Politik/Inland

Warum Sebastian Kurz zu Regierungsvarianten schweigt

Vier Wochen bis zur Wahl, und das grobe Bild in den Umfragen ist immer gleich: Die ÖVP führt mit mehr als 30 Prozent, SPÖ und FPÖ rangieren dahinter um die 25 Prozent. Drei kleine Parteien, Neos, Grüne und die Liste Pilz, pendeln um die fünf Prozent. Als Regierungskonstellationen zeichnen sich momentan ab: Schwarz-Blau, Schwarz-Rot oder Rot-Blau.Die SPÖ-FPÖ-Koalitionsvariante ist etwas in den Hintergrund geraten, weil sie laut aktuellem Umfragestand keine ausreichende Mehrheit im Nationalrat hätte.Bleiben Schwarz-Rot oder Schwarz-Blau. ÖVP-Chef Sebastian Kurz hält sich eisern bedeckt, ob er die SPÖ oder die FPÖ als Regierungspartner bevorzugt. Jede Präferenz könnte ihm taktisch schaden. Lehnt sich Kurz für Schwarz-Blau hinaus, könnte dies auf der linksliberalen Seite eine Sogwirkung zugunsten der SPÖ auslösen. Christian Kern könnte mit der SPÖ in Richtung 30 Prozent ansteigen, der Wahlsieg von Sebastian Kurz würde nicht mehr ganz so glorios ausfallen, wie er sich jetzt abzeichnet.Lehnt sich Kurz für Schwarz-Rot hinaus, könnten FPÖ-Sympathisanten, die zu Kurz gewechselt sind, am 15. Oktober ihr Kreuz doch bei den Freiheitlichen machen.

Die Frage, wie viel Entscheidungsspielraum Kurz nach der Wahl hat, wird vom Wahlergebnis abhängen. Je besser das Ergebnis, umso weniger muss Kurz auf seine Partei hören.

Die ÖVP ist über Nacht keine völlig andere geworden, es werden bereits Wünsche angemeldet. So plädiert der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer für Schwarz-Rot und der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter für den Fortbestand der Kammern.

Hinter den Kulissen wird auch von personellen Wünschen berichtet. Demnach soll der Wirtschaftsbund Harald Mahrer weiterhin im Wirtschaftsministerium haben wollen, und damit indirekt fordern, dass dieses Ressort bei der ÖVP bleibt.

Niederösterreichs Vize-Landeshauptmann Stephan Pernkopf betont im KURIER-TV, dass unter seiner Chefin Johanna Mikl-Leitner "die alten Denkmuster" abgelegt wurden. Dennoch wird in der ÖVP-Niederösterreich ein Aufstieg von Wolfgang Sobotka zum Finanzminister kolportiert. Seit dem Jahr 2000 stellt die ÖVP-Niederösterreich stets den Innenminister, doch dieser Posten könnte abhanden kommen. Bei Schwarz-Blau wird Heinz-Christian Strache das Innenministerium für die FPÖ reklamieren, bei Schwarz-Rot gilt es als Wunschressort eines Vizekanzlers Hans-Peter Doskozil.

Wenn Sobotka Finanzminister wird, könnte der als Reformer ins Team geholte Josef Moser im Kanzleramt angesiedelt werden. Dort gab es vor Jahrzehnten bereits einen Föderalismus-Minister (namens Jürgen Weiß), der allerdings nicht sehr erfolgreich war.

In der SPÖ zeichnet sich puncto Regierungsbeteiligung ein heftiges Tauziehen ab. SPÖ-Chef Christian Kern pocht auf einen Vorstandsbeschluss vom Juni, wonach jeder Koalitionsvertrag den Mitgliedern zur Urabstimmung vorgelegt werden müsse, und zwar nicht nur eine Koalition SPÖ-FPÖ, sondern auch die Juniorpartnerrolle neben der ÖVP. Dem Vernehmen nach will Kern den SPÖ-Mitgliedern die Opposition empfehlen.

Dagegen formiert sich parteiintern breiter Widerstand. Die Burgenländer Hans Niessl und Doskozil, Bürgermeister-Anwärter Michael Ludwig und seine Wiener Gefolgsleute sowie Gewerkschafter wollen weiter regieren. In Summe rechnet sich diese Gruppe aus, etwa 60 Prozent der Gesamtpartei hinter sich zu haben. Im Notfall will die Gruppe Kern nach der Wahl ins Ruder greifen und einen Abgang in die Opposition stoppen.

Die Argumente der roten Oppositionsgegner sind vielfältig. Sie sagen, die Situation im Jahr 2000 war unvergleichlich günstiger als die heutige. Damals hätte die SPÖ im Parlament die Sperrminorität gehabt (mehr als ein Drittel der Abgeordneten). Damit habe sie Verfassungsklagen einbringen können, zum Beispiel brachte sie so die Ambulanzgebühr zu Fall. Zudem musste die schwarz-blaue Regierung damals SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer umwerben, wenn sie Zweidrittel-Gesetze ändern wollte. Diesmal, mit weniger als 30 Prozent, würde die SPÖ in die parlamentarische Bedeutungslosigkeit fallen.

Die Oppositionsgegner befürchten, diesmal könnte es für die SPÖ ein sehr langer Weg zurück an die Regierung werden. ÖVP und FPÖ hätten dazu gelernt und würden der SPÖ nicht mehr den Gefallen tun, massenweise Opfer sozialer Härten zu produzieren, die dann aus Protest SPÖ wählen. So hätten die Pensionisten unter Wolfgang Schüssel real Einkommen verloren, während Kurz Personen mit kleinen Pensionen und in unteren Steuerklassen hätschelt.

In den Bundesländern hat die SPÖ ebenfalls Angst vor der Bedeutungslosigkeit. In sechs Ländern gibt es kein Proporzsystem mehr, wenn Schwarz mit Blau oder Grün regiert, hat die SPÖ nicht einmal mehr einen Landesrat und kaum öffentliche Präsenz.

Ein Spezialfall ist Wien. Dort ist die Bürgermeister-Nachfolge mit der Koalitionsfrage im Bund verwoben. Michael Ludwig, der Pragmatiker aus Floridsdorf, schätzt seine Chancen, Michael Häupl nachzufolgen, im Fall einer schwarz-blauen Bundeskoalition geringer ein als bei einer schwarz-roten. Bei Schwarz-Blau könnte sich die Stimmung in der Wiener SPÖ in Richtung eines linksliberalen Gegenmodells drehen, etwa in Richtung Ulli Sima, Thomas Drozda oder Andreas Schieder.