"Unser gesamter Wohlstand beruht letztlich auf Forschung“
Von Birgit Braunrath
Vor drei Jahren trat der internationale Spitzeninformatiker Thomas Henzinger als Erster das Amt des Präsidenten des IST – Institute of Science and Technology Austria – in Klosterneuburg an. Sein Ziel: ein Forschungszentrum von Weltrang aufzubauen, in dem grundlegend neue Erkenntnisse gewonnen werden. Heute, Mittwoch, erfolgt die Eröffnung des neuen sechsstöckigen Laborgebäudes. Der KURIER besuchte es vorab mit Postgraduate-Studenten und dem Präsidenten. Für Henzinger ist der Ausbau ein Grund zum Feiern, weil er damit Platz für 12 weitere Forschergruppen bekommt. Und nächste Woche feiert er seinen 50. Geburtstag.
KURIER: Herr Professor Henzinger, ist das neue Laborgebäude für Sie nur eine weitere Stufe oder ein Meilenstein in der Entwicklung des IST Austria?
Thomas Henzinger: Es ist ein Meilenstein. Wir sind in den ersten dreieinhalb Jahren auf 250 Mitarbeiter gewachsen und haben bisher 21 Forschergruppen auf dem Campus. Mit dem neuen Gebäude bekommen wir Platz für zwölf weitere Gruppen.
Geplant ist, dass es bis 2026 an die 100 Gruppen sein werden. Ist das realistisch oder doch etwas zu ambitioniert?
Es sollen tatsächlich 90 bis 100 Gruppen werden. Das heißt, wir können pro Jahr um vier bis fünf neue Professuren wachsen. Und das Institut hat gerade einen weiteren Meilenstein erreicht: Wir wachsen jetzt auch in Richtung Physik und Mathematik, später wird womöglich noch Chemie dazukommen. Bisher waren wir vor allem ein Institut der Bio- und der Computerwissenschaften.
Warum sind Sie bisher in diesen Bereichen geblieben?
Das hat sich daraus ergeben, dass wir immer nach den besten Wissenschaftlern suchen, die wir nach Österreich bringen können und nie strategisch in bestimmte Richtungen ausschreiben.
So wie ja auch die Grundlagenforschung selbst niemals zweckorientiert eine bestimmte Richtung einschlägt, sondern der Intuition der Forscher folgt. Gibt es in einer Welt der kompromisslosen Effizienzsteigerung überhaupt Platz für Forschung ohne vordergründig messbaren Nutzen?
Ja, denn letztlich beruht unser gesamter Wohlstand darauf. Jeder Fortschritt lässt sich auf Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung zurückführen. Nur der Zeithorizont ist ein anderer als bei der angewandten Forschung. Grundlagenforschung ist auf eine langfristige Perspektive ausgelegt. Deshalb ist der Schritt, den die Politik hier mit der Finanzierung bis 2026 gesetzt hat, ein mutiger, ein Bekenntnis zur Wissenschaft, der sich nicht bei der nächsten Wahl auszahlt, sondern langfristig zum Wohlstand des Landes beiträgt.
Wie erklären Sie dem einfachen Wähler, warum es sinnvoll ist, 1,3 Milliarden Euro bis 2026 in Forschungsprojekte fließen zu lassen, von denen man nicht weiß, wohin sie führen?
Ich sage ihm, dass ein Land, das zu den reichsten der Welt gehört und keine nennenswerten Bodenschätze hat, seinen Wohlstand damit langfristig absichern kann. Außerdem ist Grundlagenforschung ein wesentlicher Aspekt des intellektuellen Klimas eines Landes. Und kleine Staaten können sich auf diesem Gebiet besonders profilieren. Gute Beispiele dafür sind die Schweiz, Schweden oder Israel.
Geht es beim Thema der langfristigen Absicherung auch darum, die Besten zu bekommen?
Selbstverständlich, denn sonst kann ich keinen Spitzenwissenschaftler von Max-Planck-Instituten oder Cambridge oder Harvard abwerben, der dort eine Stelle auf Lebenszeit und gute Unterstützung hat und der von anderen internationalen Instituten umworben wird. Wir beobachten, dass jetzt auch im asiatischen Raum sehr aggressiv abgeworben wird. Wir können nicht mit Singapur oder Hongkong konkurrieren, wenn wir keine langfristige Perspektive bieten.
Ist es für einen Forscher attraktiv, nach Singapur zu gehen? Was müsste man Ihnen zum Beispiel anbieten?
Mir (lacht)? Nichts. Aber diese Staaten können finanziell einfach unheimlich viel bieten – Gehalt, Infrastruktur, Ausstattung. Gott sei Dank leben wir hier in einer Umgebung, die von der gesamten Lebensqualität, vom Klima, von der Landschaft und von der Kultur her um vieles attraktiver ist als Singapur oder all die Öl-Emirate, die jetzt sehr stark ihre Forschung aufbauen.
Was reizt einen Forscher daran, in die Grundlagenforschung zu gehen, wenn er doch in der angewandten Forschung sehr viel schneller auf messbare Erfolge verweisen könnte?
Das Spannende ist: Wenn man kreative Forscher zusammenbringt und sie ihrem Instinkt folgen lässt, kommt etwas Interessantes dabei heraus. Man weiß nur im Vorhinein nicht was. Es hat sich in der Geschichte immer wieder gezeigt, dass die scheinbar abstraktesten Entdeckungen Auswirkungen in der Praxis haben, oft in ganz anderen Gebieten.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Nehmen wir die Magnete, die für Teilchenbeschleuniger entwickelt wurden. Die kamen später in der Medizin zur Anwendung, in der Magnetresonanztomografie usw.
Fürsprecher betonen gerne plakativ, dass es ohne die Grundlagenforschung weder das World Wide Web noch die Laser-Technologie gäbe …
Natürlich. Sie können jede Technologie, jedes Medikament hernehmen: Der entscheidende Schritt am Anfang war immer einer der Grundlagenforschung. Dann folgen viele Schritte der angewandten Forschung, um die Sache zu verbessern und die Effizienz zu steigern. Aber etwas grundlegend Neues wird nur in der Grundlagenforschung entdeckt. Und dafür brauchen Wissenschaftler die größtmögliche Freiheit. Das vollkommen Neue kann man nie planmäßig entwickeln.
Die Wissenschaftler folgen ihrer Neugier, dem Forscherdrang. Das klingt beinahe verspielt. Ist es in der Wirtschaftskrise schwieriger geworden, diesen Ansatz zu argumentieren?
Das kommt ganz auf das Umfeld an. In den USA oder in Deutschland wird gerade seit der Krise die Forschung und Ausbildung stark unterstützt, ganz bewusst. Und ich bin sehr stolz, dass auch in Österreich etwas getan wird.
Unternehmen investieren meist zweckorientiert in angewandte Forschung, daher wird Grundlagenforschung größtenteils von der öffentlichen Hand finanziert. Wie lässt sich da die Freiheit und Unabhängigkeit der Forscherteams gewährleisten?
Wir sind hier ganz bewusst mit einem Modell aufgestellt, bei dem die öffentliche Hand nur eine von vier Finanzierungssäulen ist – zugegeben, in der Aufbauphase die bei Weitem tragfähigste. Wir stellen aber alle Weichen und sind auch erfolgreich darin, weitere Säulen zu errichten. Einerseits von privater Seite, die Industriellenvereinigung hat uns stark unterstützt. Wir haben von privaten Sponsoren mehr als 17 Millionen Euro Spenden bekommen, die uns in keiner Weise verpflichten, in eine bestimmte Richtung zu forschen oder bestimmte Leute anzustellen. Das sind rein Spenden. Zum Dank dafür benennen wir Gebäude nach den Spendern, zum Beispiel das Bertalanffy Foundation Building oder die Raiffeisen Lecture Hall. Wir sitzen hier im voestalpine-Building. Die dritte Säule bilden langfristig Erlöse aus der kommerziellen Verwertung von Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung, wie es etwa das Weizmann-Institut in Israel sehr erfolgreich vormacht.
Und die vierte Säule?
Die vierte Säule sind Forschungsfördermittel. Wir haben in nur drei Jahren bereits 27 Millionen Euro an Förderungsmitteln eingeholt, 90 Prozent davon kommen von außerhalb Österreichs, großteils von der EU über den EU-Forschungsrat.
Der EU-Nettozahler Österreich holt sich für die Forschung viel Geld von der EU zurück?
Im Bereich der Forschung sind wir ganz sicher Nettogewinner.
Als Sie Ihr Amt antraten, sagte Claus J. Raidl, Vorsitzender des IST-Kuratoriums: „Mit ihm wird es uns gelingen, ein Forschungsinstitut von Weltrang zu etablieren.“ – Ist es schon so weit?
Wir haben in drei Jahren viel erreicht, sind aber im Vergleich mit weltweit bekannten Institutionen noch sehr klein. Aber wir haben Forscher der absoluten Spitzenklasse und sind dadurch bereits weltbekannt in Gebieten, wie der Evolutionsbiologie, den Neurowissenschaften, der Zellbiologie und den Computerwissenschaften.
Gibt es Bereiche, in denen demnächst erste, revolutionäre Erkenntnisse vorliegen werden?
In der Wissenschaft kommt es selten vor, dass man einen sehr großen Schritt macht, eher sind es viele kleine. Und noch seltener kommt es vor, dass man einen großen Schritt unmittelbar erkennt, wenn man ihn macht. Meist stellt man erst 20, 30 Jahre später fest: Das war genau jene Einsicht, die später revolutionär war. Also ich kann Ihnen bisher nicht von einer revolutionären Erfindung berichten, aber unsere Leute arbeiten unheimlich produktiv. Bereits Ende vergangenen Jahres hatten wir mehr als 100 Publikationen erstellt, jede unserer Forschergruppen ist ständig international vernetzt, nimmt an internationalen Konferenzen teil und trägt so zum Fortschritt der Wissenschaft bei.
Sie sind selbst ein Spitzenforscher und leiten eine eigene Gruppe. Dennoch haben Sie hier das Präsidentenamt inne und verbringen viel Zeit mit Verhandlungen, Konferenzen und am Schreibtisch. Würden Sie nicht lieber rund um die Uhr daran arbeiten, wissenschaftliches Neuland zu betreten?
Da haben Sie nicht ganz unrecht. Ich bin wirklich mit Herz und Seele Forscher. Dennoch muss ich sagen, dass der Aufbau dieses Instituts etwas so Einmaliges ist – nicht nur österreichweit, auch europaweit und weltweit –, dass ich dazu nicht Nein sagen konnte.
Neueröffnung und Kosten: Das Lab Building East, das am Mittwoch feierlich eröffnet wird, steht im östlichen Teil des Campus des Institute of Science and Technology (IST Austria). Auf knapp 7000 Quadratmetern in sechs Stockwerken finden zwölf Forschergruppen aus den Bereichen der Life Science und der Physik Platz. Die Kosten für den Laborbau betragen rund 25 Millionen Euro, die vom Land Niederösterreich getragen werden.
Grundsteinlegung und Zukunft: Gleichzeitig mit der Eröffnung des Lab Building East wird der Grundstein für den nächsten Komplex gelegt: Das aus zwei Blöcken mit je sechs Geschoßen bestehende Building West wird bis 2015 fertiggestellt. In dem Bau mit rund 11.500 Quadratmetern Geschoßfläche werden bis zu 300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf den Gebieten Physik und der Chemie forschen.