Politik/Inland

Intensivmediziner: Gesundheitssystem völlig ausgelastet, Triage steht bevor

Bei der Sieben-Tages-Inzidenz hat Österreich am Freitag Tschechien und die Schweiz überholt. 567 Covid-Erkrankte lagen auf Intensivstationen. Die Kapazitäten sind langsam ausgereizt, Vorarlberg steht kurz vor einer Triage – die Auswahl der Patienten nach Dringlichkeit. Bevor die Regierungsspitze den harten Lockdown verkündet, um 16.30 Uhr, traten noch zwei Experten vor die Presse.

Die Intensivmediziner Klaus Markstaller, Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Anästhesie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI), Herwig Ostermann, Geschäftsführer der Gesundheit Österreich (GÖG) und Susanne Rabady, von der Gesellschaft für Allgemeinmedizin, erklärten ab 13 Uhr, wie es um unser Gesundheitssystem bestellt ist.

 

"Wir sind genau an der Grenze"

Man sei "in ernster Sorge in der Zwischenzeit", sagte Markstaller und nannte grobe Rahmenbedingungen. Die Intensivmedizin sei so ausgelegt, dass immer 85 bis 90 Prozent der Intensivbetten belegt seien - unabhängig von der Pandemie. Ein anderes Modell sei zu teuer. "Also sind sie prinzipiell hochbelegt." Brauche man mehr Betten, "dann ist das in diesem Gesundheitssystem perfekt abgedeckt," so Markstaller. Zehn Prozent Schwankungen, also 200 Betten mehr, können bereitgestellt werden, ohne dass es zu Problemen kommt. Aber: Die Pandemie ist eben eine Ausnahmesituation.

"Wenn über ein Drittel aller verfügbaren Intensivbetten nicht mehr zur Verfügung stehen", dann beginne die Triage, meinte Markstaller. 550 von 2.000 Intensivbetten seien derzeit etwa belegt. In diesem Bereich müsse man sich bereits überlegen, "wie wir diese Ressource einteilen". Nehme das in den kommenden Tagen noch zu - wovon aufgrund der aktuellen Zahlen wohl auszugehen ist - sei die Triage unausweichlich. Einfach aufstocken könne man die Kapazitäten nicht. "Intensivmedizin ist komplex", sagte Markstaller. Intensivmediziner, ob Ärzte oder Pflegekräfte, brauchen jahrelange Ausbildung und Erfahrung. "Damit ist diese Ressource per se limitiert." Daher sei sein "wirklich ernster" Appell: "Leben Sie die Maßnahmen bitte."

Der Prozess zur Triage sei ein "schleichender". "Es wird immer schwieriger, Patienten auf Intensivbetten zu bekommen, die sie brauchen", sagte Markstaller. "Wir sind genau an der Grenze. Wir werden beginnen müssen, die nächsten Tage zu entscheiden, in welchem Umfang wir welche Patienten mit der Intensivmedizin behandeln können." Sobald es zu einer "harten Triage" kommt, würden Prognosefaktoren, der Wille des Patienten, die Umgebungsbedingungen und der Vergleich zu anderen Patienten darüber entscheiden, wer behandelt wird und wer nicht. Das müsse eine "ethische Entscheidung" sein.

Alle Inhalte anzeigen

Rabady: Untypische Covid-Symptome

"Es gibt nichts mehr zu beschönigen", sagte Susanne Rabady, Gesellschaft für Allgemeinmedizin. Das Gesundheitssystem sei "jetzt vollkommen ausgelastet", wurde sie deutlich. "Es müssen die Zahlen jetzt runter."

"Eine unserer ganz großen Sorgen ist, dass Menschen, die Krankheitssymptome spüren, sich nicht bei ihren Ärzten melden." Covid-Symptome seien in den allermeisten Fällen nicht jene, die immer kommuniziert werden - etwa trockener Husten oder Fieber. Die Anfangssymptome seien Gliederschmerzen, Halskratzen, Kältegefühl und Kopfschmerzen. Rabadys Appell: bei ersten Symptomen einen Test machen. "Melden Sie sich nicht erst, bis die Geschichte an der Kante ist", sagte Rabady. Man solle schon vorher telefonisch den Hausarzt kontaktieren. Ihre "gute Botschaft": "Die Pandemie wird vorübergehen."

Wohl bald 700 Covid-Intensivpatienten

Ostermann sprach über die "harten Zahlen", aus der Vogelperspektive. Die Zahlen, die man am 29. Oktober für den 12. November auf den Spitälern prognostiziert habe, seien ziemlich genau erreicht worden. Am Freitag lagen demnach 567 Menschen auf Intensivstationen. Bis Mitte nächster Woche prognostiziere man 700 Corona-Erkrankte auf Intensivstationen und 4.000 in Normalbetten. Wenn "effektiv die Neuinfektionen rückläufig sind", sei eine leichte Entlastung möglich. "Wir stehen insgesamt vor einer sehr, sehr kritischen Situation, in der es insgesamt erforderlich ist, rasch und gemeinsam eine Trendwende zu erzielen", sagte Ostermann.

Die Bundesländer haben über den Sommer hinweg Stufenpläne entwickelt, wie Corona-Patienten behandelt werden sollen. Die Pläne würden auch vorsehen, wie Reservepotenziale genutzt werden können. "Wir sprechen von Notfalllösungen und keinesfalls von Normalbetrieb", sagte Ostermann.

Alle Inhalte anzeigen

Contact Tracing ist am Ende

Laut aktuellem Bericht der Corona-Ampelkommission konnten in der Vorwoche nur noch 23 Prozent der Fälle einer Quelle zugeordnet werden. In der Steiermark und in Oberösterreich sind es sogar nur 12 bzw. 13 Prozent. Das Contact Tracing ist am Ende.

Alle Inhalte anzeigen