Politik/Inland

Wissenschaftler-Ampel: Wien und Innsbruck rot

Rund um die erste Schaltung der Corona-Ampel gingen die Wogen gehörig hoch. Vor allem in Linz konnte man die Ampelfarbe "gelb" nicht nachvollziehen. Für den Komplexitätsforscher Peter Klimek gibt es gute Gründe für diese Einstufung, die vielen Indikatoren machen die Nachvollziehbarkeit aber schwierig. Methodisch sei hier jedoch alles klar, die politische Einordnung allerdings eine andere Sache.

Schon seit dem April betreiben Wissenschafter des Complexity Science Hub Vienna (CSH) und der Medizinischen Universität Wien eine eigens entwickelte "Corona-Ampel". Darin sind die positiv getesteten Fälle pro 10.000 Einwohner innerhalb der vergangenen 14 Tage nach Bezirken aufgeschlüsselt, die Entwicklung lässt sich mithilfe einer Zeitleiste im Tagesverlauf verfolgen. "Obwohl wir der Complexity Science Hub sind, hat unsere Ampel wenig mit Komplexität zu tun", sagt Klimek im Gespräch mit der APA.

Im Gegensatz dazu berücksichtigt die Regierungampel mit Indikatoren zur Kontaktnachverfolgung, zur Anzahl der Tests und zu den Spitalskapazitäten deutlich mehr Informationen. Das sei "auf jeden Fall sinnvoll, weil das Infektionsgeschehen so komplex ist", so der Wissenschafter.

"Unser System war dazu gedacht, ein schnell verfügbares, regionales Informationssystem zu haben. Dass das dann so ein Eigenleben entwickelt hat, hat uns auch überrascht", sagte Klimek. Um Verwechslungen vorzubeugen, hat man seit dem Start der offiziellen Ampel einen erklärenden Text auf der Website mit Link zur Regierungsampel eingefügt.

Fast alle Landeshauptstädte mindestens gelb

Setzte die erste - bereits umstrittene - Schaltung der Ampel-Kommission Wien, Linz, Graz und den Tiroler Bezirk Kufstein auf gelb ("mittleres Risiko"), so gilt dies bei der CSH-Ampel für weite Teile Österreichs. Mit Stand 8. September sind dort bis auf Klagenfurt alle Landeshauptstädte mindestens gelb (zwischen einem und zehn Fällen pro 10.000 Einwohner). Neuerdings sind mit Wien und Innsbruck zwei Hauptstädte rot eingefärbt - sie verzeichneten im letzten Zwei-Wochen-Zyklus mehr als zehn Fälle pro 10.000 Einwohner.

"Grundsätzlich ist im urbanen Raum mit höheren Zahlen zu rechnen, und das bildet sich zunehmend auch in Österreich ab", betonte Klimek. Das liegt etwa an der tendenziell größeren Zahl von Personen in prekären Lebens- und Arbeitssituationen in Städten oder daran, dass bei fallenden Temperaturen sich das städtische Leben nochmals mehr in geschlossene Räume verlegt.

Auch im Fall der viel kritisierten Einstufung der oö. Landeshauptstadt habe der zeitliche Verlauf eine Rolle gespielt, so der Forscher. Selbst wenn dort aktuell gar nicht so viele Fälle registriert werden, "hat es hier schon viel nachhaltiger und über einen längeren Zeitraum höhere Fallzahlen gegeben". Außerdem war der Anteil der Erkrankten, die das SARS-CoV-2-Virus quasi aus dem Urlaub mitgebracht haben, in Linz mit um die 30 Prozent weit niedriger als anderswo (meist um die 60 Prozent). "Das heißt, dass es in Linz viel mehr Hintergrunddynamik gibt, als das in anderen Landeshauptstädten der Fall war. Das Virus hat sich dort eine breitere Basis schaffen können", sagte der Komplexitätsforscher.

Methodisch klar, politisch noch nicht

Die Diskussion darüber sei prinzipiell gut, denn so komme man hoffentlich bald auf ein System, in dem besser nachvollziehbar wird, warum man wo welche Präventionsmaßnahmen vorschlägt und umsetzt. Gerade in der Transparenz bei der regionalen Gestaltung der Schärfe der Maßnahmen liege ein wichtiger Schlüssel für die kommenden Monate: "Das kann in der einen oder anderen Form so eine Ampel schon liefern." Das politische Prozedere drum herum werde zwar noch ausgehandelt, "auf methodischer Ebene ist die Sache ziemlich klar", so Klimek.

Insgesamt sollte mehr Augenmerk darauf gelegt werden, wie die vielschichtigen Informationen zu Covid-19 in Richtung Bevölkerung kommuniziert und visuell aufbereitet werden. "Weil die Wahrscheinlichkeit, dass wir zumindest in einzelnen Regionen irgendwann wieder schärfere Maßnahmen brauchen werden, ist relativ hoch." Hier gelte es sachlich zu argumentieren, die Sinnhaftigkeit von Einschränkungen hervorzustreichen und nicht auf Angst und Strafandrohungen zu setzen, meint der Wissenschafter.