Grenzkonflikt birgt Sprengstoff für EU
Von Elke Windisch
Am Freitag läuft die sechsmonatige Frist ab, die ein internationales Schiedsgericht für die Umsetzung seines Urteils im Grenzstreit zwischen Kroatien und Slowenien festgelegt hat. Genau dann will Ljubljana "seine Besitzrechte antreten" und die Zuständigkeit für die umstrittenen Abschnitte in der Adria übernehmen. So jedenfalls drohte Premier Miro Cerar im öffentlich-rechtlichen Rundfunk seines Landes. Ein Voraustrupp der Regierung rückte bereits Mitte Dezember an, um den Fischern in der Bucht von Piran die frohe Botschaft zu überbringen.
Die Bucht liegt in der nordöstlichen Adria, den Großteil davon hatte ein internationales Schiedsgericht am 29. Juni Slowenien zugesprochen, das über einen Korridor auch Zugang zu internationalen Gewässern bekommen soll. Zwar soll Kroatien die Kontrolle über den Korridor behalten und dort auch kroatisches Recht gelten. Zagreb erkennt das Urteil aber nicht an und war schon 2016 aus dem Schlichtungsprozess ausgestiegen. Damals hatte ein "befreundeter Geheimdienst" Kroatien Gesprächsmitschnitte zu Mauscheleien zwischen dem Außenministerium in Ljubljana und Sloweniens Vertreter beim Schiedsgericht zukommen lassen.
Slowenien suspendierte zwar die "Verschwörer" umgehend. Das Schlichtungsverfahren sei aber dennoch "kompromittiert", fand die kroatische Außenministerin Marija Pejčinović Burić. Ähnlich sah das auch Regierungschef Andrej Plenković. Er und prominente kroatische Experten für internationales Recht haben zudem generelle Bedenken gegen ein Schlichtungsverfahren.
Präzedenzfall für EU
Schiedsgerichte, so die Argumentation, würden, anders als internationale Gerichtshöfe, nicht streng nach dem Völkerrecht urteilen, das Kroatien beim Wasserstreit auf seiner Seite weiß, sondern seien auf Ausgleich bedacht. Eben deshalb favorisiere Europa das Schiedsverfahren. Brüssel sehe die Entscheidung zur Bucht von Piran als Präzedenzfall für die Schlichtung anderer Gebietsstreitigkeiten zwischen den Spaltprodukten Jugoslawiens.
Zagreb indes fürchtet, auch beim Gerangel um die noch ungeklärten Grenzen in der Adria zu Bosnien und in der Donau zu Serbien über den Tisch gezogen zu werden und hatte sich 2009 auf ein Schiedsverfahren mit Slowenien nur eingelassen, um dessen Veto für den EU-Beitritt Kroatiens zu überwinden. Nun besteht Ljubljana auf Umsetzung des Schiedsspruchs und droht andernfalls mit einer Blockade für Kroatiens Eintritt in den Schengen-Raum und Klage vor einem internationalen Gericht.
Pakt mit Polen, Ungarn?
Der Wasserstreit ist der bisher größte Konflikt zwischen zwei EU-Mitgliedern. Sollte Brüssel wie bisher Slowenien indirekt unterstützen, warnen liberale Leitartikler in Zagreb, würde das Kroatiens Bündnis mit klerikal Konservativen in Polen und Ungarn, das langfristig Sprengstoff für das europäische Projekt ist, weiter vorantreiben.
Auf Druck von Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission, der seit Anfang Dezember vermittelt, trafen sich beide Regierungschefs vor Weihnachten in Zagreb. Das schon für Sommer geplante Treffen hatte Slowenien mehrmals platzen lassen, Außenminister Karl Erjavec den Kroaten höchst undiplomatisch Wortbrüchigkeit unterstellt. Sie würden Verhandlungen nur dazu missbrauchen, den Schiedsspruch zu "verwässern". Auch Premier Cerar polterte, er würde nur über Modalitäten für die Umsetzung des Urteils verhandeln. Die neuen Grenzen seien durch den Spruch klar definiert und kein Verhandlungsgegenstand mehr. Auch werde Slowenien die Bestimmungen in seinen neuen Hoheitsgewässern und im Korridor einseitig in Kraft setzen und Patrouillen entsenden.
Bei den Konsultationen selbst sei die Tonalität "etwas freundschaftlicher gewesen", heißt es aus kroatischen Delegationskreisen. Dennoch endeten sie ergebnislos. 2018 sind Wahlen in Slowenien. Erjavec ist Chef der Rentnerpartei, Juniorpartner von Premier Cerar. Die graue Klientel – empört, weil der Schiedsspruch, anders als Slowenien erwartete, die Landgrenzen bestätigte – drängt zu "mehr Kante" bei den Verhandlungen mit den Nachbarn im Süden.