Politik/Inland

Schönborn: "Reform von oben schneller als wir"

Der Papst will wissen, was das Kirchenvolk in Sachen Ehe, Familie, Wiederverheiratete denkt. Damit das nicht nur von Bischöfen nach Hörensagen nach Rom rapportiert wird, hat der Vatikan einen Fragebogen ins Netz gestellt (www.bischofskonferenz.at). Allerdings sind es keine einfachen Ja/Nein-Fragen, und Kardinal Christoph Schönborn gesteht, dass das Einsammeln der Kirchenvolksmeinung nicht leicht ist. „Wir versuchen, was in zwei Monaten möglich ist“ , in jeder Diözese werde eine Stelle für Rückmeldungen eingerichtet.

KURIER: Herr Kardinal, wie überrascht waren Sie, dass Papst Franziskus das Kirchenvolk befragen lässt?

Kardinal Christoph Schönborn: Das ist eine große Überraschung gewesen. Das hat es in dieser Form bisher nicht gegeben, einen Fragebogen zur Bischofssynode zu veröffentlichen mit dem Wunsch, die Fragen bis an die Basis zu verbreiten. Aber Franziskus hat von Anfang an gesagt, er möchte die Kollegialität der Bischöfe und die Verbindung zu den Ortskirchen deutlicher machen. Das praktiziert er jetzt ganz offensiv. Er will nicht primär wissen, was die Bischöfe sagen, sondern wo die Menschen der Schuh drückt.

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Die Zeit ist knapp: Schon im Jänner sollen die Bischöfe in Rom berichten.

Die Reform von oben war schneller als wir. Wir haben den Fragebogen auf unsere Website gestellt, Rom stellte ihn schon einen Tag vorher ins Netz. Die Zeitschiene ist schmal. Die Auswertung einer so breit angelegten Befragung ist immer ein schwieriges Unterfangen. Es wurde ja nicht die Methode einer repräsentativen Umfrage gewählt.

Was will der Papst wissen?

Er will ein Bild von der Situation, wie sie wirklich ist. Dafür hat er nicht Bewertungsfragen, sondern Bestandsfragen gestellt. Wie sieht es konkret aus mit Patchwork-Familien, mit der Situation der Wiederverheirateten, gleichgeschlechtlichen Partnerschaften? Es sollen Fakten und Lebenseinstellungen erhoben werden, nicht um sie wertfrei stehen zu lassen, auch um zu sehen, was an Wunden, aber auch an Sehnsüchten und Hoffnungen da ist.

Was macht der Papst mit dem, was ihm da berichtet wird?

Wie konkret die Auswertung dieser weltweiten Umfrage aussehen wird, kann ich noch nicht sagen.

Sie sagten kürzlich, die Frage sei, ob die Kirche ein Ort sei, wo man mit seinem Scheitern hinkommen könne, oder ob sie die „Rote Karte“ zeigt und sagt, hier ist kein Platz. Also keine „Rote Karte“ mehr für Wiederverheiratete?

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Eine Öffnung für Wiederverheiratete ist ja grundsätzlich gegeben, es ist ja die Frage: wofür? Wie mit Bruchsituationen umzugehen ist, die nicht dem Ideal entsprechen, das ist die große Frage, die der Papst in diesem Fragebogen durchklingen lässt. Darauf wird es nicht plakative Antworten geben, denn unser ganzes Leben ist immer nur eine Annäherung an das, was wir uns erträumen und was von Gott her sein sollte. Wie konkret die Barmherzigkeit in Situation des Scheiterns, des Neuanfangs, der Lebensbrüche aussieht, da haben wir die Antwort nicht fertig in der Tasche.

Mit dem Fragebogen lehnt sich die Kirche weit hinaus: Was, wenn eine Mehrheit der Gläubigen zum Beispiel die Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe wünscht?

Das gilt für viele Bereiche, dass zwischen dem, was eine Mehrheit sagt, und dem, was von Gott her geboten ist, ein Unterschied besteht. Auch das Gebot „Du sollst nicht lügen“ ist eindeutig, aber wenn ich statistisch frage, wie gehst du damit um, werden vermutlich die meisten sagen, ein bisserl Kompromisse müssen wir schon machen – und die Lüge bleibt trotzdem Lüge.

Seitens der Basis gibt es den Wunsch der Einbindung – Stichwort „Wir sind Kirche“ – schon lang. Warum hat man diese Basisstimmung nicht schon aufgenommen und dem Papst weitergeleitet?

Es ist ja nicht so, dass das, was gesagt, gedacht, gewünscht wird, im Tresor der österreichischen Bischöfe liegen geblieben ist. Es ist das alles öffentlich diskutiert und in Rom genauso bekannt wie bei uns. Ich kann mich an manches Gespräch mit Papst Benedikt oder Johannes Paul II. erinnern, die unglaublich gut informiert waren über die Sorgen, Wünsche, Hoffnungen vieler Österreicher.

Auf einer Pressekonferenz zum Ende der Herbstvollversammlung der österreichischen Bischofskonferenz gab Schönborn auch bekannt, dass „sehr bald“ mit der Nachfolge für den scheidenden Salzburger Erzbischof Kothgasser zu rechnen sei – der Brief mit dem Dreiervorschlag des Papstes sei schon in Salzburg. Er warnte davor, dass die wachsende Schuldenspirale in Österreich den Raum für die Generationengerechtigkeit weiter einenge. Und er verlangte neuerlich, dass der österreichische Konsens gegen die Euthanasie in Verfassungsrang gehoben werden sollte.

Zur Vorbereitung der Sonderbischofssynode zum Thema Familie hat der Vatikan einen umfangreichen Fragenkatalog an die nationalen Bischofskonferenzen verschickt. Einige ausgewählte Fragen:

1. Zur Verbreitung der Heiligen Schrift und des Lehramtes der Kirche in Bezug auf die Familie: Wird die Lehre der Kirche dort, wo sie bekannt ist, ganz angenommen? Zeigen sich bei ihrer Umsetzung in die Praxis Schwierigkeiten? Welche?

2. Zur Ehe nach dem Naturrecht: Wird der Begriff des Naturrechts in Bezug auf die Verbindung zwischen Mann und Frau vonseiten der Gläubigen im Allgemeinen akzeptiert? Wie soll man die pastoralen Herausforderungen annehmen, die sich ergeben, wenn nicht praktizierende oder sich als ungläubig bezeichnende Getaufte die Feier der Eheschließung erbitten?

3. Die Familienseelsorge im Kontext der Evangelisierung: Welche Erfahrungen wurden in den letzten Jahrzehnten in Bezug auf die Ehevorbereitung gemacht? Auf welche Weise hat man sich bemüht, dem Evangelisierungsauftrag der Eheleute und der Familie Impulse zu geben?

4. Zur Seelsorge für Gläubige in schwierigen Ehesituationen: Welche Anfragen/Bitten gibt es vonseiten der wiederverheirateten Geschiedenen an die Kirche in Bezug auf die Sakramente der Eucharistie und der Versöhnung? Wie viele Gläubige, die in diesen Situationen leben, fragen nach diesen Sakramenten? Könnte die Straffung der kirchenrechtlichen Praxis zur Anerkennung der Nichtigkeitserklärung des Ehebandes einen wirklichen und positiven Beitrag leisten zur Lösung der Probleme der betroffenen Personen? Wenn ja, in welchen Formen?

5. Zu gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften: Was ist die Haltung der Teilkirchen und Ortskirchen sowohl gegenüber dem Staat, der die zivilen Verbindungen zwischen Personen desselben Geschlechts fördert, als auch gegenüber den von dieser Art von Verbindungen betroffenen Personen? Wie soll man sich auf pastoraler Ebene mit Blick auf die Glaubensweitergabe in jenen Fällen verhalten, in denen gleichgeschlechtliche Partner Kinder adoptiert haben?

6. Zur Erziehung der Kinder in irregulären Ehesituationen: Wie hoch ist der geschätzte Prozentsatz der Kinder und Heranwachsenden im Vergleich zu den in regulären Familien geborenen und aufgewachsenen Kindern? Wie kommen die Teilkirchen dem Wunsch dieser Eltern nach, ihren Kindern eine christliche Erziehung zu bieten?

7. Zur Offenheit der Eheleute für das Leben: Welche Gegensätze fallen zwischen der Lehre der Kirche und der weltlichen Erziehung in diesem Bereich auf? Wie kann man eine mehr für die Nachkommenschaft offene Mentalität fördern? Wie kann man einen Anstieg der Geburtenrate fördern?

8. Zur Beziehung zwischen Familie und Individuum: Welche kritischen Situationen der Familie in der heutigen Welt können zu einem Hindernis für die Begegnung des Einzelnen mit Christus werden? In welchem Maß wirken sich die Glaubenskrisen, die die Einzelnen durchmachen können, auf das Familienleben aus?