ÖVP/FPÖ: Überwachungspläne im Geheimen
Der Streit um das von ÖVP und FPÖ geplante Sicherheitspaket eskaliert: Ein Hearing mit Experten, auf das sich zunächst alle Fraktionen geeinigt hatten, wurde von der Tagesordnung für den Innen- und Justiz-Ausschuss am Donnerstag gestrichen.
Der Grund ist, dass Türkis-Blau die Öffentlichkeit ausschließen wollte. Das Argument: Man wolle sachlich mit den Abgeordneten diskutieren und keine "mediale Inszenierung", erklärte ÖVP-Sicherheitssprecher Werner Amon kürzlich.
Ein „Geheim-Hearing hinter verschlossenen Türen“ wollte die Opposition aber nicht; SPÖ, Neos und Liste Pilz verweigerten ihre Unterschrift auf der entsprechenden Einladung. Die Fronten waren verhärtet, also wurde das Hearing – wie der KURIER bereits ankündigt hatte – komplett gestrichen.
Das Paket soll noch im April im Plenum beschlossen werden, und auch ohne Hearing dürften die beiden Teile in den jeweiligen Ausschüssen mit ÖVP/FPÖ-Mehrheit durchgewunken werden. Mit dem ersten Teil, der Überwachungsmaßnahmen im öffentlichen Raum vorsieht, befasst sich Donnerstagmittag der Innen-Ausschuss; danach geht es im Justiz-Ausschuss um Gesetzesänderungen, die unter anderem die Überwachung von internetbasierten Nachrichten erlauben soll.
"Außerparlamentarisches Hearing"
Die Opposition will vor den Ausschusssitzungen noch ein „außerparlamentarisches Hearing“ veranstalten, erklärt SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim gegenüber dem KURIER: „Ein Paket wie dieses muss vor der Öffentlichkeit bestehen, also laden wir unsere Experten ein, die wichtigsten Punkte in einer gemeinsamen Pressekonferenz zu erläutern.“
Auf Einladung der SPÖ wird der Anwalt Ewald Scheucher auftreten. Er war involviert, als der Europäische Gerichtshof 2014 die Vorratsdatenspeicherung gekippt hat. Die Neos laden die deutsche Expertin Constanze Kurz vom „Chaos Computer Club“ ein. Offen ist, wen die Liste Pilz ausgesucht hat.
„Überwachungsstaat“
Mit dem Überwachungspaket sind im Vorjahr die damaligen ÖVP-Minister Wolfgang Sobotka und Wolfgang Brandstetter abgeblitzt. Die neue Fassung sieht zwar einen stärkeren Rechtsschutz vor, noch immer enthalten ist aber der viel kritisierte „Bundestrojaner“.
Das ist Schadsoftware, die auf den Geräten von Kriminellen installiert werden soll, um etwa oder Skype überwachen zu können. Datenschützer befürchten, dass dadurch Sicherheitslücken entstehen, die auch Kriminelle nützen könnten.
In mehr als 9000 Stellungnahmen haben Experten vor allem die Überwachung im öffentlichen Raum kritisiert: Die Polizei will Zugriff auf Video- und Tonaufnahmen öffentlicher Dienstleister – etwa von Flughäfen oder Bahnhöfen. Diese Daten sollen künftig vier Wochen lang gespeichert werden, die Daten aus der Kennzeichenerfassung im Rahmen der „Section Control“ für zwei Wochen.
Als Nachfolgeregelung für die gekippte Vorratsdatenspeicherung soll die Polizei über „Quick Freeze“ Einblick in Verbindungsdaten bekommen, die von Telekomanbietern ein Jahr lang gespeichert werden müssen. Zu diesen Punkten hat selbst der Verfassungsdienst im Justizministerium kürzlich Bedenken angemeldet und um eine nähere Überprüfung ersucht.
Nikolaus Scherak, Vize-Klubobmann der Neos, warnt vor einem weiteren Schritt in Richtung "Überwachungsstaat": „So entsteht eine flächendeckende Überwachung, wie wir sie aus London kennen. Der Staat wird Bewegungsprofile erstellen könne, also wissen, wann jemand wo gewesen ist. Mit der Privatsphäre ist es dann vorbei.“
Anwälte vermissen richterliche Kontrolle
Auch die Rechtsanwälte stehen den Überwachungsplänen der Regierung äußerst skeptisch gegenüber. Nur wenig sei verbessert, einiges sogar verschärft worden, stellte ÖRAK-Präsident Rupert Wolff fest. Nach wie vor fehle weitgehend die richterliche Kontrolle. Damit „reihen wir uns in die Reihe jener Länder ein, die - wie Ungarn oder Polen - Angst vor ihren eigenen Bürgern haben“, sagte Wolff im APA-Gespräch.
Der Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages hält die Kritik aufrecht, dass Österreich mit diesem Paket einen Schritt Richtung Überwachungsstaat setzt - auch wenn er den Verzicht auf „Sicherheitsforen“ begrüßt. Auch mit den von Schwarz-Blau neu aufgelegten Gesetzesvorhaben - der erste Vorstoß der ÖVP war in der Großen Koalition an der SPÖ gescheitert - werden der Polizei zahlreiche neue Überwachungsmöglichkeiten an die Hand gegeben, und dies zum größten Teil ohne richterliche Kontrolle.
Der gravierendste Eingriff in die Privatsphäre sei der „Bundestrojaner“. Die Anwälte hätten zwar Verständnis dafür, dass die Sicherheitsbehörden auch WhatsApp und Skype überwachen wollen. Aber nicht dafür, dass den Behörden unter diesem Vorwand ermöglicht wird, den gesamten Datenbestand und -verkehr eines Computers oder Smartphones auszulesen - mittels Spyware, die entweder per Einbruch in die Wohnung oder unter Ausnützung von Sicherheitslücken im Betriebssystems installiert wird. „Eigentlich muss ein Staat Interesse haben, dass solche Sicherheitslücken geschlossen werden - und nicht daran, dass es möglichst viele Lücken gibt“, konstatierte Wolff.
„Höchst bedenklich“ sei, dass ein Großteil der Überwachungsmaßnahmen (akustische und Videoüberwachungen, auch die Anordnung zum Quick Freeze) ohne gerichtliche Bewilligung und Kontrolle möglich sein soll. Er fordert Spezialsenate bei den Verwaltungsgerichten - für den (großteils betroffenen) Bereich des Sicherheitspolizei- und Telekommunikationsgesetzes. Denn die Kriterien der Rechtsstaatlichkeit seien nur erfüllt, wenn Richter solche Maßnahmen bewilligen müssen, mahnte der Rechtsanwälte-Präsident.