Politik/Inland

"Zugsführer Fischer meldet sich ab"

Stellen Sie sich vor, Sie tun einen Nachmittag lang nur eines: Händeschütteln. In zweieinhalb Stunden kommen Tausende zu Ihnen; und weil Sie Menschen generell gut leiden können, plaudern Sie mit ihnen – mit jedem einzelnen Besucher, ausnahmslos. Klingt schwierig? Ist es nicht. Nicht für Heinz Fischer.

Am Nationalfeiertag öffnete auch die Hofburg wieder die Prunkräume. Und das 77-jährige Staatsoberhaupt demonstrierte, wie man sich mit Tausenden unterhält, ohne dabei oberflächlich übers Wetter zu parlieren.

Meistens klappt es über die Herkunft. Fischer fragt: „Woher kommen Sie?“ und antwortet die Besucherin „Ennstal“, sagt er darauf „Gesäuse!“ – schon geht’s ums Wandern, schon ist man am Tratschen. Zu „Tulln“ fällt ihm die „Blumenschau“ ein, stellt sich ein Kind als „Max“ vor, fragt der großväterliche „Heinz“ nach dem „Moritz“.

Der zweite Eis-Brecher sind die Finger: Nervosität und/oder die Kleidung – manche kommen im schulterfreien Abendkleid – lassen die Handfläche auskühlen. Fischer sagt: „So kalte Hände! Was ist los?“ Und schon wird vom langen Anstehen draußen vorm Tor erzählt – oder die Nervosität gebeichtet.

Wobei: Ehrfurcht ist im Maria-Theresien-Zimmer fehl am Platz, im Gegenteil: Bisweilen wirkt Fischer spitzbübisch. Er genießt das Spektakel und versucht sich selbst nicht über Gebühr ernst zu nehmen.

Als ein blonder Stöpsel mit abstehendem Haarschopf vor ihm steht, fragt Fischer: „Soll ich dir ein Spangerl besorgen?“ Ein Gipsträger humpelt mit Krücken herein. Als er behauptet, die Verletzung stamme vom Tanzen, obwohl er ja eigentlich ausgezeichnet tanze, fragt Fischer in die Runde: „Wer kann das bezeugen?“

Und schließlich sind da zwei Soldaten – Unteroffiziere, also zumindest militärisch keine Schwergewichte. Für den Oberbefehlshaber des Heeres ist das jetzt aber egal, er macht sich einen Schabernack, und verabschiedet sich gespielt dienstbeflissen mit „Zugsführer Fischer meldet sich ab!“

Womit wir bei einem anderen Thema wären: Für Fischer ist es der letzte Tag der Offenen Tür – 2016 wird ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Die Besucher beschäftigt dieser Umstand – vorerst – nur überschaubar. Warum?

Dafür gibt es viele Gründe. Zunächst einmal scheint zu gelten: Wer sich eine Dreiviertelstunde lang für einen Handschlag bei den Fischers anstellt, der schätzt den Amtsinhaber – und will, dass er bleibt. Edeltraud Hofstätter ist so jemand. „Er hat die Sache gut gemacht, er kann wieder kandidieren“, sagt die Wiener Bank-Angestellte. Auf den Hinweis, nach zwei Amtsperioden sei eben Schluss, antwortet sie: „Und warum geht das dann beim Bürgermeister?“

Auch scheint die Liste möglicher Fischer-Nachfolger noch nicht richtig unter den Wählern zu kursieren. „Ich hätte gerne eine Frau“, sagt ein Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums. Pröll, Moser oder Van der Bellen begeistern ihn wenig. „Am liebsten wäre mir Barbara Prammer gewesen. Aber vielleicht macht auch die Maria Berger eine gute Figur.“

Bundespräsident Heinz Fischer hat die aktuelle Flüchtlingsbewegung ins Zentrum seiner Ansprache zum Nationalfeiertag gestellt und bei der Bevölkerung um Verständnis für die Asylsuchenden geworben. Den Beschluss des Neutralitätsgesetzes vor 60 Jahren hält er für eine "gute Entscheidung", es habe sich "in vielfacher Hinsicht bewährt", erklärte Fischer.

Große Sorgen

2015 dürften laut Schätzungen der Behörden mehr als 500.000 Flüchtlinge das Staatsgebiet betreten, 85 Prozent davon seien Durchreisende. Rund 80.000 Personen werden einen Asylantrag stellen, so Fischer. Es werde dabei sorgfältig geprüft, ob ein Asylgrund vorliegt, betonte er. "Natürlich gibt es viele Österreicherinnen und Österreicher, die sich Sorgen machen, Unsicherheit verspüren und sich vor Belastungen fürchten, die mit dieser Flüchtlingsbewegung verbunden sind." Er appellierte daher an die Bevölkerung, sich in die Notsituation der Flüchtlinge zu versetzen, denn: Es handle sich nicht um eine anonyme Masse, sondern um einzelne Menschen mit individuellen Schicksalen.

Der Bundespräsident hielt aber auch fest, dass jene, die in Österreich Zuflucht suchen, die Rechtsordnung beachten und respektieren müssen. Er geht jedenfalls davon aus, dass Österreich das Flüchtlingsthema auch in Zukunft "stark beschäftigen" wird und hofft, dass der Bürgerkrieg in Syrien "zumindest eingedämmt" werden kann.

Fischer geht auch davon aus, dass die geplante Errichtung von Aufnahmezentren für Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen ihre Wirkung erzielen und es zu einer gerechteren Verteilung in Europa kommt.

Österreich ein "souveräner Staat"

Was die Sicherheit des Staates betrifft, erklärte Fischer: "Wir treten aus fester Überzeugung dafür ein, Flüchtlingen menschenwürdig zu begegnen. Aber wir können und werden nicht darauf verzichten, ein souveräner Staat zu sein, der die Sicherheit unserer Bürger garantiert. Unsere staatlichen Institutionen können das." Dass der Einsatz staatlicher Machtmittel immer nur unter dem Grundsatz der Angemessenheit erfolgt, sei "bewährte Praxis" und unterscheide einen demokratischen Rechtsstaat von autoritären Systemen, so Fischer.

"Sehr erfreulich" sei das Engagement der Österreicher bei der Betreuung von Flüchtlingen. Dies gelte auch für Polizei, Bundesheer, ÖBB und andere öffentliche Einrichtungen. Der Bundespräsident bedankte sich bei all jenen, die sich in den "Dienst der Menschlichkeit" stellen: "Vergessen wir nicht, dass jedes Land und jeder Mensch im Laufe der Geschichte in eine Situation kommen kann, in der man auf die Hilfe anderer angewiesen ist."

"Ausdruck einer Friedensgesinnung"

Die Österreichische Neutralität ist für Fischer "Ausdruck einer Friedensgesinnung, die den Krieg nicht als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln betrachtet und die Hauptaufgaben unseres Bundesheeres in der Landesverteidigung, in der Beteiligung an internationalen Friedensaktionen und in der Unterstützung unserer verfassungsmäßigen Einrichtungen sieht."

Kaiserwetter am Wiener Heldenplatz. Noch bevor die Massen zur Leistungsschau des Heeres strömten, fand in der Krypta ein Gottesdienst satt. Bundespräsident Heinz Fischer und Vertreter der Bundesregierung legten am gestrigen Nationalfeiertag Kränze nieder und gedachten der Neutralität Österreichs. Um 10.30 Uhr wurden 1365 Rekruten der Streitkräfte unter Anwesenheit der heimischen Spitzenpolitik feierlich angelobt. Zu diesem Zeitpunkt platzte der Heldenplatz bereits – auch dank des perfekten Wetters – aus allen Nähten.

Bundeskanzler Werner Faymann dankte der Bevölkerung für ihre Solidarität bei der Flüchtlings-Problematik: "Die Flüchtlingskrise hat Österreich erreicht, und sie wird zur Nagelprobe für Europa werden. Bis jetzt sind 300.000 Menschen durch unser Land gezogen. Davon haben fünf Prozent um Asyl angesucht." Faymann bemühte weiters die Geschichte: "Wir sollten nicht vergessen, auf diesem Platz wurde auch gehetzt. Jetzt ist es ein Platz der Demokratie und Freiheit." Ehrlicher Applaus zeigte die Verbundenheit der Bevölkerung mit der Republik.

Gedenken und feiern

Doch die 1,5 Millionen Besucher (über drei Veranstaltungstage hinweg) kamen nicht nur, um zu gedenken, sondern auch, um zu feiern. Und dieses Vorhaben wurde den Massen leicht gemacht. Kinder kletterten in Hubschrauber-Cockpits umher, kraxelten auf Motorrädern der Militärstreife oder turnten ausgelassen auf Panzertürmen. Das Kriegsgerät wurde zum Spielplatz umfunktioniert. Und nicht nur der Nachwuchs, auch die helfenden Soldaten hatten sichtbar ihren Spaß dabei. Und wer den behäbigen Saab-Draken neben dem scharf geschnittenen Eurofighter stehen sah, erkannte unweigerlich die Entwicklung in der Waffenindustrie.

Höhepunkt der Leistungsschau zum 60-Jahr-Heeres-Jubiläum war der erstmals präsentierte Flugsimulator. Besucher mit viel Geduld saßen nach langem Warten in einem täuschend echten Hubschrauber-Cockpit einer OH-58 (zivile Bezeichnung: Bell 206 Jet Ranger). Heeres-Flieger nahmen am Co-Piloten-Sitz Platz und instruierten die aufgeregten Nachwuchsflieger. Fazit: Einen Hubschrauber nur annähernd seriös zu bewegen, ist eine extrem komplizierte Angelegenheit.

Montag zu Mittag mussten die Verantwortlichen sogar die Durchfahrtsstraße am Heldenplatz sperren. Presseoffizier Friedrich Tuma: "Die heurige Leistungsschau war die am stärksten besuchte Heeresveranstaltung seit 60 Jahren. Die Österreicher akzeptieren ihre Armee." Nachsatz des Offiziers: "Ich glaube auch, dass viele noch einmal am Heldenplatz (er wird saniert, Anm.) feiern wollten. Für die nächsten Jahre muss ein neuer Veranstaltungsort gefunden werden."

Hofburg statt Parlament

Tradition hat in Österreich eben seine Anhänger. Das zeigte sich auch beim Tag der offenen Türe im Parlament. Menschenschlangen drängten in den neoklassizistischen Prunkbau am Ring. Das baufällige, 1883 fertiggestellte Gebäude muss saniert werden. Die hohe Politik zieht während der Umbauarbeiten in die Hofburg.