Politik/Inland

"1,5 Millionen Wähler sind Haiders Erbe"

KURIER: Herr Quercia, seit dem Tod von Jörg Haider wurden Skandale – etwa wie Hypo oder Telekom – aufgedeckt, die Ihrem Schwiegervater zugeschrieben werden. Viele meinen, er würde heute auf der Anklagebank sitzen. Wie sieht die Familie die Skandale?

Paolo Quercia: Die Familie weiß, dass Jörg Haider eine saubere Person war. Er kann Fehler gemacht haben, aber er war ein ehrlicher Mensch. Er hat sich nie durch die Politik bereichert. Er wurde nie verurteilt, nicht einmal angeklagt, für irgendeine illegale Aktivität während seines sehr langen politischen Lebens. Aber er war verletzlich, weil er außerhalb des Schutzes des herrschenden Systems war. Eine Schlammschlacht gegen eine Person zu führen, die nicht mehr am Leben ist, ist gegen alle grundlegenden Menschenrechte, die jedem das Recht zugestehen, sich in einem individuellen und fairen Prozess zu verteidigen. Es ist eine beschämende Situation für diejenigen, die jemanden anklagen, der sich selbst nicht mehr verteidigen kann. Auf diese Weise wird jede Anklage, jeder Klatsch, jede Hypothese glaubhaft. Mich erinnert das ans Mittelalter, als es noch die Hexenverbrennung gab.

Meinen Sie den Vergleich mit der Hexenverbrennung wirklich ernst?
Natürlich ist es eine Metapher. Ich kann es auch Hexenverfolgung nennen, wenn Sie es bevorzugen. Die Betonung liegt nicht auf Jagd oder Verbrennung, sondern auf der Schaffung einer Hexe. Das ist ein nicht vorhandenes Wesen, das irgendwie mit dem Teufel verbunden ist. Ich denke, das wurde oft mit Jörg Haider getan.

Fünf Jahre nach Jörg Haiders Tod ist nun auch das BZÖ am Ende. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür? Wie sehr schmerzt die Familie das Aus des BZÖ?
Ich weiß nicht, ob das BZÖ am Ende ist. Sie haben bei den Nationalratswahlen ein schlechtes Ergebnis eingefahren und sind nicht ins Parlament gekommen – aber das ist noch kein Ende. Ich kenne die Gründe für das enttäuschende Ergebnis nicht. Sicherlich müssen sie sich neu strukturieren und den Wiederaufbau der Partei vorantreiben, wenn es weitergehen soll. Vielleicht starten sie von Kärnten aus, wo sie über 10 Prozent haben. Wie auch immer, das sind nicht die Art von Ereignissen, die die Familie verletzen können. Es ist eine sehr starke Familie.

Unmittelbar nach dem Tod erinnerte die kollektive Trauer über Haiders Tod fast an eine Heldenverehrung. Nun hat Jörg Haider das Image, korrupt gewesen zu sein. Wie geht die Familie mit diesem Imagewandel zum „Bad Guy“ um?
Er war kein Held. Aber jemand, dem der Bundespräsident und der Bundeskanzler bei der öffentlichen Beerdigung Respekt zollten. Hat ein Kärntner Landespolitiker in der Geschichte Österreichs jemals eine solche öffentliche Beerdigungen bekommen? Ich weiß, das war ein Problem für diejenigen, die ihn hassen. Viele Anstrengungen wurden gesetzt, um das Bild von Jörg Haider sowohl während er noch lebte als auch – und dieser Mangel an grundlegenden christlichen moralischen Werten hat mich wirklich überrascht – nach dem Tod zu zerstören. Ich bin überzeugt, dass auch sein Tod von einem dieser Versuche provoziert wurde. Der Punkt ist, dass das öffentliche Bild nicht der Realität entspricht. Es ist ein Konstrukt, das von den Medien gemacht wurde. Meiner Meinung nach war es ein Fehler von Jörg Haider, das Bild, das die österreichischen und internationalen Medien für ihn zugeschnitten hatten, zu akzeptieren. Während seines Lebens versuchte er es zu ändern und zum Teil hat er das Medienbild durch seine wirkliche Persönlichkeit durchbrochen.

Wird in Österreich auch noch in fünf Jahren über Jörg Haider so viel diskutiert werden?
Ich hoffe doch nicht. Ich vertraue in das österreichische System, dass es sich endlich weiterbewegt. Ich bin sicher, Österreich kann bessere Themen finden. Das Problem ist, in Österreich gibt es einen kleinen, aber relevanten Teil der Gesellschaft, die Jörg Haider braucht, um einen dauerhaften Feind zu haben, auf den sie schießen kann. Es ist eine verrückte Einstellung, zu versuchen einen negativen Mythos zu schaffen. Es scheint, als würde man einen Prügelknaben für die Sünden der Gesellschaft brauchen.

Wie hat Jörg Haider aus Ihrer Sicht Österreich verändert?
Insgesamt denke ich, dass er Kärnten geändert hat, aber er änderte nicht Österreich. Er starb, bevor er es hätte schaffen können. Egal, wie man zu Jörg Haider steht, jeder muss wohl zugeben, dass er ein Gigant der österreichischen Politik war. Er veränderte die politische Kultur des Landes. Die Teilnahme aller Parteien und Institutionen der österreichischen Gesellschaft bei seiner Beerdigung ist eine klare Anerkennung dafür. Er schuf eine Menge von Reformen. Er führte neue Themen in die Tagesordnung der österreichischen Politik ein. Er deckte die meisten Defizite des österreichischen politischen Systems auf. Seine Fähigkeit, die gesellschaftlichen Veränderungen zu verstehen, bevor sie offensichtlich waren, ist wahrscheinlich das, warum ihn seine Gegner verabscheuten.

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Gibt es einen politischen Erben von Jörg Haider?
Es gibt keinen politischen Erben von Jörg Haider. Vielleicht gibt es ein politisches Erbe. Er schuf einen politischen Raum außerhalb der Rot-Schwarz-Hegemonie. Dieser politische Raum würde heute ohne Jörg Haiders politisches Wirken in Österreich nicht existieren. Heute liegt der Wert dieses politischen Raums bei rund 1,5 Millionen Stimmen oder 30 Prozent der Wähler. Also jeder dritte Österreicher. Am Ende sind diese Menschen die Erben von Jörg Haider.

Es is schon still uman See – Jörg Haiders Lieblingslied lässt sich auch auf die Gedenkstätte vor den Toren Klagenfurts abwandeln, wo er in der Nacht zum 11. Oktober 2008 in den Tod gerast war. Denn auch dort ist es still geworden,wie sich beim KURIER-Lokalaugenschein zeigt. Zwei Männern sanieren die Gedenkstätte für die bevorstehenden Feiern. „Sie war schon ziemlich verwahrlost“, sagt Rudi Maier aus Villach. „Ich war schon immer ein Fan von Jörg und bin ihm das schuldig.“ Drei Autos mit deutschem Kennzeichen machen Halt an der Todesstelle. Ein kurzes stilles Gedenken. „Das war nie im Leben ein Unfall“, sagt ein Mann. „Mir haben sich die Haare aufgestellt, als ich von seinem Tod erfahren habe.“

Der Hype der ersten Jahre ist Vergangenheit. Es ist, wie gesagt, still geworden. Mit ein Grund dürften die Enthüllungen der jüngsten Vergangenheit sein, die die Politik Jörg Haiders in einem anderen Licht erscheinen lassen. Geprägt von Großmannsucht, Machtdemonstrationen und Geldverschwendung. Wann immer bei Gericht in den diversen Straf- oder Zivilverfahren um die Hypo-Bank diskutiert wurde, fiel der Satz: „Landeshauptmann Haider wollte es so haben.“

Vor allem die Ära Haider II (1999 – 2008) war geprägt von Großprojekten, von denen einige nie realisiert wurden, andere grandios gescheitert waren oder Unsummen verschlungen haben. Ob Sport (Wörthersee-Stadion, Formel I) oder Kultur (Wörthersee-Bühne)– was sich der Landeshauptmann in den Kopf gesetzt hatte, musste umgesetzt werden. Geld spielte keine Rolle. „Kärnten ist reich“, pflegte Haider nach dem Hypo-Deal (Verkauf an die Bayern LB) zu sagen.

Dass dabei nicht immer der saubere Weg gegangen wurde ist evident. Stichwort: Birnbacher-Honorar. Von den sechs Millionen Euro, die der Villacher Steuerberater für die Beratung des Hypo-Verkaufs als Honorar erhalten hatte, war auch Geld für die Partei vorgesehen.

Und die Initiative war – wie Dietrich Birnbacher im Prozess sagte – von Haider ausgegangen. Dass letztlich nur ein unbedeutender Betrag in Richtung ÖVP-Obmann Josef Martinz geflossen war, dürfte wohl auf Haiders Tod zurückzuführen sein. „Herr Doktor Haider ist nicht mehr verfolgbar“, hatte Richter Manfred Herrnhofer im Urteil treffend bemerkt.

Natürlich hinterließ der Landeshauptmann auch angenehme Erinnerungen. Babygeld oder Teuerungsausgleich sind seine „Erfindungen“, die er am liebsten publicitywirksam persönlich auszahlte. Jörg Haider mag man eben. Oder man hasst ihn abgrundtief. Eine Alternative zu den beiden extremen Polen gab es damals nicht. Heute ist es selbst in Kärnten um „unseren Jörg“ stiller geworden.

Am Abend des 10. Oktober wird Jörg Haiders Witwe Claudia wie jedes Jahr seit seinem Tod eine Gedenkmesse im Bärental lesen lassen. Am nächsten Tag werden um 18 Uhr an der Unfallstelle in Lambichl bei Klagenfurt die Kärntner Freiheitlichen, mit Landeschef Christian Ragger an der Spitze, einen Kranz niederlegen. FPÖ-Chef Heinz Christian Strache wird dem Vernehmen nach nicht dabei sein.