Martin: "Ich war ein Prellbock gegen rechts"
KURIER: Sie haben über 15 Jahre lang als EU-Mandatar sehr viel Aufmerksamkeit genossen. Seit Ihrem Ausscheiden aus dem EU-Parlament vor einem Jahr hat man nichts von Ihnen gehört. Fehlt Ihnen die Öffentlichkeit schon?
Hans-Peter Martin: Keinen Bruchteil einer Sekunde. Ich hab’ es als Buchautor genossen und in bestimmten Politik-Phasen habe auch gerne Wahlkämpfe gemacht. Aber ich wurde nie zum Öffentlichkeitsjunkie. Ich schreibe jetzt an verschiedenen Texten und gehe leidenschaftlich gerne auf Skitouren. Es war mir überraschend möglich, am Rand von Lech ein ehemaliges altes Bauernhaus zu kaufen, das ich Stück für Stück renoviere.
Sie haben keine Erben für Ihre Liste Martin. Schmerzt Sie das?
Damit war ja zu rechnen, weil das Ganze als Ein-Personen-Projekt angelegt war. Ich wollte zeigen, dass man auch als Einzelner mit Mut und Engagement Dinge aufzeigen und etwas bewegen kann. Ja, ich hätt’s aber gern gehabt, dass das fortgeführt worden wäre. Aber ich habe nicht nur bei der Personalauswahl versagt, sondern mein geplanter Nachfolger Martin Ehrenhauser verleumdete mich haltlos und die Staatsanwaltschaft hat absurd lange ermittelt. Dass insgesamt nicht mehr geblieben ist, liegt aber vor allem daran, das die regierende politische Klasse Strukturen geschaffen hat, die es für etwas anderes ganz schwer machen, sich zu etablieren. Das sieht man auch bei Stronach oder den NEOS.
Zwischen Ihnen, Stronach und NEOS würde man nicht viele Gemeinsamkeiten vermuten.
Man kann von Herrn Stronach halten, was man will. Aber politische Anliegen hatte er – er fand nur auch keine tauglichen Mitstreiter. Kluge, erfahrene und verlässliche Personen wollen nicht mehr aktiv in die Politik gehen. Darum ist auch das Personalangebot der NEOS nicht überzeugend. Wer ist Schuld? Der Herr Stronach, der Herr Strolz, der Herr Martin, oder das System? Wir alle verfügen sicher über keine einfache Persönlichkeitsstruktur, wir wollen uns unbedingt durchsetzen. Aber die tatsächlich Mächtigen wollen keine Unabhängigen. Interessante Kandidaten werden oft sofort verunglimpft, beruflich ausgegrenzt und die Parteien schwimmen im Steuergeld. Doch für eine echte Demokratie ist es überlebenswichtig, dass Menschen gefahrlos für ein paar Jahre in die Politik gehen und dann aussteigen können, ohne für den Rest des Lebens punziert zu sein.
Wo würden Sie die Erfolgslatte für Parteien wie das Team Stronach, die Neos oder die Liste Martin ansetzen?
Es kommt darauf an, ob sich Themen, die man vertritt, im allgemeinen Diskurs festsetzen und Veränderungen zustande kommen. Wichtig ist nicht: Sitzt der Hans-Peter Martin noch im Parlament? Die Grünen zum Beispiel sind wahrscheinlich erfolgreicher in dem, was die ÖVP inzwischen wegen ihnen ökologisch vertritt, oder was die Supermärkte inzwischen an Bioprodukten anbieten, als mit ihrem relativ bescheidenen Parteileben.
Daran gemessen: Wie erfolgreich waren Sie in 15 Jahren im EU-Parlament?
Meine Aufdeckungen haben dazu geführt, dass die EU mehr als hundert Millionen Euro weniger verschwendete, wichtige Privilegien wie die EU-Reisekostenpauschalen wurden abgeschafft. Und ich war immer ein Prellbock gegen rechts, habe die FPÖ mehrfach deutlich in ihre Schranken gewiesen. Doch insgesamt hätte ich als Buchautor und Spiegel-Korrespondent mehr erreichen können. Wenn ich eine Entscheidung rückgängig machen könnte, dann die, so in die Politik gegangen zu sein.
Der Aufstieg der Rechten im EU-Parlament war in den letzten Jahren massiv. Hatten Sie manchmal Sorge, Ihre EU-Kritik – Stichwort Privilegien – könnte Wasser auf die Mühlen der Rechten sein?
Selbstverständlich. Ich habe mich bemüht, Themen so klar zu besetzen, dass sie der politische Gegner nicht einfach übernehmen kann. Dazu gehörte berechtigte, detaillierte Kritik an konkreten Missständen und eindeutig übertriebener EU-Bürokratie. Wenn das nicht aus der politischen Mitte heraus, zu der ich mich zähle, aufgezeigt wird, dann hilft das den Falschen, vor allem Rechtsaußen wie HC Strache oder den Tarnkappen-Kommunisten wie von "Wien anders". Leider gibt es nur wenige von Rang und Namen, die das verstanden haben. Einer war Jean-Claude Juncker.
Apropos Juncker: Sie waren immer sehr kritisch gegenüber dem politischen Establishment in Brüssel, haben ihm aber fast euphorisch zu seiner Wahl als Kommissionspräsident gratuliert. Wie schlägt er sich?Chapeau! Ohne Juncker hätte ich große Zweifel, ob die Griechen nicht schon ganz im Abseits wären. Wolfgang Schäubles Nur-ich-weiß-wie-es-geht-Haltung ist gefährlich für Europa.
Juncker war 20 Jahre Finanzminister, 18 Jahre Premier und ist mit 60 Jahren Kommissionschef geworden. Man könnte sagen: Er kann nicht aufhören. Schließen Sie ein Comeback aus?
Im üblichen Politikbetrieb ja, der ist für mich ganz, ganz weit weg. Gleichzeitig mache ich mir ernsthafte Sorgen um Österreich und die EU. Wir steuern auf einen langen, kalten Winter in politischer, sozialer und ökologischer Hinsicht zu, letztlich wohl mit einer Währungsreform. Wenn da die Rechten weiter zulegen ...
Klingt so, als könnten Sie auch noch nicht ganz aufhören.
Das hat mit Verantwortung gegenüber der nächsten Generation zu tun. Ich finde, dass unsere Generation ziemlich Mist gebaut hat: Wir hinterlassen einen riesigen Schuldenberg, ein ungelöstes Klimaproblem, ein Wiederaufschaukeln eines zerstörerischen Nationalismus, ein Nicht-Verständnis der ökonomischen Abläufe.