Politik

Neulerchenfeld: "Drehbuch schreibt Gott"

Mit Helmut Schüller und seiner ungehorsamen Pfarrer-Initiative hat Tadeusz Cichon gar nichts am Hut. Und dennoch verbindet die Reformwilligen und den polnischen Pfarrer von Neu­lerchenfeld in Ottakring etwas Bedeutendes: Während Schüller am Sonntag bei der Generalversammlung der Initiative in Linz gegen die drohende Auflösung von Pfarren mobil macht, hängt dieses Damokles-Schwert bereits über Neulerchenfeld.

Schenkung

Vor rund zwei Jahren verkündete Kardinal Christoph Schönborn, die Pfarre der serbisch-orthodoxen Gemeinde über­geben zu wollen. Das nahm die Pfarrgemeinde so nicht hin – und berief dagegen. Die Sache liegt seither im Vatikan. "Nach so einer langen Zeit warte ich nicht mehr auf eine Entscheidung. Ich freue mich über jeden Tag, den ich hier sein kann", sagt Pfarrer Cichon.

Verstehen kann die Überlegung der Diözese hier keiner. "Es gibt offizielle Statistiken. Wir haben sonntags im Durchschnitt 777 Gläubige bei den Messen. Damit gehören wir zu den best­besuchten Kirchen der Erzdiözese." Und auch das Durchschnittsalter der aktiven Gläubigen sei vergleichsweise niedrig.

Das war nicht immer so. "Als ich vor acht Jahren in diese Pfarre gekommen bin, habe ich gedacht: In ein paar Jahren bin ich hier der Letzte und drehe das Licht ab", erzählt Cichon. Das hat sich geändert. Und zwar dank einer hoch aktiven polnischen Kirchengemeinde, die nun für ein volles Gotteshaus sorgt und sogar eine eigene Messe feiert. Das gefällt auch den Ur-Wienern. "Jeder hilft, wo er kann. Wir sind eine eingeschworene Gemeinschaft", sagt Pfarrmitglied Gerd Grün. "Mit einer Auflösung würde man diese Gemeinschaft zerschlagen. Die Pfarre würde enteignet werden." Pfarrer Cichon drückt es diplomatischer aus: "Versetzt man einen blühenden Baum?"

Unsicherheit lähmt

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Die ungewisse Zukunft hat aber schon jetzt Auswirkungen. "Die Unsicherheit lähmt uns", erklärt der Geistliche. Nötige Renovierungsarbeiten wurden auf die lange Bank geschoben, eine geplante neue Jugendgruppe wird derzeit nicht realisiert. Und bei der jüngsten Wahl des Pfarrgemeinderates nahm man erst gar nicht teil.

Kirchen gibt es im Umkreis einige. Doch die Gläubigen hängen an der Pfarrkirche aus dem 18. Jahrhundert, die der "schmerzhaften Mutter Gottes" geweiht ist. "Ich kenne die Kirche seit meiner Kindheit. Und ich erinnere mich auch noch daran, wie es ausgesehen hat, als die Bomben im Zweiten Weltkrieg eingeschlagen sind", sagt Robert Toder. Er kommt regelmäßig hierher und zündet eine Kerze an.

Und auch die junge Julietta Rustaj ist jeden Sonntag hier. "Ich mag den Pfarrer, ich mag den Gottesdienst. Eine Auflösung ist gar keine gute Idee."

An diese drohende Auflösung werden die Gläubigen bei jedem Kirchenbesuch erinnert. Transparente sorgen dafür, dass das drohende Schicksal immer gegenwärtig ist. "Aber", sagt der Pfarrer, "das Drehbuch schreibt der liebe Gott."

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Philosophisches zu Schüllers 60. Geburtstag

Sein "Aufruf zum Ungehorsam" fand viele Anhänger – auch unter profilierten Autoren. So entstand zu Helmut Schüllers 60. Geburtstag eine Sammlung von Gedanken über den "Ungehorsam" – von Gewissen und Loyalität über legalen Widerstand bis zum Drängen nach Veränderungen. Herausgeber Herbert Kohlmaier betont, das Buch sei "mehr als eine Festschrift: Das Thema des ‚Ungehorsams" als Mittel des Widerstands tritt in den Vordergrund, nicht nur bei der Kirche. Es ist unübersehbar: Wir sind in einer Phase der Geschichte gelangt, wo sehr vieles auf dem Prüfstand steht."

Ungehorsam ist laut Philosoph Konrad Liessmann unbequem ("Gehorsam entbindet den Menschen von der Mühe, sich einen eigenen Willen überhaupt erst zu formieren und durchzusetzen"), und nicht immer unumstritten gewesen – Erhard Busek: "Der Maria-Theresien-Orden beim alten Militär wurde dann vergeben, wenn ein Offizier gegen den Gehorsam gehandelt hat. Offensichtlich hat die Autorität damals eingesehen, dass ein solches Verhalten quasi mehr retten kann als blinder Befehlsgehorsam."

Das Buch liefert aber auch Einblick in Schüllers Wirken. Sein Nachfolger als Caritas- Präsident Franz Küberl beschreibt ihn als "Dynamiker des Evangeliums, dieser spitzbübische Intellektuelle, dieser kraftvolle Überzeugungsredner, dieser scheinbar nie älter werdende, immer rastlose Mann Gottes."

BUCHPRÄSENTATION: (freier Eintritt) Montag, 22. 10., ab 17 Uhr in der Mensa der Wirtschaftsuniversität Wien