Politik/Inland

Schellings Alarmruf: Resultate statt Ankündigungen

Das Hohe Haus ist Mittwochvormittag ein volles Haus. Ob Regierungsbank, Abgeordnetenreihen oder Zuschauerränge – fast alle Sessel sind besetzt, die Aufmerksamkeit ist groß. Von einer tollen Atmosphäre wie in einer Fußball-Arena zu sprechen, wäre übertrieben, aber Österreich spielt derzeit auch nur "in der Regionalliga-Ost". So beurteilt das zumindest der Hauptredner an diesem Tag im Parlament, Finanzminister Hans Jörg Schelling. Er meint freilich nicht das derzeit gefeierte Nationalteam.

Der ÖVP-Ressortchef hält seine erste Budgetrede – und macht klar, dass ihm das Regionalliga-Dasein im Bereich Wirtschaft und Arbeitsmarkt nicht gefällt. Österreich müsse sich wieder ins europäische Spitzenfeld "hinaufspielen" – eben wie das Team von Marcel Koller.

Ausgangslage

Schelling analysiert die Ausgangslage so: Das Budget für 2016 sei ein Schritt in die richtige Richtung, dieser reiche aber gewiss nicht aus, um wieder an die Spitze zu kommen. 2016 sollen 71,9 Milliarden Euro eingenommen und 77 Milliarden ausgegeben werden. Das zeige: "Wir haben ein Ausgaben- und kein Einnahmenproblem."

Die Staatsverschuldung sei zu hoch, die Rahmenbedingungen seien nach wie vor schwierig. Österreich leide unter dem Hypo-Desaster, das Wirtschaftswachstum sei schwach, die Arbeitslosigkeit steige weiter, dazu komme der Flüchtlingsstrom. Trotz allem sei es aber gelungen, ein strukturelles Nulldefizit zu erreichen, verkündete Schelling zufrieden. Und die Bevölkerung werde 2016 durch die 5,2 Milliarden schwere Steuerreform massiv entlastet. 1000 Euro werde sie jedem Bürger bringen: "Das ist viel Geld. Ich lasse mir das nicht kleinreden."

Reparaturarbeiten

Ganz zufrieden ist der Minister mit dem Zustand des Staatshaushalts aber selbst nicht: "Ich hätte mir viel weitreichendere und schnellere Reformen gewünscht." Es genüge nicht, "an ein paar Schrauben zu drehen", es sei eine aufwendige Reparatur nötig. Alles andere würde zu einem Motorschaden führen.

Das Pensionssystem würde etwa in ein paar Jahren kein "Pickerl" mehr bekommen. "Das ist eines der gravierendsten Probleme", befindet Schelling.

Kein Applaus

Die SPÖ-Mandatare sind offenbar anderer Meinung – sie klatschen im Gegensatz zu den ÖVP-lern nicht.

Eine Grüne schreit dazwischen: "Und was ist mit Umwelt und Energie?"

Schelling gibt sich unbeirrt: "Wir müssen Resultate liefern, nicht Ankündigungen." Seine Kollegen auf der Regierungsbank wirken unbeeindruckt. Der einstige Spitzenmanager setzt nach: "Jeder Tag ohne Reform ist ein verlorener Tag. Jeder Tag, an dem wir warten, kostet noch mehr Geld."

Teamwork gefragt

Um Bürokratie abbauen, die Verwaltung straffen oder Lohnnebenkosten senken zu können, müssten alle an einem Strang ziehen – ein schwieriges Unterfangen in der heimischen Politik. Das weiß Schelling. "Aber nur so sammelt man Punkte", erklärt der oberste Wächter der Staatsfinanzen. Die Nationalmannschaft sei nur deshalb so gut, weil jeder Spieler das gleiche Ziel verfolge. "Dieses Teamwork brauchen wir auch in der Politik!" Ein Mandatar hat eine andere Lösung parat: "Vielleicht sollten wir uns einen Schweizer als Teamchef holen!" Das schmerzt. Schelling ist "nur" Vorarlberger.

Seine erste Budgetrede wurde mit Spannung erwartet, und Finanzminister Hans Jörg Schelling ist seiner Rolle des Mahners für Reformen und Kritikers der herrschenden Zustände gerecht geworden. Streckenweise gestand Schelling mit einer sonst bei Oppositionellen üblichen Wortwahl ein, dass Österreich von der Überholspur auf die Kriechspur gewechselt ist. Und – ohne beherzte Reformen – bald auf dem Pannenstreifen landet.

Zwei Mal bemühte Schelling den Vergleich zur Fußball-Nationalmannschaft. Kein Wunder, denn viele Erfolgsbeispiele finden sich zwischen dem Hypo-Debakel und der Rekordarbeitslosigkeit, zwischen Reformstillstand und rot-schwarzen Wahlschlappen nicht.

Selbst wähnt sich Schelling offenbar schon in der Rolle eines Marcel Kollers der Bundesregierung, das Mäntelchen des Finanzministers scheint ihm viel zu eng. Der frühere Top-Manager hielt mehr eine politische Rede, eine Rede zur Lage der Nation als eine Budgetrede. Wie ein Kanzler oder ein Parteichef, nicht wie ein Finanzminister, der nur seinem schnöden Zahlenwerk verpflichtet ist.

So beschwor er zu Recht den Teamgeist in der Regierung, aber auch in der Riege der Landeshauptleute. Nur so können Schulreform, Pensionspaket, Finanzausgleich samt Föderalismusreform und die Bewältigung des Flüchtlingsstromes gelingen. Man ahnt: Scheitert Schelling an den Vorgaben, die er sich und allen anderen macht, scheitert auch Österreich – sind Wohlstand und Lebensqualität in Gefahr. Diese Wahrheit ist den Menschen zumutbar, denn sie kennen sie ohnehin schon längst. Anders ist die Erfolgssträhne der Angreifer am rechten Flügel nicht zu erklären.

Von A wie Arbeitsmarkt bis S wie Steuerreform – genauer ihre Gegenfinanzierung – finden sich im Budget etliche Problemzonen. Auch 2016 wird ein sehr strenger Budgetvollzug nötig sein, um den Voranschlag einzuhalten. Das gibt Finanzminister Hans Jörg Schelling zu. Soll heißen: Aufgrund der schwachen Konjunktur und der enormen Hypo-Lasten gibt es kaum Spielraum, neue politische Akzente sucht man mit der Lupe. Schließlich galt es eine Steuerreform zu finanzieren, ohne dass die Neuverschuldung aus dem Ruder läuft.Schellings Ziel ist ein strukturelles Nulldefizit, also ein ausgeglichener Haushalt – bereinigt um Konjunktureffekte. Das Gelingen dieses Vorhabens hängt davon ab, ob Brüssel erlaubt, dass auch die Flüchtlings-Sonderkosten herausgerechnet werden. Fiskalrat-Präsident Felderer bezweifelt ein Okay der EU.

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Das Maastricht-Defizit Österreichs soll 2016 von 1,9 auf 1,4 Prozent sinken (erlaubt sind drei Prozent). Die Schuldenquote wird – nach einem markanten Anstieg wegen der Hypo-Milliarden – erstmals seit langem wieder sinken, von 86,5 auf 85,1 Prozent. Erst 2019 dürfte der Schuldenstand unter 80 Prozent liegen. Von den erlaubten 60 Prozent ist Österreich Lichtjahre entfernt.

Folgende Kapitel bergen die größten Risiken im Haushalt 2016:

Jobs/Konjunktur Die Arbeitslosigkeit steigt bis 2018 weiter an, sagt das WIFO. Die geplanten Ausgaben für Arbeit steigen schon im Jahr 2016 um 944 Millionen Euro. An Wirtschaftswachstum sind im Budget 1,4 Prozent unterlegt, aber niemand kann sagen, ob diese Prognose hält. Tut sie es nicht, steigt die Arbeitslosigkeit stärker, sinken die Steuereinnahmen.

Flüchtlinge Derzeit rechnet die Regierung mit 85.000 Flüchtlingen im kommenden Jahr und hat für Grundversorgung, Integration etc. 910 Millionen (plus 90 Millionen Puffer) veranschlagt. Werden es mehr Flüchtlinge, sind die Zahlen Makulatur. Schon nach dieser Prognose kostet ein Flüchtling den Staat jährlich rund 10.700 Euro.

Steuerreform Die Gegenfinanzierung der Fünf-Milliarden-Entlastung haben Experten von Beginn an für sehr optimistisch gehalten. Beispiel: Durch die Registrierkassenpflicht sollen 900 Millionen Euro hereinkommen, durch das höhere Wachstum angesichts einer erhofften Konsumbelebung weitere 850 Millionen Euro.

Einsparungen/Bildung Für zweckoptimistisch halten Fachleute auch die Einsparungsziele der Regierung. Zum Beispiel bei der Bildung: Per Nachtragshaushalt 2015 bekommt Bildungsministerin Heinisch-Hosek 300 Millionen Euro, weil die Lehrergehälter in der Vergangenheit so gut wie nie ausreichend budgetiert worden sind.

Für 2016 bekommt Heinisch nur 106,4 Millionen mehr, die restlichen 200 Millionen der "strukturellen Lücke" erwartet sich Finanzminister Schelling durch Einsparungen bei der Bildungsreform (wird am 17. November präsentiert). Der Erfolg steht in den Sternen.

Ähnliches gilt wohl für den Verwaltungskostendeckel (Plan: 3,3 Mrd. Euro Einsparungen bis 2020); oder die 200 Millionen, die Bund und Länder 2016 bei den Förderungen einsparen wollen.

Pensionen 50 Prozent des Gesamtbudgets oder fast 40 Milliarden Euro fließen hierzulande in "Soziales". Davon macht der Bundeszuschuss zu den Pensionen bereits elf Milliarden Euro aus – ein Anstieg 2016 um 300 Millionen. Teil-Pension, Bonus/Malus für Ältere, Anhebung des faktischen Antrittsalters und anderes will Schelling umsetzen. Ob das gelingt, ist fraglich.