Rekord-Arbeitslosigkeit und wo es trotzdem einen Job gibt
Was haben Köche, Installateure oder Optiker gemein? Sie werden am Arbeitsmarkt gesucht, sind gefragt. Und das in einer Zeit, da die Arbeitslosenrate Monat für Monat bedenklich steigt. Allein im Juli weist das Arbeitsmarktservice AMS 1299 offene Stellen für Gaststättenköche aus; im ersten Halbjahr suchte die Gastronomie insgesamt 14.259 Kellner, 10.227 Köche und 5091 Kochgehilfen.
Warum es ausgerechnet in der Hochsaison in einem Tourismusland wie Österreich an Fachkräften mangelt, Land-Gasthöfe deshalb zusperren müssen, ist für Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl unverständlich. "Wenn sie keine Leute mehr bekommen, die bereit sind, am Wochenende zu arbeiten, dann stimmt doch etwas nicht in unserem Land", befand er jüngst.
Für Sepp Schellhorn ist die Entwicklung evident. Der Salzburger Gastronom und Neos-Abgeordnete erklärt aus seiner Praxis das Paradoxon: "Lebensmodelle wie Mentalität haben sich verändert. Wir leben in einer Freizeitgesellschaft, in der es nicht mehr angesagt ist, am Wochenende zu arbeiten." Erschwerend komme hinzu, dass Gesetz- und Arbeitgeber Fehler begangen und Entwicklungen verschlafen haben. Konkret verweist Schellhorn im KURIER-Gespräch auf die Überalterung der Gesellschaft und veraltete Gesetze. "Im Vergleich zu den 2000er-Jahren haben wir 30.000 weniger Jugendliche, die für eine Lehrstelle infrage kämen." Während immer mehr Jüngere 30 Wochenstunden präferierten, um Zeit für Familie und Freizeit zu haben, würden Ältere gerne Vollzeit arbeiten. Um dem Personalproblem Herr zu werden, plädiert der Neos-Politiker für eine Arbeitszeitflexibilisierung im Tourismus und damit einhergehend für eine Gesetzesnovelle.
Geht es nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschers Peter Hajek, finden 85 Prozent es "sehr bis eher gut", Wochenarbeitszeit dann zu leisten, wenn sie anfällt und den Durchrechnungszeitraum für Überstunden auf ein Jahr auszudehnen. Auch deshalb will Schellhorn: "Ganzjahresbeschäftigung statt Saisonarbeit und AMS." Eine Art Kombilohn-Modell. Für die Zeit, in der ein Mitarbeiter in der verlängerten Saison beschäftigt ist, soll das AMS die wegfallende Arbeitslose in einem Rückerstattungsverfahren an den Dienstgeber zahlen, so der Plan. Die Differenz zum Bruttolohn sowie sämtliche Lohnnebenkosten bezahlt der Hotelier. Dass das Hotel- und Gastgewerbe wenig attraktiv ist, da zu wenig – Mindestlohn 1400 Euro brutto – bezahlt wird, wollen er wie der Wiener Gastronom Hans Figlmüller so nicht gelten lassen. "Es ist zweifelsohne ein harter Job, nicht nur in der Küche und bei den derzeit herrschenden Temperaturen. Die Verdienstmöglichkeiten sind aber, gerade was Servicekräfte und den Trinkgeld-Anteil am Gehalt betrifft, durchaus attraktiv."
Zu wenig Jugendliche & Freizeit
Obwohl drei von vier offenen Stellen, die dem AMS gemeldet werden, binnen eines Monats besetzt werden (siehe Interview), gibt es nebst dem Gastrogewerbe weiterhin Vakanzen. In anderen Branchen. Mit ähnlichen Problemen. Der Handelsriese Spar sucht gegenwärtig österreichweit 350 Mitarbeiter. "Angesichts von 41.000 Mitarbeitern und Neueröffnungen eine durchschnittliche Zahl", heißt es seitens des Konzerns, der derzeit 2550 Lehrlinge ausbildet. "Zunehmend geburtenschwache Jahrgänge und teilweise schlechte Vorbildung stellen uns aber zunehmend vor die Herausforderung, qualifizierte Jugendliche für die Lehre zu begeistern." Die Handelskette Hartlauer hat jährlich 80 bis 90 Augenoptik-Lehrlinge und sucht rund 20 Optiker und eben so viele Hörgeräteakustiker. "Krisen- und zukunftssicherer Lehrberufe", sagt Hermann Ebenbichler, Leiter der Optik bei Hartlauer. Warum? "Weil eine optische Brille oder ein Hörgerät nicht über das Internet bestellt werden. Es braucht immer die Erfahrung und Expertise von Fachkräften, die persönliche Dienstleistung." Trotz schwacher Konjunktur und Krisensicherheit der Berufe ist es im Handel nicht leicht, Personal zu finden. "Die Arbeitszeiten sind natürlich ein ausschlaggebendes Kriterium. Teilweise am Donnerstag bis 20 oder 21 Uhr und am Samstag bis 18 Uhr zu arbeiten ist nicht jedermanns Sache und oft nicht mit dem Familienleben oder aber den Freizeitwünschen vereinbar."
Besonders viele offene Stellen gab es zuletzt in der Gastronomie: Österreichweit wurden im Juli 1299 Köche und 1225 Kellner gesucht. Weiters 613 Lebensmittelverkäufer, 468 Friseure, 405 Maurer, 394 Kfz-Mechaniker, 242 Maler – und sogar vier Bügler.Derzeit gelten Dreher (420 offene Stellen), Ärzte (284), Schweißer (213),Maschinenbautechniker (204) und Spengler (140) als Mangelberufe. Das heißt: Hier fehlen Fachkräfte.
AMS-Vorstand Johannes Kopf im KURIER-Gespräch zu steigendem Wirtschaftswachstum und Stellenangebot, das aber nicht reicht, um die Arbeitslosigkeit zu senken.
KURIER: Herr Kopf, die Zahl der Arbeitslosen in Österreich steigt konstant. Gleichzeitig steigt auch die Zahl der offenen Stellen. Wie passt das zusammen?
Johannes Kopf: Es ist nur scheinbar ein Widerspruch, dass wir gleichzeitig Rekordbeschäftigung und Rekordarbeitslosigkeit haben. Arbeitslosigkeit und Beschäftigung sind nicht kommunizierende Gefäße. Die Menge an Personen, die arbeiten möchte, die verändert sich – durch die Demografie, Ein- und Auswanderung, Pensionierungen, die Erwerbsbeteiligung insbesondere der Frauen.
Was steckt aktuell hinter dem Anstieg der offenen Stellen – und welche Schlüsse lassen sich daraus ziehen?
Die Betriebe stellen wieder mehr ein, das ist ein gutes Zeichen. Der Zugang der offenen Stellen steigt schon länger. Jetzt ist er mehrmals gestiegen und auch so stark, dass der Bestand an offenen Stellen steigt. Das ist ein Indikator dafür, dass das Wirtschaftswachstum anzieht. Es dürfte also mehr Wirtschaftswachstum geben. Man darf aber nicht euphorisch werden: Dieser Anstieg wird nicht reichen, um die Arbeitslosigkeit zu senken. Wir rechnen im Gegenteil mit einem weiteren Anstieg.
Es gibt ungefähr zehn Mal so viele Arbeitslose wie offene Stellen. Der Reflex-Gedanke ist: Die müssten sich doch besetzen lassen.
Am Wiener Wohnungsmarkt gibt es insgesamt zu wenige Wohnungen – aber es gibt immer freie Wohnungen. Weil jemand auszieht, zusammenzieht, stirbt, usw. So funktioniert auch der Arbeitsmarkt: Sie haben auch in Mangelzeiten, selbst bei einer ganz hohen Arbeitslosigkeit, offene Stellen. Aber: Sie werden sie schneller besetzen können. Im Juni zum Beispiel haben wir mehr Stellen besetzt, als wir Anfang Juni offene Stellen hatten.
Das heißt, die 30.000 offenen Stellen Ende Juni waren alles andere als die 30.000 offenen Stellen Anfang Juni.
Ja. Drei von vier Stellen, die uns gemeldet werden, sind binnen eines Monats besetzt. 96 Prozent der Stellen sind nach 90 Tagen besetzt. Da ist immer Bewegung drin. Auch bei den Arbeitssuchenden sind ein Drittel der bei uns vorgemerkten Leute am Ende des Monats wieder andere.
Immer wieder flackert die Debatte auf, ob es sich – zumindest in manchen Branchen – überhaupt lohnt, arbeiten zu gehen. Betriebe beklagen, dass Arbeitslose nicht arbeiten wollen würden – und Jobsuchende klagen über die offerierten Arbeitsbedingungen bzw. Löhne. Wer hat recht?
Bei dem Thema gibt es nicht Schwarz und Weiß. Es ist falsch, dass die Arbeitssuchenden, wie manche Betriebe behaupten, alle faul sind und nicht arbeiten wollen. Die wollen arbeiten – aber vielleicht diesen Job nicht. Weil jemand nicht in einem Tiroler Tal arbeiten will, oder nicht am Wochenende – oder nicht zu diesem Lohn. Andererseits ist es auch nicht so einfach, dass Betriebe halt einfach besser zahlen sollen und dann ist das Problem gelöst. Auch Tourismusbetriebe stehen in einem internationalen Wettbewerb und können höhere Kosten nicht einfach weitergeben.
Sie rechnen mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosenquote. Wie schlimm wird es noch – und wann wird es besser?
Das prognostizierte Wachstum steigt – das ist eine gute Neuigkeit. Wir gehen aber nicht davon aus, dass es reicht, um die Arbeitslosigkeit zu senken, weil gleichzeitig das Arbeitskräftepotenzial noch stärker steigt. Wir rechnen daher damit, dass die Arbeitslosigkeit 2015 um 30.000 und 2016 um 20 bis 25.000 Personen steigt. Noch längerfristigen Prognosen schenke ich in so volatilen Zeiten nicht viel Glauben.
Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer innerhalb von zwei Jahren 52 Wochen einer Beschäftigung, die arbeitslosenversicherungspflichtig ist, nachgegangen ist. Unter 25-Jährige können Arbeitslosengeld beanspruchen, wenn sie innerhalb eines Jahres 26 Wochen beschäftigt waren.
Die Höhe des Arbeitslosengeldes bemisst sich am letzten Einkommen. Der Grundbetrag beläuft sich auf 55 Prozent des letzten Nettoeinkommens. Beträgt das Arbeitslosengeld weniger als 872,31 Euro erhält man zusätzlich Ergänzungsbeiträge; Arbeitslose mit Kindern erhalten Familienzuschläge.
Die Anspruchsdauer ist befristet. Grundsätzlich 20 Wochen, maximal aber für ein Jahr.
Die Notstandshilfe kann nach Ende des Arbeitslosengeld-Bezugs beantragt werden und wird jeweils für maximal 52 Wochen bewilligt. Liegt das Arbeitslosengeld (ohne Familienzuschläge) über dem Ausgleichszulagenrichtsatz von monatlich 872,31 Euro, beträgt die Notstandshilfe 92% des vorher bezogenen Arbeitslosengeldes.
Die Mindestsicherung ist eine Sozial-, keine Versicherungsleistung. Anspruch auf die sogenannte "bedarfsorientierte Mindestsicherung" (BMS) hat nur, wer das eigene Vermögen (bis maximal 4139,13 Euro) aufgebraucht hat, seine Lebenshaltungskosten nicht selbst bezahlen kann und arbeitswillig ist (Ausnahme: Personen, die Angehörige betreuen oder pflegen). Die BMS beträgt maximal 827,83 Euro im Monat bei Einzelnen. Im Schnitt erhalten die derzeit rund 238.000 Bezieher rund 300 Euro im Monat.
Mehr Informationen zu Anforderungen, Bezügen und Online-Rechner finden Sie auf www.ams.at.