Chronik/Wien/Wien-Wahl 2020

Noch härter: Nach Oberösterreich ist vor Wien

Wer hätte das gedacht?

Vor einem Jahr, selbst vor ein paar Monaten war es noch unvorstellbar, dass das Rote Wien ins Wanken kommen würde.

Bis Sonntag haben skeptische Zeitgenossen den "Kampf um Platz 1" noch für einen Mobilisierungsschmäh der SPÖ gehalten. Doch seit Sonntag ist alles anders.

In Oberösterreich lag die ÖVP um satte 21 Prozent vor der FPÖ. Nach diesem denkwürdigen Wahltag führt sie jetzt nur noch mit knappen sechs Prozent. Wäre Langzeit-Landeshauptmann Josef Pühringer nicht ihr Spitzenkandidat gewesen, "hätten wir am Sonntag zuschauen können, wie wir auf den zweiten Platz zurückfallen", erzählt am Montag ein immer noch geschockter Mitarbeiter der Landes-ÖVP.

Die Wiener SPÖ traf das Oberösterreich-Ergebnis nicht unvorbereitet. "Wir waren durch die Umfragen vorgewarnt", sagt Bürgermeister Michael Häupl. Bereits letzte Woche affichierte die SPÖ dramatisch: "Es geht um jede Stimme."

Mit Anstand gegen FPÖ

Wie zu erwarten ändert Häupl nach Oberösterreich an seiner Flüchtlingspolitik keinen Millimeter. Er hat von Beginn an "mit Anstand und Menschlichkeit" einen Kontrapunkt zur FPÖ gesetzt.

Der Bürgermeister selbst wird bis zur Wahl mit "Musik in Rot-Weiß-Rot" durch die Außenbezirke tingeln. Er wird bis zur letzten Minute am 10. Oktober auf dem rot-blauen Battleground, dem Viktor-Adler-Markt, um Stimmen werben. Er wird sich auf ATV am Sonntag und im ORF am Montag Fernsehdiskussionen stellen und am 9. Oktober im SPÖ-Zelt vor der Löwelstraße bei der Schlusskundgebung nochmals die Wähler mobilisieren.

Gestern redete sich Häupl für den Endspurt bereits warm: "Herr Strache will Bürgermeister von Wien werden. Ich habe aber nicht die Absicht, ihm diesen Job zu geben."

Strache im Getümmel

Der Herausforderer, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, wirft sich ebenfalls ins Getümmel. Er tritt am 1. Oktober – gemeinsam mit seinem "Fang" aus der ÖVP, Ursula Stenzel – auf dem Meiselmarkt im 15. Bezirk auf. Er lädt am 3. Oktober zum "Favoritner Oktoberfest" auf den Viktor-Adler-Markt und wird darüber hinaus die "Stammersdorfer Sturmtage" und das "Simmeringer Straßenfest" besuchen.

Strache kandidiert auf der FPÖ-Liste für den Wiener Gemeinderat auf dem ersten Platz. Auch in den Flächenbezirken, wo sich die FPÖ viel Zulauf erhofft – Favoriten, Simmering, Floridsdorf und Donaustadt – steht er "als Zugpferd" auf Platz 1. Sollte es mit dem Bürgermeisteramt nichts werden, hat Strache angekündigt, als Klubobmann im Nationalrat zu bleiben.

Häupl sagte am Montag über seine Zukunft: "Ich übernehme die Verantwortung für jedes Wahlergebnis. Aber ich bin kein Hutdraufhauer. Ich vertschüsse mich nicht beleidigt, wenn es schlecht ausgeht."

Während sich ÖVP und SPÖ in Oberösterreich noch in einer Art Schockstarre befanden, war FPÖ-Obmann Manfred Haimbuchner schon auf dem Weg ins Bierzelt nach Bad Goisern. Dort war Kirtag. "Nach dem Wahltag feiern wir traditionell unseren blauen Montag", sagte der Sieger der Landtagswahl mit leicht beschlagener Stimme zum KURIER.

Er wisse wirklich noch nicht, wen er zum dritten freiheitlichen Landesrat machen werde, die Frage werde Dienstagabend in der Präsidiumssitzung beraten. Die Regionalität werde dabei eine wichtige Rolle spielen, "wir haben ein sehr, sehr starkes Innviertel". Die neue Sitzverteilung in der Landesregierung lautet: 4 ÖVP, 3 FPÖ, 1 SPÖ, 1 Grüne.

Die FPÖ hat den Wunsch, dass es bei der Ressortverteilung zu einer Kompetenzbereinigung kommt. Haimbuchner warnt die ÖVP: "Ein landesfürstliches Gehabe werden wir nicht akzeptieren, wir lassen uns auch nicht ausspielen." Er verlangt aber kein formelles Koalitionsabkommen, er ist auch mit einem Arbeitsübereinkommen oder einer Punktation zufrieden. Weil in Oberösterreich jede Partei in der Regierung vertreten ist, ist eine Koalitionsvereinbarung nicht unbedingt nötig – wenn auch üblich.

Entholzer verhandelt

Die Sozialdemokraten berieten Montagabend in einer Präsidiumssitzung die Lage. Gertraud Jahn wird ihren Regierungssitz verlieren, Parteivorsitzender und Wahlverlierer Reinhold Entholzer soll vorerst bleiben und mit einem Team die Koalitionsgespräche mit der ÖVP führen. Infrastrukturminister Alois Stöger erklärte, die Frage, ob er die Landespartei übernehme, stelle sich nicht.

Auch der ÖVP-Vorstand trat Montagabend zusammen. Wer aus der bislang fünfköpfigen Regierungsmannschaft fällt, soll erst am Ende der Koalitionsgespräche entschieden werden. Die Industrie macht sich jedenfalls für den Verbleib von Michael Strugl stark und verlangt für ihn ein Standortressort.