Stöger: "Politik auf dem Rücken von Suchtkranken"
Nachdem VP-Innenministerin Johanna Mikl-Leitner am Dienstag die Abkehr von der Substitutionsbehandlung angekündigt hat, hagelt es Kritik von allen Seiten: "Suchtkranke gehören zum Arzt, nicht zur Polizei." Mit diesen Worten erteilte SP-Gesundheitsminister Alois Stöger am Donnerstag dem Vorstoß von Mikl-Leitner eine Absage. "Die Substitutionstherapie ist ein Jahrzehnte langer parteiübergreifender Konsens. Sowohl gesundheitspolitisch Verantwortliche als auch die Fachwelt befürworten ein Weiterführen des Wegs", so der Minister.
Der Vorschlag Mikl-Leitners lege die Vermutung nahe, dass hier Politik "auf dem Rücken von Suchtkranken" gemacht werden solle; das sei "nicht akzeptabel", so Stöger. Im Ö1-Mittagsjournal hatte die Innenministerin erklärt, Stöger hätte jahrelang Gelegenheit gehabt, eine Anti-Drogenstrategie auszuarbeiten. Der Vorwurf eines Versäumnisses in der Drogenpolitik sei nicht nachvollziehbar, meinte Stöger. "Im Gegenteil, es gibt im Ministerium eine Bundesdrogenkoordinatorin und ein Bundesdrogenforum, in dem die Experten regelmäßig tagen und sich umfassend mit den Themen auseinandersetzen."
Mikl-Leitner betonte im Mittagsjournal, es gehe nicht um die Abschaffung der Substitutionstherapie. Man solle aber darüber diskutieren, ob nicht mehr Begleitung und Therapie und weniger Substitution zielführend wäre. Ein Beispiel sei Vorarlberg, wo Substitutionsmedikamente zu einem weit geringeren Prozentsatz eingesetzt würden als in anderen Regionen Österreichs.
Veto aus den Ländern
Wiens SP-Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely hält den Vorstoß für "verantwortungslos". "Eine Abschaffung der Substitutionstherapie würde das Leben aller Betroffenen massiv gefährden, die Zahl der Drogentoten würde massiv steigen", ließ sie ausrichten. Jeder Missbrauch bei der Vergabe von Ersatzstoffen müsse streng geahndet werden, was Aufgabe der Polizei sei. Ansonsten gelte: Welche Medikamente Patienten brauchen, sei Sache der Ärzte und nicht des Innenministeriums, betonte die Ressortchefin.
Überhaupt nichts von den Plänen der ÖVP-Innenministerin hält auch der Kärntner Gesundheitsreferent LHStv. Peter Kaiser von der SPÖ. Kaiser erklärte: "Das ist wohl mehr der populistische Versuch, eine Schlagzeile zu ergattern, denn verantwortungsvolle Politik." Sucht sei eine der gesellschaftlichen Entwicklung entstammende Krankheit und kein Verbrechen. Dementsprechend hätten suchtkranke Menschen das Recht auf medizinische Behandlung.
"Substitution senkt die Todesrate bei Betroffenen und reduziert die Beschaffungskriminalität signifikant", betonte die steirische VP-Gesundheitslandesrätin Kristina Edlinger-Ploder am Donnerstag. Die Substitution mit Ersatzdrogen führe zu einer Stabilisierung der Abhängigen. Auch eine Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes sei zu beobachten, etwa weniger Infektionskrankheiten wie Hepatitis C und HIV. Dies habe auch der Mediziner und Drogenexperte Martin Kurz bestätigt, der über eine immense Erfahrung im Umgang mit Drogenabhängigen verfügt, so die Landesrätin.
Für den Vorarlberger VP-Gesundheitslandesrat Christian Bernhard ist die Drogen-Substitutionstherapie "generell eine gute Sache". Die Behandlung mit Methadon reduziere für Drogenkranke die gesundheitlichen Risiken und bringe Stabilität, sprach sich Bernhard für eine Fortführung aus.
"Hier wird vor den Wahlen billiges Kleingeld für konservatives Klientel gemacht", kritisierte der Grüne Gesundheits- und Wissenschaftssprecher Kurt Grünewald.
Stein des Anstoßes ist das neue Anti-Drogen-Strategiepapier des Innenministeriums. Die Polizei plant darin unter anderem in einem Pilotversuch, den Drogenkonsum von Verdächtigen mittels Haartests nachzuweisen. Außerdem heißt es darin ganz klar: "Weg von der Substitutionstherapie", also der Behandlung von Suchtkranken mit Ersatzmedikamenten. Im Gesundheitsministerium und bei der Suchthilfe Wien sorgte das für Kopfschütteln.
Strafvollzug will bestehendes Modell beibehalten
Auch der Strafvollzug will das bestehende Substitutionsprogramm unter allen Umständen beibehalten. Vollzugsdirektor Peter Prechtl erteilt dem Vorstoß Mikl-Leitner eine deutliche Absage. "Ich sehe für den Strafvollzug keinen Bedarf, unser Verhalten zu ändern", sagte Prechtl am Donnerstag. Wird bei Insassen von Justizanstalten eine Suchtmittelabhängigkeit festgestellt, durchlaufen sie unter psychiatrischer Aufsicht eine Drogenersatz-Therapie. "Das funktioniert bei uns sehr gut und ist ein wesentliches Mittel für die spätere Resozialisierung. Ich halte das für eine Notwendigkeit", betonte Precht.
Ankündigung am Dienstag
Schon am Dienstag meldete sich Johanna Schopper, Bundesdrogenkoordinatorin im Gesundheitsministerium, im Ö1-Mittagsjournal zu Wort: "Das ist ein unnötiger Rückschritt, der eine Behandlungsform, die wissenschaftlich unbestritten als wichtig und zielführend anerkannt ist, diskreditiert."
Das Innenministerium argumentiert, dass der Missbrauch und zunehmende Handel von Ersatzmedikamenten ein großes Problem darstelle. Oft würden Betroffene zu großzügig mit Drogenersatzstoffen versorgt, so der Direktor des Bundeskriminalamtes Franz Lang. Außerdem bezieht sich das Ministerium auf Studien, die belegen würden, dass nur fünf von hundert der Substitutionspatienten in Österreich den Drogenausstieg tatsächlich schaffen würden.
Sucht ist eine chronische Krankheit
Justizministerium wartet ab
Auf Bundesebene erklärte man im Justizministerium, man warte vorerst ab. "Ich sehe für den Strafvollzug keinen Bedarf, unser Verhalten zu ändern", erklärte Strafvollzugsdirektor Peter Prechtl (Justizministerium). Die auch im Gefängnis durchgeführte Behandlung reduziere illegalen Drogenkonsum und Gesundheitsgefahren.
Es gibt überhaupt keinen Grund dafür, die Drogensubstitutionstherapie zu reduzieren. Ganz im Gegenteil, man sollte sie in Österreich ausbauen. In Wien haben wir eine Deckungsquote von 75 Prozent bei den infrage kommenden Patienten. Österreichweit liegt sie bei maximal 50 Prozent, zum Teil deutlich darunter", sagte am Donnerstag der Wiener Arzt und Drogenexperte Hans Haltmayer (Ambulatorium der Suchthilfe Wien), auch Referent für Substitution und Drogentherapie in der Wiener Ärztekammer.
Haltmayer fasste seine Erfahrungen und die Erfahrungen seiner Institution so zusammen: "Wir haben jeden Tag Erfolgserlebnisse. Patienten kommen vom kriminellen Drogenmarkt weg. Sie kommen in ein Betreuungsverhältnis. Man kann eine ganz normale Gesundenuntersuchung durchführen. Sie können wieder einen fixen Wohnplatz und soziale Hilfe bekommen. Sie können wieder ein Teil der Gesellschaft werden."
Natürlich gebe es auch Möglichkeiten für Verbesserungen. Der Arzt: "Man sollte einen noch besseren Zugang zur Drogensubstitution schaffen - und zwar in ganz Österreich. Das sollte niedrigstschwellig möglich sein."
Linzer Experte: Abkehr wäre Rückschritt
Für den Leiter des Instituts für Suchtprävention in Linz, Christoph Lagemann, würde die Abkehr von der Drogenersatztherapie einen "massiven Rückschritt" bedeuten. "Aus sachlicher Sicht ist das völlig haarsträubend", sagte Lagemann.
Auch aus den Ärztekammern in Wien und Niederösterreich kommt Skepsis.
Oberster Sanitätsrat für Drogensubstitutionstherapie
Der Oberste Sanitätsrat (OSR) als unabhängiges Beratungsorgan des Gesundheitsministeriums hat sich zur laufenden Debatte über die Drogensubstitutionstherapie vehement für diese Behandlungsform ausgesprochen. Das sei die derzeit beste und international etablierte Behandlungsform für diese schwerkranken Patienten.
"Die Erhaltungstherapie mit Opioiden (umgangssprachlich: 'Substutionstherapie') ist die geeignetste und international etablierte Form der Behandlung von opiatabhängigen Patienten, um das chronische Erkrankungsbild zu stabilisieren und gesellschaftspolitischen Schaden abzuwenden. Natürlich wäre eine Entwöhnung der Sucht (Heilung der Erkrankung, Anm.) das optimale Ergebnis, nur ist dies wie bei anderen chronischen Erkrankungen, z.B. Diabetes mellitus kaum möglich. Diese medikamentöse Behandlung gehört zweifelsohne in die Hände erfahrener Ärzte, um dieses schwere psychiatrische Erkrankungsbild professionell zu therapieren, denn es leiden diese Patienten auch zu mehr als 60 Prozent an Depressionen und Angsterkrankungen", hieß es am Donnerstag in einer Stellungnahme.
Die Experten - Herzchirurg Ernst Wolner ist Vorsitzender des OSR, die Wiener Psychiaterin Gabriele Fischer beobachtet als international anerkannte Fachkraft die Situation permanent - betonten weiter: "Es ist unbestritten, dass im Zusammenhang mit dieser Therapie auch weiterhin kriminelle Handlungen gesetzt werden können, allerdings in einem signifikant geringerem Ausmaß im Vergleich zum unbehandelten Zustand. Hier gilt es, eine transparente Qualitätssicherung der Ärztekammer umzusetzen, überdies sind die zuständigen Behörden aufgefordert, den assoziierten Missbrauch möglichst umfassend aufzudecken und einzustellen."
Die Angelegenheit hat Auswirkungen auch weitab der Gesundheitspolitik. "Abschließend muss Erwähnung finden, dass eine tägliche Therapie dieser Schwerkranken ca. acht Euro kostet, ein Tag im Gefängnis mehr als hundert Euro", so die Angaben des Obersten Sanitätsrats.
Auch aus den Ärztekammern in Wien und Niederösterreich kommt Skepsis.