Politik/Inland

Wahlarzt-Debatte: "Da gibt’s viele Hysteriker"

"Die Aufregung war überzogen. Und wenn, dann hat die Wahlarzt-Debatte vor allem eines gezeigt: Reform-Debatten werden im Gesundheitsbereich leider immer noch sehr emotional geführt. Da gibt’s offenbar viele Hysteriker." Franz Bittner ist das, was man einen alten Hasen nennen würde. Zwölf Jahre lang war der nunmehrige Patientenombudsmann der Wiener Ärztekammer Chef der größten und wichtigsten Gebietskrankenkasse, jener in Wien.

Kleiner Brocken

Die nach einem KURIER-Artikel losgebrochene Diskussion um die Sinnhaftigkeit der Wahlärzte sieht Bittner allein aufgrund der realen Zahlen für verfehlt: "Wenn man sich ansieht, wie viel die Krankenkassen Jahr für Jahr für die ärztliche Versorgung ihrer Versicherten ausgeben, und wenn man dann dazu in Relation stellt, was für die Wahlarzt-Honorare ausgegeben worden ist, dann bewegen wir uns in den Jahren 2004 bis 2014 nie über die sieben Prozent-Hürde." Das heißt: Gemessen am Gesamt-Volumen sind die Wahlarzt-Honorare ein vergleichsweise kleiner Brocken. Bittner: "Man könnte auch sagen: Das ist ein Nebenschauplatz." Geht’s nach dem Kassen-Kenner, dann müsste man sich über ganz andere Dinge Gedanken machen.

Abteilungen werden geschlossen

"Es ist unbestreitbar so, dass die Versorgung der Patienten mancherorts schlechter wird", sagt Bittner – und bringt ein Beispiel: "Die Spitäler versuchen bereits Geld zu sparen, indem sie einzelne Abteilungen wie Schmerz-Ambulanzen schließen." In weiterer Folge müssten die betroffenen Schmerz-Patienten von niedergelassenen Ärzten betreut werden. Das Problem: Für die niedergelassenen Ärzte ist die Sozialversicherung zuständig, für die Spitäler die Länder. "Und weil diese Machtblöcke – neben Ärzte- und Wirtschaftskammer – jeweils ganz eigene Interessen verfolgen, gibt es kaum partnerschaftlich organisierte Angebote für Schmerz-Patienten." Wie komplex, aber zum Teil auch unfair die Situation ist, zeigt ein anderes Beispiel von Bittner: "Hepatitis C ist mittlerweile heilbar, allerdings leben 52 Prozent aller Erkrankten in Wien. Wenn man weiß, dass ein Behandlungszyklus 25.000 Euro pro Patient kostet, dann muss man zwangsläufig die Frage stellen: Ist es gerecht, wenn eine Kasse, in diesem Fall die Wiener, ganz allein die Kosten für mehr als die Hälfte aller Patienten trägt?"

Die Lösung wäre eine umfassende Struktur-Reform, die letztlich auch eine Verfassungsänderung erfordern würde. Bittner ist Realist genug, um zu wissen, dass derlei angesichts der herrschenden Machtverhältnisse wohl ein frommer Wunsch bleibt. "Aber irgendwann muss das System geändert werden. Sonst fahren wir es an die Wand. Und uns geht das Geld aus."