Auch Wirtschaft fordert Milliarden-Entlastung
Von Maria Kern
Die Regierung hat den Bürgern bei ihrer Klausur vor zwei Wochen eine Steuerreform von mindestens fünf Milliarden Euro versprochen. Das zentrale Ziel von SPÖ und ÖVP ist, die Lohnsteuer zu reduzieren, damit den Arbeiternehmern netto mehr übrig bleibt. Der ÖVP-Wirtschaftsbund unterstützt das, fordert aber, dass auch den Unternehmen geholfen wird.
"Wir sind dafür, dass die Lohnsteuer gesenkt wird und die Arbeitnehmer entlastet werden, aber im Rahmen einer Gesamt-Steuerreform müssen wir auch über die Entlastung der Arbeitgeber sprechen. Denn die Unternehmer sind am Limit", sagt Wirtschaftsbund-Generalsekretär Peter Haubner im KURIER-Gespräch und fordert eine Senkung der Lohnnebenkosten. Er argumentiert, die Firmen würden enorm unter den hohen Abgaben leiden – zumal auch die Konjunktur schwächelt
Rekord-Abgaben-Quote
Tatsächlich liegt Österreich mit einer Steuer- und Abgabenquote von mehr als 45 Prozent im europäischen Spitzenfeld (Haubner: "So hoch war sie noch nie").
Bei den Arbeitskosten verzeichnete Österreich zwischen 2008 und 2013 laut Eurostat sogar den höchsten Anstieg in der Währungsunion (plus 18,9 Prozent; Euro-Zone: plus 10,4 Prozent).
Ein Grund dafür sind die hohen Lohnnebenkosten, die zum Großteil von den Arbeitgebern berappt werden (rund 31 Prozent vom Brutto-Lohn; siehe Zusatz-Info).
Ansetzen könne man etwa beim Familienlastenausgleichsfonds (FLAF), der ausschließlich über Arbeitgeber-Beiträge finanziert wird. Die Betriebe zahlen laut Wirtschaftsbund pro Jahr rund 5,3 Milliarden Euro in diesen Topf ein. Daraus werden beispielsweise die Familienbeihilfe und das Kindergeld finanziert. "Das ist auch in Ordnung so, denn der FLAF wurde für diese Familienleistungen eingerichtet. Er wird zum Teil aber zweckentfremdet. Es werden daraus auch die Schulbücher und Schülerfreifahrten bezahlt. Wir wollen keinen Sozialabbau, aber die Schulbücher sollte das Bildungsministerium und die Schülerfreifahrt das Verkehrsministerium zahlen", befindet Haubner. Das würde die Unternehmer um fast 500 Millionen Euro pro Jahr entlasten. Einen weiteren Ansatzpunkt sieht der Wirtschaftsbund-General beim Dienstgeber-Anteil zur Arbeitslosenversicherung. Dieser sei in Österreich mit drei Prozent doppelt so hoch wie in Deutschland (1,5 Prozent). In der Schweiz seien es gar nur 1,1 Prozent. "Das beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit", sagt der ÖVP-Wirtschaftssprecher, der meint, dass von einer Entlastung der Unternehmer letztlich alle profitieren würden: "In Zeiten von steigender Arbeitslosigkeit muss unser Ziel doch sein, neue Arbeitsplätze zu schaffen und die bestehenden abzusichern. Denn wenn man den Job verliert, hat man auch nichts von einer Lohnsteuersenkung."
Mitarbeiterprämie
Auch Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl sprach sich am Donnerstag im ORF-Radio für eine Senkung der Lohnnebenkosten – schon 2015 – aus. Zudem könnte eine Mitarbeiter-Erfolgsbeteiligung schon im kommenden Jahr realisiert werden. Wenn Firmen am Jahresende Prämien an Mitarbeiter ausschütten, sollten diese nur mit 25 Prozent besteuert werden.
Lohnnebenkosten
Dienstnehmer-Beiträge Arbeitnehmern werden von ihren Brutto-Einkommen Lohnsteuer (LSt) und Lohnnebenkosten (18 % vom Brutto-Bezug) abgezogen. Lohnnebenkosten sind z. B. Kranken-, Pensions-, Arbeitslosenversicherung-Beiträge.
Dienstgeber-Beiträge Die Arbeitgeber müssen zusätzlich Dienstgeber-Beiträge (31 %) zahlen: Kranken-, Pensions-, Arbeitslosen- und Unfallversicherungsbeiträge; Beiträge an den FLAF und die Wohnbauförderung etc.
Beispiel Für einen Angestellten mit brutto 1789 € (netto: 1300 €), muss der Arbeitgeber noch 655 € an Dienstgeber-Beiträgen zahlen. Gesamtkosten/Monat rd. 2444 €.
Die neue Standortstrategie für Österreich hat 76 Seiten. 130 Vorschläge für bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen sind darin enthalten. "Österreichs Industrie soll einen höheren Stellenwert erhalten", umreißt Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner das Ziel.
Über den Sommer haben 40 Vorstandschefs führender heimischer Industriebetriebe in fünf Arbeitsgruppen ein ganzes Maßnahmenbündel für die Politik erarbeitet. Die Bandbreite reicht von der Wissens-, Forschungs- und Innovationspolitik über Steuer-, Klima- und Energiefragen bis zur Arbeitszeit. Federführend waren unter anderem voestalpine-Chef Wolfgang Eder, Infineon-Chefin Sabine Herlitschka, Fronius-Chefin Elisabeth Engelbrechtsmüller-Strauß und Mondi-Boss Peter J. Oswald.
Wochenendarbeit
Die Vorschläge der Leitbetriebe lesen sich wie der erweiterte Forderungskatalog der Industriellenvereinigung (IV). So soll entbürokratisiert, eine neue F&E-Strategie formuliert, die Arbeitskosten gesenkt oder die energieintensive Industrie finanziell entlastet werden. Beim Klimaschutz etwa sollen die Versteigerungserlöse durch den CO2-Handel in die Umwelttechnologie fließen.
Aufhorchen lassen die Wünsche zur Flexibilisierung der Arbeitszeit. Unter dem Titel "Dann arbeiten, wenn Aufträge da sind" wird nicht nur eine Anhebung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit auf 60 Stunden befürwortet, sondern auch die Wochenendruhe infrage gestellt und eine 6-Tage-Woche gefordert. Wörtlich heißt es in der Standortstrategie: "Ein Ersatz der Wochenendruhe durch die Wochenruhe, die grundsätzlich erst am Sonntag um 00:00 Uhr beginnt, ist anzustreben." Unzufrieden sind die Leitbetriebe mit dem Recht auf Elternteilzeit bis zum 7. Lebensjahr. Der Anspruch ist für die Frauenbeschäftigung "kontraproduktiv" und soll daher nur bis zum 4. Lebensjahr des Kindes gelten. Auf der Wunschliste stehen weiters Steueranreize für ausländische Spitzenkräfte sowie eine Attraktivierung der Rot-Weiß-Rot-Card.
Umsetzung
Eine 6-Tage- oder 60-Stunden-Woche seien nicht im Regierungsprogramm, bremst Mitterlehner sogleich den Eifer der Betriebe. Entbürokratisierung, Steuerentlastung oder die Forcierung von Industrie 4.0 (voll vernetzte Fabriken, Anm.) befänden sich aber sehr wohl auf der Agenda. Schwieriger sei es, die im internationalen Umfeld aufgestellten Forderungen umzusetzen: "Hier müssen wir proaktiver auf EU-Ebene wirken."
IV-Präsident Georg Kapsch will sich nicht länger vertrösten lassen: "Es geht jetzt um die konkrete Umsetzung der Standortstrategie, diese soll nicht nur Papier bleiben." Österreich müsse ein Zeichen nach außen setzen, das motiviert, hier zu investieren. Die Industrie werde daher "der Nagel im Fleisch" der Regierung bleiben. So soll ein eigener "Standort-Board" bestehend aus zehn bis zwölf Wirtschaftsbossen ab 2015 einen jährlichen Check der Standortpolitik vornehmen.
Kritik, dass die Strategie von Konzernen formuliert wird, während Klein- und Mittelbetriebe unberücksichtigt bleiben, weist Mitterlehner zurück. Ein Leitbetrieb sei mit jeweils 900 bis 1000 KMU vernetzt. Kapsch hält es überhaupt für eine "Mär", dass Österreich ein KMU-Land sei. Die größte Wertschöpfung komme von Leitbetrieben. Als bloße Forderungen der Industriellenvereinigung kanzelt AK-Direktor Werner Muhm das Papier ab. "Eine erfolgreiche Standortstrategie setzt voraus, dass auch die Arbeitnehmervertretung eingebunden wird." Viele der Vorschläge seien schon bei den Koalitionsverhandlungen durchgefallen. Wenn sie jetzt umgesetzt werden sollen, müsste das Regierungsprogramm neu verhandelt werden.