Politik/Inland

Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Kanzler Kurz wegen Falschaussage

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat ein Ermittlungsverfahren gegen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und seinen Kabinettschef Bernhard Bonelli eingeleitet und führt die beiden als Beschuldigte. Das teilte der Regierungschef selbst vor dem Ministerrat mit. Basis dafür ist eine entsprechende Anzeige von SPÖ und Neos wegen vermeintlicher Falschaussage im U-Ausschuss zur Ibiza- und Casinos-Affäre.

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Wie der Kanzler betonte, könne die WKStA jederzeit einen Strafantrag stellen. Er gehe davon aus, dass sie das auch tun werde. Es handle sich dabei um ein Einzelrichterverfahren und er würde einer Befragung durch einen Richter "auch sehr gerne nachkommen". Er habe selbstverständlich alle Fragen immer wahrheitsmäßig beantwortet.

Eine Verurteilung könne er sich daher auch beim besten Willen nicht vorstellen. Er sei sich immer bewusst gewesen, dass der U-Ausschuss ein wichtiges Gremium sei, dem man Rede und Antwort stehen müsse. Gleichzeitig erinnerte Kurz aber auch daran, dass viele der im Ausschuss verhandelten Sachverhalte schon etliche Zeit zurücklägen. An Rücktritt denke er nicht.

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Kritik übte Kurz an der politischen Kultur im Land, werde doch mittlerweile ständig mit Anzeigen gearbeitet. Im diesem U-Ausschuss werde "ganz bewusst mit Suggestivfragen, mit Unterstellungen" versucht, teilweise eine "sehr aufgeheizte Stimmung zu erzeugen", beklagte der Kanzler. Es werde schnell versucht, "einem das Wort im Mund umzudrehen" und Menschen "irgendwie in eine Falschaussage hineinzudrängen", meinte Kurz. "Niemand hat ein Interesse, eine Falschaussage zu machen - das ist ja logisch."

Einen Termin bei der WKStA hat Kurz eigener Aussage zufolge noch nicht, er sei gerade erst über das Ermittlungsverfahren informiert worden.

Den Strafakt im Wortlaut finden Sie hier: 

Worum es geht

Das Verfahren stützt sich auf die Auswertung jener Chatprotokolle, die auch schon andere ÖVP-Politiker in Bedrängnis gebracht haben - allen voran Finanzminister Gernot Blümel. Die von den Behörden ausgewerteten Chats widersprechen aus Sicht der Ermittler gleich in mehreren Punkten Kurz' Aussage im Untersuchungsausschuss am 24. Juni. Das geht aus der dem KURIER vorliegenden Mitteilung über die Einleitung des Verfahrens hervor. 

Ermittelt wird wegen falscher Zeugenaussage - ein Delikt, auf das bis zu drei Jahre Haft stehen. Wobei die Ermittler explizit darauf hinweisen, dass auch "das Verschweigen erheblicher Tatsachen" als Falschaussage gewertet werden kann.

Ausgelöst haben das Verfahren nach Angaben der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft vom Mittwoch mehrere Anzeigen. Hintergrund der Ermittlungen sind Kurz' Aussagen zur Bestellung von Thomas Schmid zum ÖBAG-Alleinvorstand sowie zur Auswahl des Aufsichtsrates der Staatsholding.

Mehrere Abgeordnete hatten ihn im Ausschuss nach seiner Involvierung in die Vorgänge befragt und ausweichende oder abschlägige Antworten erhalten. So sagte Kurz auf die Frage des SP-Abgeordneten Jan Krainer, ob er im Vorfeld eingebunden war: "Eingebunden im Sinne von informiert, ja." Über die Aufsichtsratsbesetzungen sei er nur "manchmal mehr, manchmal weniger" informiert worden. Und gänzlich verneint hat Kurz die Frage von NEOS-Mandatar Helmut Brandstätter, ob er mit Schmid schon darüber gesprochen habe, bevor ihm dieser nach der Ausschreibung seine Bewerbungsabsicht eröffnete. "Nein, es war allgemein bekannt, dass ihn das grundsätzlich interessiert, und es war sicherlich auch so, dass immer wieder davon gesprochen wurde, dass er ein potenziell qualifizierter Kandidat wäre."

Kurz wegen Chatverläufe in Bedrängnis

Angesichts der nun ausgewerteten Chatverläufe sieht die WKStA darin mögliche Falschaussagen. Die Ermittler gehen nämlich davon aus, dass sich Kurz und Schmid spätestens ab Mitte 2017 regelmäßig über die Entwicklung des Projekts unterhielten. Dafür spricht aus Sicht der Ermittler auch, dass Schmid den Kanzler selbst über kritische Medienanfragen zum ÖBIB-Projekt informierte und ihn um Intervention bat. Die Unterhaltungen gipfelten schließlich in Schmids Bitte "mach mich nicht zu einem Vorstand ohne Mandate" und Kurz' Antwort: "kriegst eh alles was du willst."

Kurz hat am Mittwoch betont, stets alle Fragen wahrheitsgemäß beantwortet zu haben. Er habe sich "stets bemüht", sich "bestmöglich" zu erinnern und "wahrheitsgemäße Angaben" zu machen - zu Themen, die jahrelang zurückliegen und zu Themenbereichen, die er "teilweise nur am Rande mitbekommen" habe.

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Tonbandmitschnitt könnte Klarheit bringen

Eine Rolle spielen könnte im Verfahren auch die Frage, ob alle Aussagen korrekt protokolliert wurden. In einem Fall wollte Kurz nämlich nachträglich eine Änderung durchführen lassen. Demnach habe er die Frage nach den frühzeitigen Gesprächen mit Schmid über den ÖBAG-Chefposten nicht gänzlich verneint, sondern lediglich gesagt "es war ja allgemein bekannt, dass ihn das grundsätzlich interessiert". Die Mehrheit im Ausschuss hat die Änderung aber nicht akzeptiert. Sollte die Staatsanwaltschaft Zweifel hegen, könnte sie den Tonbandmitschnitt anfordern. Der ist nach Angaben des Parlaments nämlich noch vorhanden.

SPÖ: Rote Linie erst mit Anklage überschritten

Die FPÖ fordert angesichts der staatsanwaltlichen Ermittlungen den sofortigen Rücktritt von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP). So weit gehen die anderen Oppositionsparteien noch nicht, im Fall einer Anklage wäre aber auch für SP-Chefin Pamela Rendi-Wagner die "rote Linie" überschritten. Für die NEOS hat Kurz aus der Regierung ein "zwielichtiges Kabinett" gemacht, das dem Land und dem Vertrauen in die Politik schade. Die Grünen formulierten "vollstes Vertrauen in die Justiz".

Rendi-Wagner betonte am Mittwoch, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft natürlich abgewartet werden müssten. "Sollte es aber in weiterer Folge zu einer Anklage gegen den Bundeskanzler wegen Falschaussage kommen, dann ist eine rote Linie überschritten. Ein amtierender Bundeskanzler, der angeklagt ist und vor Gericht steht, kann sein Amt nicht mehr ausüben und muss die Konsequenzen ziehen", forderte sie für den Fall eines Prozesses den Rücktritt des Kanzlers.

Die SP-Chefin spricht von "schwerwiegenden Verdachtsmomenten". Die Staatsanwaltschaft habe den begründeten Verdacht, dass der Bundeskanzler unter Wahrheitspflicht im Ibiza-Untersuchungsausschuss die Unwahrheit gesagt habe.

FPÖ fordert Rücktritt

Die FPÖ fordert dagegen den sofortigen Rücktritt des Bundeskanzlers. "So geht es jedenfalls nicht weiter, Herr Bundeskanzler, Ihr Rücktritt bitte", drängte FP-Abgeordneter Christian Hafenecker am Mittwoch. Für den FP-Fraktionsführer im Ibiza-Ausschuss Hafenecker zeigen die Ermittlungen, "dass die türkise Regierungsmannschaft keinerlei moralische Legitimation mehr besitzt, dieses Land zu führen". Während Österreich in Corona-Chaos, Wirtschaftsdesaster und Inflation versinke, seien Kurz und Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) mit Strafverfahren beschäftigt.

Hafenecker sieht nun auch die "Stunde der Wahrheit" für die Grünen. Diese müssten nun entscheiden, ob sie "mit dieser durch und durch korrupten türkisen Truppe weiter in den Untergang marschieren wollen". Der FP-Abgeordnete fordert die Grünen auf, den Untersuchungsausschuss gemeinsam mit der Opposition zu verlängern: "Jetzt gilt es - gerade im U-Ausschuss - Mehrheiten abseits der ÖVP zu suchen."

"Der Schritt der WKStA ist ein starkes Zeichen dafür, dass unser Rechtsstaat funktioniert. Vor dem Gesetz müssen alle gleich sein. Auch der Bundeskanzler kann und darf vor einem Untersuchungsausschuss nicht die Unwahrheit sagen", so NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger. Sie kritisiert Versuche der ÖVP, den U-Ausschuss zu diskreditieren: "Es geht hier aber nicht um ein Match Regierung gegen Opposition. Es geht darum, dass die Spitze der Regierung Achtung vor dem Parlament, dem Rechtsstaat und der Verfassung hat."

"Einzigartig und äußerst bestürzend" findet Meinl-Reisinger, dass mit Kurz und Bonelli sowie Finanzminister Blümel und ÖBAG-Chef Thomas Schmid gleich vier "Spitzen der Republik" und "Mitglieder der türkisen 'Familie'" als Beschuldigte geführt werden: "Sebastian Kurz hat aus der Regierung ein zwielichtiges Kabinett gemacht. Das schadet unserem Land und dem Vertrauen in die Politik massiv."

Grüne: Vollstes Vertrauen in Justiz

Beim kleinen Koalitionspartner der ÖVP, den Grünen, hieß es im Klub, dass die WKStA aufgrund von Anzeigen von Abgeordneten aus dem U-Ausschuss ermittle. "Wir haben vollstes Vertrauen in die Justiz, die wird die notwendigen Schritte setzen und die Vorwürfe in Ruhe und mit der gebotenen Seriosität klären. Das passiert ohne Ansehen der Person", so eine schriftliche Stellungnahme dazu.

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Justizministerin Alma Zadic (Grüne) reagierte auf Journalistenfragen am Rande des Ministerrats ziemlich wortgleich, dass die Staatsanwaltschaft aufgrund einer Anzeige von Abgeordneten aus dem Untersuchungsausschuss ermittle. Die Staatsanwaltschaft müsse natürlich jede Anzeige prüfen und werde die Vorwürfe "in Ruhe" und "gebotener Seriosität" prüfen. Ob sie einen Rücktritt des Kanzlers spätestens im Fall einer Verurteilung für geboten hielte, beantwortete Zadic trotz mehrmaliger Nachfragen nicht.

ÖVP-Minister: "Vernaderung"

Dafür meldeten sich die ÖVP-Minister Susanne Raab und Karl Nehammer im Pressefoyer zu Wort, um die Opposition und den U-Ausschuss zu schelten: Es sei "unglaublich", wie die Opposition versuche, durch ständige Anzeigen die politische Kultur "zu zerstören", meinte Raab. Im U-Ausschuss werde mit laufenden "Unterstellungen" und "Provokationen" versucht, einem "das Wort im Mund umzudrehen". Auch Nehammer befand, dass im U-Ausschuss "in erster Linie Suggestivfragen" gestellt würden, um die Auskunftsperson in Widersprüche zu verwickeln und dann anzeigen zu können. Er habe auch schon als Zeuge vor Gericht ausgesagt, und dies sei dagegen "gelebte Rechtsstaatlichkeit" gewesen. Der Innenminister hat gar den Eindruck, dass im U-Ausschuss versucht werde, ein demokratisches Votum zu korrigieren. Für ihn schaue das fast aus wie "Vernaderung".

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Zadic, die früher selbst als Abgeordnete im U-Ausschuss Fragen gestellt hat, wollte sich dieser heftigen Kritik nicht anschließen - sie mische sich nicht ins parlamentarische Prozedere ein, meinte die nunmehrige Justizministerin.

Kurz' Parteikollege Andreas Hanger, Fraktionsvorsitzender der ÖVP im Ibiza-U-Ausschuss, zeigte sich überzeugt, dass sich die Vorwürfe gegen Kurz "in Luft auflösen werden", wie er gegenüber dem TV-Sender Puls 24 erklärte. Der Bundeskanzler habe bei seiner Befragung im U-Ausschuss den Konjunktiv verwendet, als es um die Bestellung des ÖBAG-Vorstands ging. Dies zeige, dass er sich an die genauen Vorgänge wahrscheinlich nicht mehr habe erinnern können und deshalb den Konjunktiv verwendet habe. "Ich kann weit und breit keine Falschaussage sehen", meint der ÖVP-Mandatar.