 Jahren. Und auch wenn Kirienko vor der IAEO versicherte, dass die Sicherheitsüberprüfungen in diesen Kraftwerken verstärkt würden, so sorgte die Ankündigung doch für einigermaßen Verwunderung bei der IAEO. Denn zum einen ist die Verlängerung um 15 Jahre eine unüblich lange. Und zum anderen besitzen Reaktoren dieser Bauart kein Containment, also keine Schutzhülle, die im Falle einer Havarie die Umwelt vor dem Reaktorinneren abschirmt. Die EU hatte Russland lange und wiederholt gedrängt, die Reaktoren dieses Typs abzuschalten. Vergeblich. Jetzt soll das jüngste dieser Kraftwerke bis 2035 laufen.
Atom-Bekenntnis
Der russische Schritt resultiert aus einer Reihe von Umständen. Vor allem aber hat sich Moskau immer zur Atomenergie bekannt. Rosatom hält die Atomkraft auch durchaus für eine zukunftsträchtige Energieform, die sich exportieren ließe und hofft auf einen globalen Markt von weltweit bis zu 300 neuen Reaktoren in den nächsten 20 Jahren.
Nicht zuletzt waren ein Ausbau und die Modernisierung der russischen Reaktor-Flotte geplant, ehe die Wirtschaftskrise mit all ihren budgetären Einbrüchen diese Pläne durchkreuzte. Zugleich aber hängt das russische Wirtschaftswachstum massiv an der ohnehin hinterherhinkenden Stromversorgung - ebenso wie ganze Städte, deren Warmwasserversorgung beinahe ausschließlich durch Atomkraftwerke erfolgt, wo Warmwasser aufbereitet und in städtische Leitungssysteme gepumpt wird.
Derzeit werden rund 16 Prozent des russischen Strombedarfs aus Atomkraftwerken eingespeist. Rosatom hegt Pläne, diesen Anteil langfristig auf bis zu 30 Prozent anzuheben.
Hinter Russlands Affinität zur Nuklearenergie steht vor allem aber auch die Überlegung, dass sie den Weg frei macht, um möglichst viel des eigenen Gases durchzuleiten und nach
Westeuropa zu exportieren. Und genau das ist der größte Angriffspunkt für Kritiker der russischen Nuklear-Ambitionen. Moskau versuche, aus den alten Meilern noch herauszuquetschen, so viel nur gehe, anstatt neue, teure, dafür aber sicherere Reaktoren oder vielleicht sogar Gas-Kraftwerke zu bauen - eben nur, um noch mehr Gas exportieren zu können.
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