Rendi-Wagner versucht SPÖ zu ermuntern: "Dieser Weg geht weiter"
In allerletzter Minute, um 17:06, huscht der SPÖ-Bundesgeschäftsführer in die SPÖ-Zentrale. Er verschränkt die Hände und starrt auf den Bildschirm - minutenlang. Kein Klatschen, kein Jubel, kein Ärger. Drozda steht und schaut, im Kameralicht glitzern seine Augen.
Im Interview darauf erklärt er, keine personellen Konsequenzen aus dem desaströsen Ergebnis ziehen zu wollen. Außerdem hoffe er noch auf die Auszählung der Wahlkarten, die das Ergebnis vielleicht leicht verbessern sollten. Viele hätten die Grünen wieder im Parlament haben wollen und jene, die von Ibiza, von der FPÖ enttäuscht worden seien, seien zur ÖVP gewandert, so der SPÖ-Geschäftsführer.
Was die SPÖ im Wahlkampf falsch gemacht habe, wollte Drozda im KURIER-Gespräch nicht beantworten.
Deutlicher wird die Vorsitzende der Sozialistischen Jugend, Julia Herr, die von einem "katastrophalen Ergebnis" spricht. Die SPÖ müsse sich inhaltlich komplett neu aufstellen, meint sie im KURIER-Gespräch.
Rendi-Wagner den Tränen nahe
Das dürfte im direkten Widerspruch zu dem sein, was Parteivorsitzende Rendi-Wagner Minuten später im SPÖ-Festzelt sagt: Die Themen waren die "Antworten auf die Probleme der Menschen", findet sie. Und: "Sie waren nicht nur die richtigen Themen, sondern sie sind die richtigen Themen", meint Rendi-Wagner.
Das Festzelt scheint sich vom ersten Schock erholt zu haben und jubelt lautstark. "Heute ist eine Zwischenstation", sagt Rendi-Wagner, die die Funktionäre damit und mit einer Danksagung offenbar ermuntern möchte: "Dieser Weg geht weiter", sagt Rendi-Wagner den Tränen nahe.
Gleichzeitig rügte sie auch die eher "traditionelleren Strömungen", also Georg Dornauer (SPÖ Tirol) für seinen sexistischen Sager und Hans-Peter Doskozil (SPÖ Burgenland) für seine Äußerungen zur Sicherungshaft.
"In der Not ist der Mittelweg der Tod"
"In der Situation der Not ist der Mittelweg der Tod", sagte der ehemalige SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer in einem Wahlvideo, die SPÖ solle sich nicht von Kommentatoren beirren lassen. Denn: Den Umfragen ist nicht zu trauen, das wisse er aus eigener Erfahrung ( "Es hat wenige gegeben, die [bei der Wahl 2006] auch nur einen Euro auf uns gewettet hätten").
In dem Video nennt die SPÖ den Rückstand "vermeintlich", es gebe ihn also nicht. "Es ist schon ein beachtlicher Rückstand für uns", sagt der ehemalige SPÖ-Chef Franz Vranitzky im darauf folgenden SPÖ-Video und man darf annehmen, dass Wahlwerbung schon mal besser koordiniert wurde.
"Nicht viel mehr als 28 Prozent"
Vor der ersten Hochrechnung herrschte eine angespannte Stimmung. Offiziell gab man sich optimistisch. "Nicht so gut" hört man hingegen SPÖ-Mitarbeiter vorab schon nuscheln. Bei den SPÖ-Unterstützern vor der Löwelstraße sieht das Stimmungsbild hoffungsfroh bis zweckoptimistisch aus. Keiner der vom KURIER befragten Unterstützer geht davon aus, dass die Sozialdemokraten sich im Vergleich zur Nationalratswahl 2017 verschlechtern.
"Ich glaube, dass die SPÖ nicht viel mehr über 28 Prozent machen wird", sagt etwa Sylvia W., die als EU-Bürgerin zwar nicht wahlberechtigt ist, aber die SPÖ seit Jahren unterstützt. Ein anderer witzelt gar, dass die SPÖ 40 Prozent machen wird und konkretisiert auf Nachfrage ("das ist ein Witz oder?"): "Oder so irgendwas in der Umgebung. 30 bis 35 Prozent."
Rendi-Wagner "gute Bundeskanzlerin"
Auf Opposition haben die wenigsten Unterstützer Lust. "Rendi-Wagner ist eine gute Kandidatin", meinte jemand, "und sie wäre eine gute Bundeskanzlerin." Falls das nicht möglich sei, würden einige eine Koaliton mit der ÖVP verstehen, wobei einige die unrealistische Variante von Rot-Grün präferieren.
Und für den Fall, dass die SPÖ das schlechteste Ergebnis der Geschichte einfährt, also unter 26 Prozent stürzt? Dann müsse etwas passieren, "neu anfangen", meint eine Auslandsösterreicherin, die extra aus Basel angereist ist und ein "Menschlichkeit siegt"-Schild mitgebracht hat. Bezüglich Personalrochaden halten sich die Genossen vor der Hochrechnung sehr zurück. Niemand ist - vor der Kamera - der Ansicht, dass personell etwas passieren muss.
Bekanntlich gab es zuletzt Unstimmigkeiten zwischen Gewerkschaft und SPÖ-Führung, weil die Gewerkschaft ihren Einfluss auf die Sozialgesetzgebung schwinden sieht. Nicht einmal ein befragter Gewerkschafter möchte an Rendi-Wagner rütteln.
Positionierung zwischen "die mit dem Bihänder" und "Menschlichkeit siegt"
Die Ausgangslage für Pamela Rendi-Wagner war alles andere als einfach: Weder die Themenlage noch die Stimmung sprach wirklich ganz für sie. Und auch in der Partei hatte sie es schwierig.
"Ich will nicht mit dem Bihänder auf die Leute eindreschen", sagte Christian Kern ziemlich genau vor einem Jahr als er den SPÖ-Vorsitz zurücklegte und an Rendi-Wagner übergab.
"Sind Sie die mit dem Bihänder?", wurde Rendi-Wagner folgerichtig anfangs gefragt. Es gibt bessere Rahmenbedingungen, um eine neue Chefin mit anderer Ausrichtung zu präsentieren. Die Partei meinte, die einfühlsame Ärztin könnte ein guter Widerspruch zu den starken Männern in der Regierung sein. "Menschlichkeit siegt" war dann auch der Slogan der SPÖ-Spitzenkandidatin.
"Ich möchte erste gewählte Bundeskanzlerin von Österreich werden!"
Den mühsamen Wahlkampf durch die TV-Studios, Städte und Dörfer Österreichs absolvierte sie souveräner als Beobachter erwarteten. Auch inhaltlich fasste sie langsam Tritt. Neben Gesundheitsthemen, die die Ärztin authentisch verkaufen konnte, kamen klassischere, breitere Forderungen dazu:
Mit einem Mindestlohn von 1.700 Euro und einer Steuerbefreiung bis 1.700 Euro sollten die "Österreicher gut von ihrer Arbeit leben können." Auch machtstrategisch wurde sie deutlicher: "Ich möchte erste gewählte Bundeskanzlerin von Österreich werden!", sagte Rendi-Wagner trotz der desaströsen Umfragen, zweites Wahlziel war es die "Ibiza-Koalition" aus ÖVP und FPÖ zu verhindern.
So deutlich war Rendi-Wagner nicht immer. Zum Jahreswechsel 2019 meinte sie, es sei nicht der richtige Zeitpunkt für Vermögenssteuer - dafür musste sie viel interne Kritik einstecken und zurückrudern. Nach dem Ibiza-Skandal überlegte sie vier Tage lang, zu welchen parlamentarischen Mitteln sie greifen soll. Beobachter legten ihr das als Schwäche aus.
Als sie dann mittels Misstrauensantrag die ÖVP-Experten-Regierung stürzte, versuchte die Partei wohl Einigkeit zu symbolisieren: Das legendäre ZiB2-Interview, bei dem (nicht) alle Landeschefs hinter ihr im Finstern der Nacht stehen, machte nur leider kein gutes Bild.
Was man dabei nicht vergessen darf: Rendi-Wagner ist eine Quereinsteigerin und hat damit in der SPÖ keine Machtbasis, die ihr - komme was wolle - den Rücken freihält. Mehrmals hieß es aus der SPÖ, dass das junge SPÖ-Mitglied Rendi-Wagner doch der beste Beleg dafür sei, dass die Partei sich geöffnet habe.
Von der "Van-der-Bellen-Mehrheit", die Kern vorschwebte, war die SPÖ aber auch unter Rendi-Wagner weit entfernt. Die liberale Parteireform, an der der junge SPÖ-Geschäftsführer Max Lercher, wurde abgesagt. Oder wie es der neue Geschäftsführer Thomas Drozda im Herbst 2018 formulierte: Man werde "ohne Zeitdruck" daran arbeiten.
"Hoch gewinnt die SPÖ das nimmer"
Daran änderte sich auch nichts, als Kern ein Monat nach Ibiza Druck dahingehend machte und seiner Partei ausrichtete: "Hoch gewinnt die SPÖ das nimmer."
Eine junge, steirische SPÖ-Abgeordnete mokierte daraufhin, dass ein "Akademiker im Anzug" (Drozda) einen "Steirer in Jeans" (Lercher) ersetzt hat. In dieser Auseinandersetzung dürfte es aber nicht nur um Personalia gehen.
Das größere Problem der SPÖ ist derzeit wohl, dass sie sowohl den "Akademiker im Anzug" als auch den "Steirer in Jeans" repräsentieren muss.