Was die Digitalisierung mit dem Bildungssystem anstellt
Von Christian Böhmer
Die App, die Alexander Marktl mit seinem Team entwickelt hat, ist ein „Top-Seller“, wie es neudeutsch so schön heißt.
Allein während Sie diesen einen Satz gelesen haben, haben zwischen 15 und 25 Menschen Marktls App „iTranslate“ heruntergeladen.
270.000 jeden Tag, acht Millionen pro Monat, zusammengerechnet mehr als 150 Millionen weltweit.
Wer wissen will, was die Digitalisierung bringt, wo sie hinführt und vor allem was Österreich tun muss, um hinter Asien oder dem Silicon Valley nicht zurückzubleiben, der muss mit Menschen wie Alexander Marktl sprechen.
Der KURIER hat genau das getan, mehr noch: Die KURIER-Reporter waren in iPad-Klassen unterwegs, um die neuen Möglichkeiten dieses Schul-Alltags zu erleben; sie haben Kurse für Menschen besucht, die noch nicht fit im Umgang mit Internet und Smartphones sind; und sie haben sich von Experten erklären lassen, wie sich die Arbeitswelt durch die Digitalisierung verändern wird.
In der der neuen Serie „Digital? Normal!“ ist all das zu lesen.
Zu den zweifelsohne spannendsten Fragen – und damit ist man wieder bei Firmengründer Alexander Marktl – gehört wohl diese: Ist Österreichs Bildungssystem ausreichend vorbereitet? Oder werden uns junge Softwaretechniker und -Entwickler aus Asien bald alle Jobs wegnehmen?
„Im kreativen Bereich sind wir gut aufgestellt. Unsere humanistische Grundausbildung hilft uns, komplexere Probleme in Angriff zu nehmen“, sagt Marktl.
Fehlende Basis
Beim digitalen Grundverständnis gebe es aber noch Luft nach oben.
Marktl merkt das, wenn er Mitarbeiter sucht. „Was wir in unserer Firma tun, lernt man nicht an der Universität. Daher achten wir beim Einstellen primär nicht auf das absolvierte Studium.“
Wie findet er dann sein Personal? „Entscheidend sind Grundfertigkeiten am Computer. Das, was man ein Basis-Verständnis nennen könnte.“
Genau das aber müsse man schon im Gymnasium vermitteln. Marktl: „Den Schülern muss die Angst vor dem Programmieren genommen werden. Ich würde das als Hauptfach wie Deutsch oder Mathematik im Gymnasium einführen, damit die Schüler die Scheu verlieren.“
Nicht jeder werde Mathematiker, nur weil er Mathematik in der Schule hatte. „Aber er oder sie bekommt Grundbegriffe vermittelt – und genau das würde uns bei der Bewältigung der Digitalisierung helfen.“
Mut zu Experimenten
Einen sanften Mentalitätswandel wünscht sich Josef Eberhardsteiner, Vizerektor der Technischen Universität Wien. Eberhardsteiner ist ab Jänner auch Vizerektor für die Digitalisierung – der erste in Österreich.
„Generell sollten wir bei der Digitalisierung viel mehr Experimente machen. Wir müssen neue Wege ausprobieren, uns etwas trauen.“
Was heißt das für das Bildungssystem?
„Man muss sich zum Beispiel überlegen, was didaktisch geändert werden kann. Muss es an Gymnasien und Universitäten so viel Frontal-Unterricht und -Vorlesungen geben? Oder können sich die jungen Menschen nicht einfach mit Online-Vorträgen vorbereiten – und dann in vertiefenden Seminaren mit den Professoren arbeiten?“
Noch könne man auf YouTube kein Studium absolvieren. „Aber wer sagt, dass das so bleiben muss?“
Für Eberhardsteiner ist entscheidend, dass sich unter anderem die Haltung zum Scheitern ändert. „Das ist einer der auffälligen Erfolgsfaktoren im Silicon Valley. Davon kann man lernen.“
Was genau mit dieser Haltung gemeint ist, erklärte ein Herr namens Eric Schmidt vor wenigen Wochen Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Schmidt war vor wenigen Jahren Chef des Google-Konzerns. Und als solcher hat er vorzugsweise Jung-Unternehmer angeheuert, die zuvor schon zwei-, dreimal Pleite waren.
Warum ausgerechnet diese Menschen? „Weil sie viel Erfahrung gesammelt haben. Bei jeder Pleite haben sie Fehler gemacht, die sie in Zukunft vermeiden wollen. Das ist ein Vorteil, den man nutzen kann“, sagt Schmidt.
Der Erfolg gibt Schmidt recht. Sein geschätztes Privatvermögen derzeit: rund zwölf Milliarden Euro.
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