350.000 Syrer in der Türkei erwartet
Von Walter Friedl
Nach dem Eingreifen Russlands im Syrien-Konflikt an der Seite von Machthaber Bashar al-Assad tobt vor allem um die Stadt Aleppo ein erbitterter Kampf. Mit der Unterstützung Moskaus aus der Luft haben die Truppen des Damaszener Regimes eine Offensive gestartet. Die Eskalation lässt nun aber noch mehr Menschen fliehen. 50.000 haben sich bereits auf den Weg gemacht, um beim nördlichen Nachbarn Türkei Schutz zu suchen. Ankara rechnet noch vor dem Wochenende mit insgesamt 350.000 neuen syrischen Flüchtlingen. Das berichten türkische Medien unter Berufung auf Regierungskreise. Damit dürfte der Flüchtlingsstrom nach Europa weiter anschwellen.
EU-Sondergipfel
Bis zu 8000 Migranten kommen derzeit schon täglich auf den ostägäischen Inseln Griechenlands von der Türkei aus kommend an. Über die Balkanroute geht es dann weiter (siehe Grafik). Dort herrschen zum Teil chaotische Zustände. Slowenien hat deswegen in der Nacht zum Mittwoch beschlossen, wie Ungarn ebenfalls das Militär an die Grenze zu beordern. Die Hilfsorganisation "Save the Children" zeigte sich darüber entsetzt. Das sei ein "menschenverachtendes Mittel und ein Armutszeugnis europäischer Politik".
Diese wird sich am Sonntag mit der Flüchtlingsproblematik, speziell die Balkanroute betreffend, auf einem EU-Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs befassen. Weitere Themen: Die "Hotspots" (Erstaufnahmezentren), die bis Ende November in Griechenland und Italien entstehen sollen, sowie funktionierende Rückführungsaktionen. Das Treffen wurde auf Initiative der deutschen Kanzlerin Angela Merkel und ihres österreichischen Amtskollegen Werner Faymann spontan angesetzt.
Beschleunigte Abschiebung
Hinsichtlich der Rückführungen überlegt nun Deutschland, Transall-Transport-Flugzeuge der Bundeswehr einzusetzen. Entsprechende Medienberichte bestätigte am Mittwoch Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Ziel der Maßnahme: Eine Beschleunigung der Abschiebungen.
Dies ist wohl auch darauf zurückzuführen, dass immer mehr Deutsche die Migrationspolitik ihrer Regierung ablehnen. Denn laut einer Umfrage des Allensbach-Instituts bereitet 54 Prozent der Bürger die Entwicklung der Flüchtlingssituation im Land "große Sorge", im August lag dieser Wert bei 40 Prozent. Aus diesem Grund plädiert eine klare Mehrheit (56 Prozent) für Obergrenzen. Zwei Drittel erwarten, dass der ungebremste Zuzug Deutschland stark verändern werde. Fast ebenso viele befürchten, dass Terrororganisationen auf diesem Weg versuchen, Attentäter einzuschleusen.
Realitätsverlust
Generell bescheinigt jeder zweite Befragte der Politik in dieser Frage "Realitätsverlust", 57 Prozent sind davon überzeugt, dass Deutschland die Kontrolle über die Flüchtlingsströme verloren hat.
Diese vernichtenden Befunde spiegeln sich auch in der Wählergunst wider. Mit bloß 38 Prozent Zustimmung verzeichnet die CDU/CSU den niedrigsten Wert seit der Bundestagswahl 2013. In der ersten Septemberhälfte kam die Union noch auf 42 Prozent.
Auch auf gesamteuropäischer Ebene wächst die Unzufriedenheit. In einer Umfrage der Bertelsmann-Stiftung (12.000 Menschen in allen EU-Ländern wurden interviewt) sagten 72 Prozent, dass sich die europäische Politik in die falsche Richtung bewege. Diese Erhebung wurde allerdings noch vor der Ausweitung der Flüchtlingskrise im Juli durchgeführt – damals stand die Rettung Griechenlands im Fokus.