Polizei durchsuchte Servitenkloster
Wer die vollen 10.000 Euro an die Schlepperbande bezahlte, durfte in der EU seines Weges gehen. Wer nur einen Teil davon beglich, musste den Rest abarbeiten. Einige dieser besonders armen Flüchtlinge landeten in Traiskirchen, besetzen die Votivkirche und waren schließlich im Servitenkloster. Ihre Schlepper waren darunter und wachten darüber, dass das fehlende Geld abgestottert wurde.
Das ist die Grundthese der Ermittler des Bundeskriminalamtes. In diesem Zusammenhang wurden mittlerweile sechs Pakistani und ein Inder verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, Hunderte ihrer Landsleute über den Balkan nach Österreich geschleppt zu haben. Fünf der sieben Verhafteten stammen offenbar aus dem Umfeld des Servitenklosters drei davon hatten dort ihre „Wohnadresse“.
Aus Ermittlerkreisen hieß es, die Gruppe sei durch besondere Brutalität gegenüber den Flüchtlingen aufgefallen. Kranke wurden am Weg von Pakistan nach Österreich einfach zurückgelassen, eine Schwangere angeblich aus dem Zug gestoßen.
Hausdurchsuchungen
Mittwochfrüh gab es Hausdurchsuchungen der SOKO Schlepperei im Servitenkloster sowie im Kolpinghaus am Alsergrund. Spinde der am Montag verhafteten Männer wurden durchsucht, mehrere Handys dabei sichergestellt. „Es geht um wiederholte Schlepperei“, erklärt Nina Bussek von der Wiener Staatsanwaltschaft. „Die sechs sind nicht die Köpfe der Gruppe. Sie haben keine Millionen kassiert, wie kolportiert wird.“
Die Polizei betont, dass es keinen Konnex zwischen den Schlepperei-Ermittlungen und den Abschiebungen gäbe. Gegen letztere reißen die Proteste nicht ab. Erneut wird zu Demos und einem Stopp der Abschiebungen nach Pakistan aufgerufen. In die Debatte schaltet sich auch Heinz Patzelt von Amnesty International ein. Er stößt sich aus menschenrechtlicher Sicht an der niedrigen Anerkennung von Pakistani in Österreich im EU-Vergleich. Konkret bezieht er sich auf Zahlen des Europäischen Flüchtlingsrats, der Österreich in der ZiB2 rügte: Hierzulande bekämen 1,5 Prozent der Pakistani Asyl gewährt, in Deutschland (rund 25 Prozent) oder Italien (fast 59 Prozent) seien es signifikant mehr.
„Uminterpretation“
Patzelt erklärt das so: „In Österreich findet eine politische Uminterpretation von Gefährdungen statt.“ Er erneut die Forderung nach einer Berufungsinstanz, einem Höchstgericht auf EU-Ebene: „Dadurch wären Entscheidungen sauber, strukturiert und standardisiert.“
Auch Caritas-Chef Franz Küberl verlangte zuletzt einheitliche Kriterien. Im Innenministerium weist man die Kritik zurück: Hier würden „Äpfel mit Birnen“ verglichen, erklärt ein Sprecher dem KURIER. Wegen unterschiedlicher rechtlicher Instrumente in den Ländern – etwa die Duldung oder das humanitäre Bleiberecht hierzulande –, sei es nur zulässig, die Zahlen zur Asylzuerkennung zu vergleichen. Dabei sei man im EU-Schnitt, hieß es.
Jene zwölf Flüchtlinge im Servitenkloster, deren Verfahren rechtskräftig negativ abgeschlossen sind, kommen ihrer Meldepflicht bei der Polizei nicht nach – offiziell wegen gesundheitlicher Probleme. Dahinter dürfte die Angst vor Festnahme und Abschiebung stehen. Die Exekutive hat für sie bereits Heimreisebestätigungen für die Abschiebungen beantragt.
Mikl-Leitner verteidigt Abschiebung
Innenministerin Mikl-Leitner verteidigte am Mittwoch die Abschiebung der im Servitenkloster untergebrachten Flüchtlinge. "Alles andere wäre Amtsmissbrauch gewesen", berief sie sich in der ZiB 2 auf die Entscheidungen von Bundesasylamt und Asylgerichtshof. Auch die Fremdenpolizei gehe "nach dem Gesetz vor". Auf die Frage, ob Pakistan ein sicheres Land ist, ließ sich die Ministerin nicht ein.
Der grüne Integrationssprecher Senol Akkilic kritisiert die Abschiebungen scharf. Er habe sich von Anfang an politisch und auf Beamtenebene für die Asylwerber eingesetzt. Ohne Erfolg. Zu Gesprächen mit Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (VP) sei es nie gekommen. „Diese Abschiebungen sind dem Wahlkampf geschuldet“, sagt Akkilic. „Neun Monate hat die Ministerin zugeschaut, auf einmal wird abgeschoben. Dabei gab es im April schon negative Asylbescheide.“ Ob sich Schlepper in dem Servitenkloster befanden, will Akkilic noch nicht beurteilen: „Da muss die Ministerin erst die Fakten auf den Tisch legen.“
Die Wiener SPÖ gibt sich inzwischen deutlich zurückhaltender. Noch am Dienstag kritisierte Integrationssprecherin Nurten Yilmaz die Innenministerin mit scharfen Worten. Am Mittwoch wurde der Wiener SP dann zum Schweigen verdonnert. Nur noch Bundesgeschäftsführer Norbert Darabos nehme zu der Causa Stellung, hieß es aus der Wiener SPÖ. Dieser verteidigte die Abschiebungen als rechtens: „Ich vertraue den österreichischen Gesetzen und auch den Entscheidungen der Innenministerin.“
Andrea Reisinger ist verzweifelt. Die Künstlerin lebte seit Jänner mit einem jener acht Pakistani zusammen, die abgeschoben wurden. Am Sonntag in der Früh verließ J. M. (33) vermeintlich nur kurz ihre Wiener Wohnung, um sich vorschriftsmäßig bei der Polizei zu melden. Zurück kam er nicht mehr. Er wurde vom Fleck weg verhaftet. Sein spärlicher Besitz – ein paar Kleidungsstücke und eine Zahnbürste – sind ihr geblieben.
Allerdings wurde M. nicht wie seine Landsleute mit dem Flugzeug nach Pakistan gebracht, sondern mit dem Bus nach Nickelsdorf – wo ihn die ungarische Fremdenpolizei in Empfang nahm. Zurzeit ist er in Ungarn inhaftiert, „er weiß nicht einmal, wo er sich befindet“, sagt Reisinger, nachdem sich ihr Lebensgefährte telefonisch gemeldet hat. Über Menschenrechtsorganisationen hofft die Aktivistin nun einen Anwalt für ihren Freund engagieren zu können.
„Psychisch down“
Bevor M. abgeschoben wurde, besuchte ihn Reisinger im Polizeianhaltezentrum Rossauer Lände. Durch eine Glasscheibe getrennt, versuchten sie einander Mut zu machen.
„Psychisch war er absolut down“, schildert die politisch aktive Künstlerin, die in Linz die interkulturelle Medienwerkstatt „Pangea“ mitbegründete und die den Flüchtling im Zuge der „Refugee Camp“-Protestaktionen kennen lernte. „Er hat gesagt, bevor er nach Pakistan zurückgeht, bringt er sich um.“
Bevor sie einander trafen, lebte J. M. bereits zehn Jahre in Europa. Warum er nach Ungarn abgeschoben wurde, kann Reisinger nicht nachvollziehen. Denn ihres Wissens gelangte er über andere Wege nach Österreich. „Er ging von Griechenland zu Fuß über den Balkan. Und davor zu Fuß von Pakistan bis nach Griechenland.“ Seit Herbst 2012 befand er sich in Österreich.
Die Darstellung der Polizei sieht etwas anders aus. „Der Erstkontakt von J. M. mit dem Schengenraum hat in Ungarn stattgefunden“, sagt Polizeisprecher Roman Hahslinger. „Deshalb haben die Ungarn auch seine Übernahme zugesichert.“
Andrea Reisinger kann nur auf ein Wiedersehen hoffen. Um ihre Wut zum Ausdruck zu bringen, beteiligt sie sich auch weiterhin an den Demonstrationen gegen die Abschiebungen.
Die rund 60 Aslywerber, die sich ab November vor bzw. ab Dezember in der Wiener Votivkirche aufgehalten hatten, beschäftigten Monate die heimische Innenpolitik. Mit der Abschiebung der ersten Flüchtlinge nach Pakistan fand die Causa nun einen vorläufigen Höhepunkt: Acht der Männer wurden nun abgeschoben.
24. November 2012: Eine Gruppe von Asylwerbern macht sich per "Protestmarsch" vom niederösterreichischen Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen nach Wien auf. Zentrale Forderungen sind unter anderem einen Austausch sämtlicher Dolmetscher in Traiskirchen sowie bessere Verköstigung. Im Siegmund-Freud-Park vor der Votivkirche wird ein Zeltlager errichtet. Das "Protestcamp" bleibt in den nächsten Tagen stehen.
18. Dezember 2012: Eine Gruppe von Asylwerbern begibt sich in die Votivkirche - nach einigem Hin und Her wird klar, dass sie diese nicht mehr verlassen. Die Polizei wird eingeschaltet, nachdem der Pfarrer nicht so recht weiß, wie er mit der Situation umgehen soll. Kurzfristig scheint eine Räumung in Diskussion zu stehen, diese wird aber abgeblasen, als sich die Erzdiözese Wien sowie die Caritas Wien einschalten. Motto: "Die Kirche ist ein Schutzraum."
19. Dezember 2012: Die Flüchtlinge in der Votivkirche fordern ein Gespräch mit dem Innenministerium.
21. Dezember 2012: Die Erzdiözese lädt zu einem "Runden Tisch" in der Causa, an dem Vertreter von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (V) und Staatssekretär Josef Ostermayer (S) sowie von Kirche, Caritas, Diakonie, UNHCR, amnesty international und der Flüchtlinge teilnehmen. Ergebnis: Die Caritas bietet Ersatzquartiere an - die Votivkirche ist eiskalt -, das Ministerium sagt zu, dass der Rechtsanspruch auf Grundversorgung jedes einzelnen "Asyl-Campers" noch einmal geprüft wird.
23. Dezember 2012: Mehrere Flüchtlinge kündigen an, in Hungerstreik zu gehen.
27. Dezember 2012: Nach den Weihnachtsfeiertagen halten sich rund 30 Personen in der Votivkirche auf, etwa die Hälfte von ihnen im Hungerstreik. Spannungen zwischen Unterstützern bzw. Aktivisten und den Betreuern von Caritas bzw. Johannitern zeichnen sich ab.
28. Dezember 2012: Die Polizei räumt das Camp im Siegmund-Freud-Park in den frühen Morgenstunden. Proteste über Polizeiwillkür sind die Folge. Das Vorgehen wird jedoch später vom Unabhängigen Verwaltungssenat als rechtmäßig bewertet.
31. Dezember 2012: Kardinal Christoph Schönborn besucht die Asylwerber in der Votivkirche
2. Jänner 2013: Innenministerin Mikl-Leitner trifft mit vier Vertretern der Flüchtlingen zusammen. Konkretes Ergebnis gibt es keines, die Asylsuchenden verbleiben in der Votivkirche. Das Ministerium wiederum sieht den "Schlusspunkt" der Gespräche erreicht.
In den folgenden Tagen stellen sich immer wieder prominente Unterstützer in der Kirche ein. Zugleich kommt es immer wieder zu Kritik an den Aktivisten rund um das "Refugee Camp". Vier Flüchtlinge werden - während sie sich nicht in der Kirche aufhalten - von der Polizei aufgegriffen und in Schubhaft gesteckt.
22. Jänner 2013: Die Flüchtlinge beschließen, ihren Hungerstreik zu unterbrechen.
28. Jänner 2013: Kardinal Schönborn übt harte Kritik an den Aktivisten rund um die Votivkirchen-Flüchtlinge. Diese würden "die Not der Flüchtlinge in der Votivkirche für ihre Ideologie missbrauchen".
1. Februar 2013: Die Flüchtlinge nehmen den Hungerstreik wieder auf. Rund 60 halten sich in der Votivkirche auf.
10. Februar 2013: Neun Mitglieder der rechten Gruppe der "Identitären Wiens" "besetzen" die Votivkirche. Ihren Protest gegen "Massenzuwanderung und Islamisierung" blasen sie indes nach einigen Stunden wieder ab.
13. Februar 2013: Bundespräsident Heinz Fischer appelliert an die Flüchtlinge, in die von der Kirche angeboten Ausweichquartiere umzusiedeln.
16. Februar 2013: Immer wieder gibt es Solidaritätsdemos für die Votivkirchen-Insassen. Jene am 16. Februar hat rund 2.000 Teilnehmer.
18. Februar 2013: Die Flüchtlinge setzen ihren Hungerstreik aus.
25. Februar 2013: Ein weiterer Asylwerber gerät in Schubhaft.
28. Februar 2013: Bei einem Polizeieinsatz im Umfeld der Kirche wird ein weiterer Flüchtling festgenommen. Er trat in der Vergangenheit immer wieder als Sprecher der Gruppe auf. Rund 100 Unterstützer stehen der Polizei gegenüber. SOS Mitmensch spricht von "Jagdszenen", die Polizei von einer "routinemäßigen Kontrolle". Über den 33-Jährigen wird Schubhaft verhängt, da ein rechtskräftiger negativer Asylbescheid vorliegt.
3. März 2013: Die Flüchtlinge ziehen von der Votivkirche ins Wiener Servitenkloster, wollen mit den Behörden kooperieren und bedanken sich bei Caritas und Johannitern für die Unterstützung. Kardinal Schönborn habe das "Gastrecht" zugesagt, so die Erzdiözese.
5. März 2013: Der im Februar in Schubhaft gebrachte Flüchtling wird aus dieser entlassen. Als Grund wurde seitens der Behörden genannt, dass die Flüchtlinge gleichzeitig mit der Übersiedelung ins Kloster auch die Kooperation zugesagt haben. Da sie ihrer Melde- und Mitwirkungspflicht nachkommen, bestehe kein Grund mehr für die Aufrechterhaltung der Schubhaft.
9. März 2013: Im Servitenkloster kommt es zu einer Schlägerei zwischen zwei Flüchtlingen, Grund soll eine Nichtigkeit gewesen sein. Die Caritas verhängte für die beiden Männer ein befristetes Hausverbot.
15. Mai 2013: Es wird bekannt, dass die Flüchtlinge Ende Juni aus dem Servitenkloster in eine neue Bleibe übersiedeln sollen. Grund sind Umbauarbeiten, wodurch ein Umzug der 63 Männer nötig wird.
28. Juni 2013: Die Flüchtlinge beharren in einer Pressekonferenz auf einer gemeinsamen Lösung für ein Folgequartier, die Gruppe will zusammenbleiben. Die Übersiedelung in andere Einrichtungen hatte damals bereits begonnen.
4. Juli 2013: Das Kloster bleibt nun doch bis Ende Oktober Quartier für die Votivkirchen-Flüchtlinge. Die Sanierungsarbeiten sollen erst danach und nicht wie ursprünglich geplant schon im Juli starten.
26. Juli 2013: Die Polizei verordnet für mehr als 20 der im Servitenkloster gemeldeten Asylwerber das "gelindere Mittel" - diese Personen müssen sich nun täglich bei der Polizei melden. Betreuer der Betroffene üben heftige Kritik. Auch bei der Caritas Wien gab man sich "irritiert". Die Wiener Polizei versicherte dagegen auf APA-Anfrage, es handle sich um eine "ganz normale Maßnahme".
28. Juli 2013: Zehn der Asylwerber werden festgenommen und ins Polizeianhaltezentrum an der Rossauer Lände gebracht. Eine Abschiebung der Pakistani dürfte unmittelbar bevorstehen, befürchtete die Caritas. Die Festnahmen erfolgten im Rahmen der zwei Tage zuvor verordneten täglichen Meldung.
Kardinal Christoph Schönborn zeigte sich bestürzt: Er appellierte an Politiker und Behörden, von einer Abschiebung Abstand zu nehmen. Der Kardinal stellt sich auch die Frage nach einem Zusammenhang mit dem Nationalrats-Wahlkampf. Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) wies diese Vorwürfe zurück.
29. Juli 2013: Die ersten acht der Votivkirchen-Flüchtlinge werden abgeschoben. Die acht Pakistani wurden aus dem Polizeianhaltezentrum in Richtung Flughafen gebracht und sollten im Laufe des Tages das Land verlassen. Eine Protest-Kundgebung vor dem Anhaltezentrum, an der zwischen 80 und 100 Personen teilnahmen, wurde in der Früh von einem massiven Polizeiaufgebot aufgelöst. Dabei geht die Polizei sehr hart gegen eine Studentin vor, was in einem Video auf Youtube festgehalten wird.
30. Juli 2013: Gegen den Beamten, der die Studentin gegen die Stufen des Polizeianhaltezentrums geschleudert hat, wird Anzeige erstattet. Zudem wird bekannt, dass drei der im Servitenkloster untergebrachten Pakistani zu einem Schlepperring gehören könnten. Die Polizei verhaftet insgesamt sechs Personen in Österreich und Italien. Jene acht Männer, die am 29. Juli verhaftet wurden, sind bereits wieder in Pakistan.