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Kanzleramt übermittelte VfGH 692 Mal "nichts Relevantes": Opposition zürnt

Ab Donnerstag berät sich der Verfassungsgerichtshof (VfGH), welche Akten aus dem Bundeskanzleramt an den Ibiza-Untersuchungsausschuss geliefert werden sollen. Das Kanzleramt hatte dem VfGH am Montag noch 692 Mails von Mitarbeitern übermittelt, wonach diese in einem "umfassenden Suchprozess" keinerlei "abstrakt relevante Akten und Unterlagen" gefunden hätten. Aus dem VfGH hieß es nun, diese 692 Mails würden dem Akt beigefügt.

Zum Hintergrund: SPÖ, FPÖ und Neos hatten sich mit insgesamt drei Anträgen an das Höchstgericht gewandt. Die drei Oppositionsparteien wollen den Bundeskanzler dazu verpflichten, dem U-Ausschuss weitere Akten und Unterlagen vorzulegen. Konkret haben sie mehrfach beklagt, kein einziges Mail und keinen einzigen Kalendereintrag des Bundeskanzlers erhalten zu haben. Kurz war daraufhin vom VfGH aufgefordert worden, die geforderten Akten, eMails und Chatnachrichten dem Höchstgericht zu übermitteln.

Nichts von Relevanz

Das Kanzleramt verpflichtete Ressortminister und Bedienstete dazu, in Mail-Postfächern und Dateien nach abstrakt relevanten Akten und Unterlagen zu suchen - etwa mithilfe von Stichwörtern. Ergebnis: Die Mitarbeiter des Kanzleramt fanden in ihrer Korrespondenz nichts abstrakt Relevantes und der VfGH erhielt am Montag folgerichtig 692 Mails, in denen die Mitarbeiter bestätigten, nichts gefunden zu haben.

Kurz selbst hatte in einer Pressekonferenz am Montag bekräftigt, dass alles, was mit dem Untersuchungsgegenstand zu tun hat, auch geliefert worden sei. Nach seiner Abwahl in Folge des Ibiza-Videos 2019 sei alles Relevante im Staatsarchiv veraktet worden, Nicht-Relevantes hingegen vernichtet. "Was es niemals gegeben hat und auch alles, was vernichtet worden ist, das kann selbstverständlich nicht geliefert werden", erklärte Kurz.

Veraktet oder vernichtet

Einsicht in das Staatsarchiv kann der U-Ausschuss ebenso nicht verlangen. Veraktetes Schriftgut ist erst nach 30 Jahren zur Nutzung freigegeben. Gefährdet es etwa die öffentliche Sicherheit, erst nach 50 Jahren. Zu spezifischen Forschungszwecken ist eine Nutzung nach 20 Jahren möglich. Das Kanzleramt betonte immer wieder, dem Ausschuss bereits 70.000 Seiten übermittelt zu haben. Hierbei handelt es sich aber hauptsächlich um Aufzeichnungen des Verfassungsdienstes, der im Kanzleramt angesiedelt ist. Von Kurz, Blümel oder von deren engeren Mitarbeitern sei kein einziger Eintrag übermittelt worden, bestätigte SPÖ-Fraktionsführer Jan Krainer (SPÖ) dem KURIER. Das Büro des Kanzlers habe dem U-Ausschuss "gar nichts geschickt, null", so Krainer.

Der VfGH beginnt nun am Donnerstag mit seinen Beratungen und will bis Mitte Mai entscheiden, welche Unterlagen der U-Ausschuss erhalten soll. Eine Sprecherin des Höchstgerichts bestätigte dem KURIER, dass die 692 Mails beim VfGH angekommen seien, zu den Unterlagen kommen und Grundlage der Beratungen sein würden.

Krainer: Kanzler missachtet offen Verfassungsgerichtshof

Für Krainer ist es "amtlich bestätigt, dass der österreichische Bundeskanzler die Verfassung und den Verfassungsgerichtshof offen missachtet". In einer Aussendung konstatierte er einen "schwarzen Tag für den Rechtsstaat". Kurz habe entweder relevante Akten und Unterlagen vernichtet bzw. vernichten lassen. Damit hätte er gegen das Gesetz verstoßen, so Krainer. Oder aber der Bundeskanzler sage gegenüber dem VfGH und dem Parlament die Unwahrheit. "Auch das wäre ein Gesetzesbruch, weil Amtsmissbrauch - oder beides", fasste Krainer zusammen.

Meinl-Reisinger: Respektlos

Auch NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger ortet eine ganz große Respektlosigkeit bei der "türkisen Partie" gegenüber wesentlichen demokratischen Institutionen wie dem Parlament, dem VfGH und der unabhängigen Justiz. Konkret zu Kurz sagte Meinl-Reisinger in einer Pressekonferenz: "Ich finde es rotzfrech, gegenüber dem Verfassungsgerichtshof so zu agieren." Außerdem hält es die Neos-Chefin für "unseriös und unprofessionell", wenn ein Kanzler sage, er habe aus einer zweijährigen Amtszeit nichts archiviert. Ein Ergebnis des U-Ausschusses müsse daher ein Nachschärfen der Bestimmungen im Bundesarchivgesetz sein, eventuell mit Sanktionen. In Österreich werde einfach zur Kenntnis genommen, dass "ein Kanzler alles löscht oder schreddern lässt", das sei für sie nicht nachvollziehbar.

Auch der Vorstoß von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), dass die Wahrheitspflicht im U-Ausschuss fallen solle, empört die Neos-Vorsitzende. Das sei "wahnsinnig plump", während gerade vier der ÖVP nahestehende Personen im Verdacht stünden, nicht wahrheitsgemäß im U-Ausschuss ausgesagt zu haben, darunter Sobotka selber und Kanzler Kurz. "Sie sollen die Wahrheit sagen, und nicht die Wahrheitspflicht abschaffen", forderte sie. Dass Sobotka behauptet habe, dass dies in Deutschland auch so geregelt wäre, stimme einfach nicht.

Kickl: "Schurkenstück"

Diesen Vorstoß Sobotkas griff am Dienstag auch FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl auf. "Das ist ein demokratiepolitisches Schurkenstück, dass sich der Herr Nationalratspräsident hier erlaubt", sagte er am Rande einer Pressekonferenz. Auf diese Idee müsse "man auch einmal kommen". Ehrlicher wäre es, gleich zu sagen, "liebe Leute, uns passt das nicht bei unseren miesen Unternehmungen, schafft das Kontrollinstrument ab", so Kickl.

Korrespondenz mit ÖBAG-Chef Schmid

Weiters behandelt der VfGH in seinen Beratungen ab Donnerstag auch einen Exekutionsantrag an das Finanzministerium. Dabei geht es darum, das Erkenntnis vom 3. März zu vollstrecken, in dem Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) verpflichtet wurde, dem Ibiza-Untersuchungsausschuss Daten und E-Mails vorzulegen. Dabei geht es um das vom Höchstgericht anerkannte Begehren der drei Oppositionsparteien, die E-Mail-Postfächer der Leiterin des Beteiligungsmanagements im Finanzministerium sowie die Korrespondenzen von Ministeriumsmitarbeitern mit dem nunmehrigen ÖBAG-Chef Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium, und anderen Mitarbeitern des damaligen Finanzministers Hartwig Löger (ÖVP) dem Ausschuss zur Verfügung zu stellen.

Laut Bundesverfassung wäre für die Vollstreckung des Erkenntnisses theoretisch Bundespräsident Alexander Van der Bellen zuständig. In Artikel 146, Abs. 2 der Verfassung heißt es: "Die Exekution der übrigen Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes liegt dem Bundespräsidenten ob. Sie ist nach dessen Weisungen durch die nach seinem Ermessen hiezu beauftragten Organe des Bundes oder der Länder einschließlich des Bundesheeres durchzuführen. Der Antrag auf Exekution solcher Erkenntnisse ist vom Verfassungsgerichtshof beim Bundespräsidenten zu stellen."

Kurz-Handy

Ebenfalls den VfGH angerufen haben die Fraktionen bezüglich des Handys von Kurz. Der Kanzler verwendet laut eigenen Angaben nicht das Mobiltelefon des Kanzlarmts, sondern ein "ÖVP-Handy" für Korrespondenzen. Die Fraktionen wollten die Daten dieser Korrespondenzen für den U-Ausschuss beantragen. Kurz kam dem bisher nicht nach und wies in einem Schreiben darauf hin, dass es sich um ein "Gerät in Privatbesitz" handle, das nicht der "Verfügungsgewalt des Bundeskanzlers" unterliege. Die Opposition ortet eine Umgehungsstrategie: Mit dieser Argumentation könnte jeder, der kein Diensthandy für dienstliche Korrespondenzen verwendet, die Vorlagepflicht umgehen. Sie erwartet sich ein ähnliches Erkenntnis wie beim Exekutionsantrag an das Finanzministerium.