Politik

"Menschen für Menschen": Einsatz in Äthiopien

Wenn sich die Sonne über dem äthiopischen Hochland senkt, ist das für die Kinder von Zewde Tessema das Zeichen zum Aufbruch. Bevor es dunkel wird, muss noch schnell der neue „Reichtum“ eingesammelt werden. Mit Stöcken treiben sie ein Dutzend Rinder, mehrere Esel und eine kleine Herde Schafe sowie Ziegen von den kargen Weideflächen auf den umzäunten Bauernhof. Der Platz zwischen Verschlag, Getreidespeicher und Wohnhütte wird lebendig und füllt sich, früher waren dort nur Niedergeschlagenheit und Leere – so wie oft genug auch in den Mägen der Familie.

 

Herde wuchs, Wohlstand auch

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„Bis vor sieben Jahren hatten wir kein einziges Tier. Wir hatten zu wenig zu essen und konnten das Schulgeld für unsere Kinder nicht bezahlen“, erzählt die 36-jährige Zewde Tessema in ihrem Dorf Mamo Bukune im Bezirk Derra. Doch dann habe sie von einem Mikro-Kredit-Programm der Hilfsorganisation „Menschen für Menschen“ (MfM; siehe unten) profitiert. „Im Jahr 2005 habe ich 1500 Birr (heute rund 68 Euro) aufgenommen und damit drei Schafe und Ziegen gekauft.“ Die Herde wuchs, der bescheidene Wohlstand auch. Jetzt denkt die geschäftstüchtige Frau, die zudem einen kleinen Getreidehandel aufgezogen hat, an den Bau eines Gästehauses im Hauptort Gundo Meskel.

Von 1997 an war MfM in Derra aktiv. Damals hatten bloß 13 Prozent der Kinder die Möglichkeit, eine Schule zu besuchen, jetzt sind es 87 Prozent. Dazu kommt: Neun von zehn Einwohnern des Distrikts haben nach Quell-Fassungen und Brunnenbohrungen (samt Bewässerungskanälen für die Landwirtschaft) nun Zugang zu sauberem Trinkwasser, vor 15 Jahren waren es gerade einmal zwei Prozent. „Mission erfüllt“, hieß es daher 2010, MfM übergab die Verantwortung an die lokale Bevölkerung und widmet sich seither einer neuen Region.

Ginde Beret nennt sich der Bezirk. Im größten Ort Kachissi findet man keine einzige Übernachtungsmöglichkeit mit Fließwasser. Ein paar heruntergekommene Bars gibt es an der staubigen Hauptstraße von Kachissi, das an einer Geländeabbruchkante mit 400 Höhenmetern liegt. Und den Markt. Mehrmals pro Woche schultert Tilahun Bayisa Gemüse aus seinem Garten und schleppt es nach oben, um es zu verkaufen. Oder Teff, um es mahlen zu lassen – die spezielle Getreideart, die zu Fladen verarbeitet wird, ist das Grundnahrungsmittel hier. Zunächst geht es gemäßigt dahin, am Schluss senkrecht – über eine Holzleiter. Steinschlag und Ausrutscher kosteten schon viele Menschen das Leben. „Jetzt bauen wir mit den Dorfbewohnern einen befestigten Steig“, sagt Berhanu Bedassa, MfM-Distriktmanager. Zudem konnte er Tilahun Bayisa davon überzeugen, auch andere Gemüsesorten, wie Mangold oder Kohl, anzubauen. Die Einnahmen haben sich verdreifacht.

Voller Stolz führt der vierfache Familienvater durch seine „grüne Speisekammer“. Dann übernimmt seine Frau Leritu und präsentiert den neuen „Sparofen“ aus Lehm: „Ich brauche viel weniger Kuhdung (die getrockneten Fladen werden als Brennmaterial verwendet, weil es durch die Abholzung ohnehin kaum noch Holz gibt) , und alles geht viel schneller. Ich erspare mir pro Tag zwei Stunden.“

„Menschengras“

Diese gewonnene Zeit nützt sie unter anderem, um mit ihrem Ehemann „Menschengras“-Streifen auf den Teff-Feldern anzulegen. Eigentlich heißt das Gewächs Vetivergras, erhielt aber von den Bauern den anderen Namen, weil es von der Organisation „Menschen für Menschen“ eingeführt worden war. Die festen Wurzeln der Pflanze, die überdies als Futtermittel dient, soll die Bodenerosion stoppen.

Hintergrund: Durch die Bevölkerungsexplosion ( Äthiopien hat bereits an die 90 Millionen Einwohner, von denen 84 Prozent in der Landwirtschaft tätig sind) werden die Anbauflächen knapp. Daher werden die letzten Wälder gerodet, an den steilen Hängen schwemmt der Regen die fruchtbare Krume weg.

„Vom Ofen über Vetivergras bis zum Bevölkerungswachstum, das wir durch Familienplanung in den Griff bekommen wollen – man sieht: Alles hängt zusammen. Deswegen haben wir einen integralen Entwicklungsansatz gewählt“, sagt Berhanu Negussie, nationaler MfM-Koordinator. Der Mann war der erste Mitarbeiter von Karl-Heinz Böhm in Äthiopien, als dieser 1981 nach seinem legendären „Wetten, dass ..?“-Auftritt die Organisation gegründet hatte.

Zu den vernetzten Aktivitäten zählen neben Trainings und Bewusstseinsbildung auch die Errichtung von Gesundheitszentren samt Aids-Tests und -Beratung sowie der Schulbau. Schulen aus Ziegelsteinen, wo die Kinder nicht immer wieder Lehm und Kuhdung mitnehmen müssen, weil der letzte Regenguss den Außenwänden zu sehr zugesetzt hat.

„Die Situation der Menschen in Ginde Beret hat sich in nur einem Jahr klar verbessert“, sagt Abebech Megewo, in der Lokalbehörde zuständig für Soziales, „aber fast noch wichtiger ist die Mentalitätsänderung, seitdem die Organisation ,Menschen für Menschen‘ bei uns ist. Früher waren die Frauen nur in ihren Hütten, jetzt sind sie herausgekommen. Das ist ein ganz neues Lebensgefühl, das niemanden mehr loslässt.“

Erfolgsstory: „Menschen für Menschen“

Projektgebiete Insgesamt unterstützt die Organisation 4,6 Millionen Äthiopier. Die Projektgebiete erstrecken sich auf 50.000 Quadratkilometern (zwei Drittel der Fläche Österreichs).

Bisherige Bilanz Seit 1981 wurden 285 Schulen errichtet sowie 100 Krankenstationen, Polikliniken und Spitäler erbaut oder erweitert. 350.000 Frauen erhielten im Rahmen der Familienplanungsprogramme Verhütungsmittel. Eine halbe Million Menschen nahmen an HIV-Beratungen teil oder unterzogen sich dem Test. 250.000 Äthiopier besuchten Alphabetisierungskurse, knapp 87.000 Landwirtschaftstrainings. 1598 Wasserstellen wurden geschaffen. Fast 5000 ha wurden wieder aufgeforstet – mit 112 Mio. Setzlingen aus 323 Baumschulen.

Mitarbeiter In Äthiopien sind 776 Männer und Frauen angestellt, darunter nur fünf Ausländer, in Wien zehn.

Spenden PSK 7,199.000. BLZ: 60.000.

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