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Weltkriegsgedenken in Warschau – das „Wunder der Versöhnung“

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"Es gibt keinen anderen Platz in Europa, wo es mir so schwerfällt, meine Stimme zu erheben“, legte Frank Walter Steinmeier seine Gefühle an jenem historischen Gedenktag glaubhaft offen. Deutschlands Bundespräsident fackelte nicht lange herum, und stellte gleich klar: „Dieser Krieg war ein deutsches Verbrechen. Meine Landsleute wütenden jahrelang in dieser Stadt. Sie wollten alles Lebendige vernichten“.

Das Eingestehen von Schuld und das Leisten von Sühne ist etwas, was man beherrschen muss – und zwar mit dem nötigen Mix an Feingefühl, Empathie und vor allem Authentizität angesichts der historischen Dimension.

Diese Aufgabe meisterte Steinmeier eindrucksvoll. Sein Kniefall vor den Polen bei der Gedenkfeier in Warschau zu 80 Jahre Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September (die ersten Schüsse fielen um 4.40 Uhr am 1. September 1939 in der polnischen Kleinstadt Wielun) bewegte spürbar die Gäste beim Staatsakt. Seine Rede erntete mehr Applaus als jene von US-Vizepräsident Mike Pence, der für Donald Trump kurzfristig einsprang, weil der US-Präsident wegen des Hurrikans die USA nicht verlassen wollte.

Auch Merkel reiste an

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Applaus für Steinmeier von den Polen ist keine Selbstverständlichkeit: Sechs Millionen Polen verloren im Zweiten Weltkrieg ihr Leben. Rund 70 Prozent von Warschau waren am Ende des Weltkrieges zerstört – hauptsächlich verursacht durch die Deutschen. „Wir vergessen die Wunden nicht, die Deutsche Polen zugefügt haben“, betonte Steinmeier und fügte auf Polnisch hinzu: „Wir werden niemals vergessen.“

Überraschend reiste trotz der Wahlen in Sachsen und Brandenburg auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Zeremonie, wo vor allem die Garden des Militärs und der Marine im Stechschritt ihre Runden zogen, am Pilsudski-Platz bei 35° C Hitze. Merkel ging zwar über den roten Teppich, auf der Bühne der Staatschef aus mehr als 30 Ländern hatte das Protokoll keinen Platz für die mächtige Kanzlerin vorgesehen – sie nahm auf der Tribüne für die Delegierten Platz. Merkels Anwesenheit war eine wichtige Geste der Aussöhnung. So wie jener Satz, den Steinmeier mehrmals wiederholte: „Ich stehe heute barfuß vor dem polnischen Volk, als Mensch, als Deutscher. Ich bitte um Vergebung. Das ich hier stehe ist das lebendige Wunder der Versöhnung.“ Stilvoller kann man nicht um Vergebung für die deutschen Gräueltaten bitten.

Die polnische Regierungspartei PiS denkt übrigens daran, Reparaturzahlungen von Deutschland zu verlangen. Eine eigene Kommission im polnischen Parlament berechnet seit 2017 die Kriegsschäden und die Verluste Polens. Von rund 800 Milliarden Euro ist in Polen die Rede.

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Sobotka statt VdB

Für Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der verhindert war, sprang Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka ein. Er unterbrach den Wahlkampf in Niederösterreich für die Gedenkfeier. „Als Zeichen der Versöhnung finde ich es schade, dass Putin nicht eingeladen war“, so der Parlamentschef. Sobotka traf am Vormittag vor der Gedenkfeier auch noch polnische Zeitzeugen, die das Konzentrationslager Mauthausen überlebten.

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