Staatsmann gefordert: Ruhender Pol in der Hofburg
Von Michael Bachner
Am 24. April brach sich die wilde Abgeordnete Martha Bißmann (früher Liste Jetzt) den Fuß und als die Schmerzen immer schlimmer wurden, rief sie die Rettung. Unter den Ersthelfern war zufälligerweise Alexander Van der Bellen, der an dem Tag das Rote Kreuz begleitet hatte.
Vier Wochen später fungiert der Ex-Chef der Grünen und heutige Bundespräsident erneut als Helfer in der Not.
Alexander Van der Bellen, oder VdB wie er von seinen Fans seit dem überaus zähen Hofburg-Wahlkampf gegen den designierten FPÖ-Chef Norbert Hofer liebevoll abgekürzt wird, muss – salopp formuliert – den Laden der Republik zusammen halten.
Das türkis-blaue Experiment hat sich nach knapp eineinhalb Jahren völlig unerwartet ausexperimentiert. VdB fand klare Worte zu den unschönen Szenen aus Ibiza: "Es sind beschämende Bilder und niemand soll sich für Österreich schämen müssen."
Und jeden Schritt, der nach der Veröffentlichung des deutsch-russischen Insel-Mitschnitts mit den blauen Hauptdarstellern Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus gesetzt werden musste, hat VdB eng abgestimmt mit Bundeskanzler Sebastian Kurz getan.
Diese neue schwarz-grüne Achse ist bemerkenswert. Den jungen Kanzler und den großväterlichen Präsidenten eint ein Ziel: Sie wollen verhindern, dass aus der Regierungs- und Vertrauenskrise eine Staatskrise wird. Das kann gelingen. Sollte die neu formierte Opposition ihren Teil dazu beitragen, an das große Ganze denken, statt sich von Rachegefühlen leiten zu lassen.
Nicht Schwarz-Blau I
Mit Misstrauensanträgen, wie jenem, der von FPÖ, SPÖ und Liste Jetzt gegen Kurz und sein Übergangskabinett für Montag vorbereitet wird, hat Van der Bellen seine Erfahrung. Er hat als Grünen-Chef gegen Schwarz-Blau I zu Beginn der 2000er-Jahre selbst einige eingebracht. Immer erfolglos. Nie gelang es, den damaligen ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel aus dem Amt zu jagen.
Heute versucht VdB gewissermaßen das Gegenteil.
Er hilft mit, dass der politische Ziehsohn von Schüssel, Sebastian Kurz, eben nicht aus dem Bundeskanzleramt gejagt wird. Seine Ermahnungen und Statements in den vergangenen Tagen, immer rund um die Worte Vertrauen und Stabilität drapiert, lassen keinen anderen Schluss zu.
Zum Wohl der Republik
Van der Bellen appelliert an die "Ruhe, Vernunft und die staatspolitische Verantwortung". Er spricht damit vor allem der SPÖ ins Gewissen. Die Roten würden am liebsten Türkis-Blau komplett in die Wüste schicken, mitsamt Kurz und den Seinen.
Doch VdB setzt auf eine stabile Übergangsregierung bis zum Wahltermin Anfang September. Und Kurz soll sie anführen. "Alles geschieht nur zum Wohl der Republik", macht er klar. Würde am Sonntag nicht das EU-Parlament, sondern der Chef in der Hofburg gewählt, Kurz würde Van der Bellen wählen.
Auch bei der Auswahl der Spitzenbeamten für die Leitung der plötzlich führungslosen blauen Ministerien gehen Van der Bellen und Kurz nun de facto Hand in Hand.
Seine jüngsten Auftritte runden das untadelige Bild ab, das die Öffentlichkeit mittlerweile von ihm haben dürfte. Vergessen ist der eine oder andere Mini-Aufreger vom Beginn seiner Amtszeit.
Viel nachhaltiger wiegt VdBs besonnene Amtsführung entlang der "Eleganz und Schönheit der Verfassung", wie er sagt, in den Chaostagen nach Ibiza.
Der grüne Wirtschaftsprofessor scheint in den ernsten Stunden regelrecht im Amt aufzugehen. Seine Wähler, halb Österreich, fühlen sich bestätigt, sie sehen einen Staatsmann vor sich und wollen sich gar nicht vorstellen, wie ein Präsident Norbert Hofer die Entlassung von Innenminister Herbert Kickl zu blockieren versucht hätte.
VdB zögerte keine Sekunde. Er macht damit für viele einen vermeintlichen Fehler wieder gut, Kickl angelobt zu haben. Und erteilt auch Kurz eine Art Absolution, es mit den Rechtspopulisten überhaupt versucht zu haben.
VdB hat 2018 die Bestellung des rechtslastigen Hubert Keyl zum Bundesverwaltungsrichter verhindert. VdB hat die Ernennung des Kickl-Vertrauten Peter Goldgruber zum Generaldirektor für öffentlich Sicherheit verhindert. VdB hat alle blauen Minister entlassen. Für viele ist er der Mann der Stunde.