Pro & Contra: Wie gerecht ist die Sozialhilfe?
Rudolf Mitlöhner, katholischer Publizist
Die Reform der Mindestsicherung gilt den Gegnern der Regierung als Inbegriff von deren sozialer Eiseskälte – womit sich aus dieser Perspektive freilich nur bestätigt, was von Anfang an ohnedies unterstellt worden ist. Steht doch eine Regierung ohne Beteiligung (oder eigentlich Kanzlerschaft) der SPÖ gewissermaßen unter Generalverdacht.
Die Mindestsicherung neu als menschenverachtend zu zerpflücken, firmiert demnach als Ausweis jener „Haltung“, die das Justemilieu stets für sich reklamiert und für welche sich von den üblichen Unverdächtigen feiern zu lassen eben auch einem ehemaligen ÖVP-Obmann nicht zu peinlich ist. In Wahrheit ist die Neuregelung im Kern der Versuch, die Mindestsicherung/Sozialhilfe deutlicher als das zu akzentuieren, was sie eigentlich sein soll: eine vorübergehende Unterstützung in Notfällen.
Die Absicht, die Differenz zwischen durch Erwerbsarbeit erzielten Familieneinkommen und solchen aus Sozialtransfers zu vergrößern, ist absolut sinnvoll. Ebenso die Junktimierung der vollen Auszahlung mit Sprachkenntnissen im Sinne der Integration. Und zur – leider wie so oft auch von kirchlicher Seite – lauthals beklagten degressiven Staffelung bei Mehrkindfamilien (die natürlich genau im Sinne der genannten Absicht wirkt) wäre zu sagen, dass diese Sätze ja zusätzlich zu sonstigen Sozialleistungen ausbezahlt werden. Aber das wird freilich gerne unterschlagen. Man will sich ja die eigene schöne Erzählung nicht ruinieren.
Julya Rabinowich, Autorin, Kolumnistin und Malerin
Die Mindestsicherung sichert, wie ihr Name unmissverständlich verrät, das Mindeste. Jenes Mindeste, dass Menschen zum Überleben brauchen. Das Mindeste, das hilft, nicht den Mut, nicht den Lebenswillen und die Würde nicht zu verlieren. Die Mindestsicherung ist jenes Seil, das die über dem Abgrund Balancierenden vor dem Sturz bewahren soll.
Wer also das mindest Gesicherte weiter kürzen und beschneiden möchte, nimmt billigend in Kauf, dass das Leben der Betroffenen nicht mehr mindest gesichert, sondern eben nicht ausreichend gesichert und damit gefährdet ist. Die Mindestsicherung ist auch kein Almosen, um das man monatlich betteln gehen müsste, sie soll ein selbstständiges Leben ermöglichen.
Das ist der Vorteil für die Beziehenden. Und für die Nichtbeziehenden gilt: Die Gesellschaft profitiert, wenn einzelne Menschen nicht in Extremlebenssituationen getrieben werden. Es geht um nichts weniger als um den sozialen Frieden, um Chancengerechtigkeit, um soziale Teilhabe , es geht es nicht nur um ein lebenswertes Leben für alle, sondern auch um die Sicherheit im Land.
Menschen, die die Gesellschaft ausspeit, sind nicht nur ihrem Schicksal überlassen, sie sind auch gefährdet. Und deren Kinder natürlich mit ihnen. In einem Land, das zu den sichersten und gut situierten Ländern der Welt gehört, ist es eigentlich eine Schande, diese Kinder im Stich lassen zu wollen. Ihnen gehört die Zukunft genauso wie jenen Kindern, die die Gnade der Geburt in gesicherte Verhältnisse ankommen ließ.