Strengere Regeln für Schüler, Eltern – und auch Lehrer
Weil im Schuljahr 2016/’17 rund 40.000 Schüler in Österreich nicht ausreichend Deutsch sprechen, um dem Unterricht ausreichend folgen zu können, ortet Türkis-Blau Handlungsbedarf. Die Antwort der künftigen Regierung: Leistung soll eingefordert werden – von den Schülern, von den Lehrern, aber auch von den Eltern. Mit Sanktionsmöglichkeiten auf allen Ebenen. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache fasst die neue Stoßrichtung im Bildungsbereich unmissverständlich so zusammen: "Im gesellschaftspolitisch linken Schulsystem der Vergangenheit wurde Leistung nicht ausreichend eingefordert, Beurteilungen teils abgeschafft. Das wollen wir ändern".
Die bildungspolitischen Schwerpunkte der künftigen Koalition, die sich Verhandlerkreisen zufolge bereits im inhaltlichen Endspurt befindet, finden sich in einem rund 10-seitigen Papier. Dabei stechen vor allem Deutschpflicht vor dem Besuch des Regelunterrichts, die Wiedereinführung der fünfteiligen Notenskala in allen Schulen und ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr für förderbedürftige Kinder heraus. Der KURIER gibt einen Überblick:
Bildungspass
Der Mutter-Kind-Pass soll zu einem Eltern-Kind-Pass "zur umfassenden Erfassung der individuellen Entwicklung des Kindes" erweitert werden. Wer die Bildung seines Kindes vernachlässigt soll finanziell bestraft werden. Gemeint ist die Kürzung von Familienbeihilfe und Sozialhilfe.
Aufwertung Kindergarten
Grundsätzlich sollen so schnell wie möglich die Kindergarten-Leiter eine universitäre Ausbildung absolvieren, in der Folge dann alle Pädagogen der Kindergärten.
Kindergarten ab 4 für alle, die es brauchen "auf Basis von Sprachstandsfeststellungen". Dazu "verpflichtende Sprachförderung in deutscher Sprache im Kindergarten für jene Kinder, die dies brauchen". Das hatte schon die letzte Regierung versprochen, scheiterte aber an der Umsetzung – und an der Finanzierung.
Deutsch-Klassen
Unter dem Begriff "Deutsch vor Schuleintritt" sollen in den Volksschulen eigene Deutschklassen für jene, die die Unterrichtssprache nicht ausreichend beherrschen, eingeführt werden. Der Übertritt ins Regelschulwesen soll erst bei Nachweis ausreichender Deutsch-Kenntnisse erfolgen. Die jetzigen Sprachstartgruppen und Sprachförderkurse werden aufgelöst. Kosten soll dies rund 70 Millionen Euro.
Schulnoten
Es soll auf allen Ebenen klar sein, wo das Kind steht, daher sollen das Benotungssystem (einschließlich verbaler Benotung) für alle Schultypen und Schulstufen überarbeitet werden. Es soll eine klare 5-teilige Notenskala ("Sehr gut" bis "Nicht Genügend") geben, und eine genaue Definition, was diese aussagen. Die verbale Benotung darf parallel dazu bleiben.
BIFIE
Das Institut für Bildungsforschung, bislang wichtiger Achsenpartner bei allen Schulreformplänen, soll aufgelöst werden.
Noten für Lehrer
Schüler sollen – anonym– Lehrer beurteilen und gute Lehrer besser entlohnt werden – mit einem einheitlichen neuen Besoldungsgesetz für alle, Bundes- wie Landeslehrer. Zudem soll es eine verpflichtende Fortbildung aller Lehrer am Schulstandort und in den unterrichtsfreien Zeiten geben. Bisher mussten sich AHS-Lehrer nicht weiterbilden, Landeslehrer schon. Für die Anstellung, Bewertung und Kündigung von Lehrern sollen klare Regelungen kommen.
Sonderschulen sollen erhalten bleiben.
Begabtenschulen
Einrichtung von Schulen für besonders begabte Schüler (z. B. Sir Karl Popper Schule) bundesweit.
Bürokratieabbau
Komplette Überprüfung aller Schul-Erlässe, Verordnungen und Rundschreiben "auf ihre Praktikabilität und Erfordernis". Was nicht zwingend notwendig oder nicht zweckmäßig erscheint, soll gestrichen werden.
Brennpunktschulen sollen mehr Geld erhalten.
KURIER: Herr Salcher, wie beurteilen sie die Stoßrichtung der türkis-blauen Schulpolitik?
Andreas Salcher: Das Entscheidende ist für mich das klare Bekenntnis zum Ausbau der Kindergärten. Dafür habe ich mich auch massiv selbst eingebracht. Wenn wir da in Zukunft Spitze sind, werden sich mittelfristig viele Probleme von alleine lösen. Dazu braucht es eine Verlässlichkeit in der Bildungsstafette von Kindergarten bis zur Matura. Und zweitens muss man das Lehrerbild ins 21. Jahrhundert bringen.
40.000 Schüler sprechen nicht richtig Deutsch – haben wir da Handlungsbedarf?
Das ist allen klar. Deshalb soll es jetzt ein zweites verpflichtendes Kindergartenjahr für alle geben, die es brauchen. Erst, wenn die Sprachkenntnisse und andere für die Entwicklung relevanten Faktoren ausreichen, soll ein Kind in die Regelklasse. Dann kann es nicht mehr passieren, dass in einer Volksschulklasse 80 Prozent dem Unterricht überhaupt nicht folgen können. Da ist eine Lehrerin mit 25 Kindern massiv überfordert und das Problem schiebt sich in die Neue Mittelschule weiter.
Sie sagen, wenn wir jetzt die besten Kindergärten schaffen, haben wir in zehn Jahren das beste Schulsystem der Welt. Was ist der Plan?
Wir sind das einzige EU-Land neben der Slowakei, wo die Kindergartenpädagoginnen keine akademische Ausbildung haben. Wenn erst die Leiterinnen und dann alle Pädagoginnen eine höhere Ausbildung bekommen, ist klar, dass der Beruf eine neue Wertigkeit bekommt. Aber auch, dass die mehr Geld kosten. Das werden die Länder und Gemeinden nicht alleine stemmen können. Zunächst halte ich es für richtig, die Kindergärten ins Bildungsministerium zu holen, denn sie sind keine Aufbewahrungs-, sondern Bildungsstätten.
Die Wirtschaft jubelt über die so genannte Ausbildungsreife – also Mindeststandards in Lesen, Schreiben und Rechnen.
Ja, es muss ganz klare, objektive Standards geben. Es kann nicht sein, dass man einen 15-Jährigen, der nicht sinnerfassend lesen oder die Fläche eines Quadrats ausrechnen kann, auf Lehrstellensuche schickt. Unternehmen können nicht Ersatz-Schule spielen.
Angedacht sind Sanktionen für Eltern wie die Kürzung der Sozialleistungen.
Jetzt werden einige aufschreien, dass man bei den Ärmsten der Armen nicht sanktionieren darf. Ich denke aber, es muss ein System an Anreizen und Sanktionen geben, um die Eltern dazu zu bringen, an der Bildungspflicht ihrer Kinder mitzuwirken. Sonst werden die Ärmsten immer die Ärmsten bleiben und keine Lebenschancen haben. Ein signifikanter Teil von Schülern kommt oft wochenlang nicht in die Schule. Das Zusammenspiel der sozialen Institutionen funktioniert offenbar nicht ausreichend.
Bekommen die sogenannten Brennpunktschulen in urbanen Gebieten dann mehr Geld?
Ja, aber nicht nach einem strikten Index. Es ist vollkommen klar, dass Schulen, die aufgrund von regionalen oder sozialen Bedingungen das Geld bekommen sollen, das sie brauchen, um ihre Aufgaben zu erfüllen.
Eine Forderung der Schüler war ja eine Art Feedback-System.
Ja, das anonyme Feedback der Schüler ist die Basis von Gesprächen des Direktors mit seinen Lehrern. Das ist in allen Unternehmen üblich, nur in den Schulen nicht.
Wenn ein Lehrer gut und beliebt ist, kriegt er mehr Geld?
Klar ist: Wenn es ein einheitliches Bundesgesetz für Pädagogen aller Schultypen gibt – mit leistungs- und output-orientierter Besoldung – dann wird nicht mehr derjenige profitieren, der die meisten Stunden und Überstunden macht – sondern die engagierten Lehrer, die auch viel Zeit in die Beziehung zu ihren Schülern investieren und aktiv an der Schulentwicklung mitwirken.
Für wie sinnvoll halten Sie Ziffernnoten in der Volksschule?
Derzeit gibt es verpflichtende Ziffernnoten erst ab der 4. Klasse Volksschule. Da wird dann von null auf hundert Druck aufgebaut mit Noten, die entscheiden, ob man ins Gymnasium darf. Da halte ich es für fairer, früher Notenwahrheit herzustellen, damit Eltern klares Feedback bekommen. Mein Herz hängt aber nicht daran, ob das bereits in der 1. Klasse sein muss.
Und wie soll dann festgestellt werden, ob ein Kind ins Gymnasium darf?
Was passiert derzeit? Da gibt es Eltern, die Interventionspotenzial haben und Druck auf die VS-Lehrerin ausüben und dann gibt es jene aus eher bildungsfernen Schichten, wo die Eltern sogar verhindern, dass geeignete Kinder in die AHS kommen. Es braucht daher neue Verfahren, um den Eltern zu sagen: Dieses Kind sollte ins Gymnasium, und dieses kann mit einer Lehre besser Karriere machen. Über die Einführung von Aufnahmetests an der AHS können diese aber autonom entscheiden.
Welchen Zeitrahmen stellen Sie sich für die Umsetzung dieser Reformen vor?
Eine Regierung legt ihr Programm ja auf fünf Jahre an, meiner Meinung nach müssen die Weichenstellungen aber in den nächsten sechs Monaten passieren.