Paul Kimberger verlangt "Sofortmaßnahmen"
Von Ute Brühl
Der Befund einer Wiener Direktorin ist erschreckend: "Ein Drittel der Schüler wird die Schule verlassen und in ihrem Leben wohl nie einen Job oder gar Lehrstelle finden", erzählte sie im Sonntag-KURIER. Eine verlorene Generation. Diesen Kindern eine Chance zu geben, wäre Aufgabe der Politik, ist doch diese Schule kein Einzelfall. Eine Erkenntnis, die sich mittlerweile bei vielen Politikern durchgesetzt hat. So fordert Ex-Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle besondere Maßnahmen für Ballungszentren.
Doch was wäre zu tun? Paul Kimberger, oberster Gewerkschafter an Pflichtschulen, fordert Sofortmaßnahmen: "Die Schulen brauchen Autonomie und keine Gängelung durch die Behörden. Es gibt so viele sinnlose Vorgaben, die Zeit rauben. Diese Zeit fehlt für den Unterricht." Kimberger zählt dazu verpflichtendes Team-Teaching, die siebenteilige Notenskala in den NMS sowie kompetenzorientierte Leistungsbeurteilung.
Es müssten nicht immer zwei Lehrer in der Klasse stehen: "Am Standort sollte entschieden werden, ob man z. B. mit kleineren Gruppen lernt, oder ob man eigene Klassen für Flüchtlinge einrichtet, die gerade erst in Wien angekommen sind. Das wissen die Lehrer vor Ort einfach besser als die Beamten im Ministerium."
Ganz schnell könnte man mehr Unterstützungspersonal in die Schulen holen: "Sozialarbeiter, Psychologen oder zusätzliche Sprachlehrer sind in anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit, bei uns sind sie die große Ausnahme. Und wir brauchen generell mehr Sonderpädagogen. Dass diese abgeschafft werden und nur noch eine Schmalspurausbildung erhalten, ist eine Katastrophe." Das alles kostet natürlich Geld. "Es ist in Ordnung, wenn Schulen, die besondere Herausforderungen haben, auch mehr Ressourcen erhalten", sagt der Gewerkschafter. "Das nutzt nicht nur den Kindern. Auch die Pädagogen in diesen Schulen sind extrem belastet." Nachsatz: "Es kann nicht sein, dass dafür anderen Schulen etwas weggenommen wird." Teuer, aber effektiv sei ein pädagogisch hochwertiges Angebot am Nachmittag: "Die muss nicht flächendeckend angeboten werden, sondern nur dort, wo der Bedarf gegeben ist." Kimbergers Wiener Kollege Stephan Maresch will zudem mehr Schul-Tablets: "Es gibt gute Apps, mit denen individuell gelernt werden kann."
Extra Deutschstunden
Wie mehr Ressourcen sinnvoll eingesetzt werden können, zeigt ein Blick nach Hamburg (Deutschland). Dort können Schulen entscheiden, wie viel Sprachförderstunden einzelne Schüler in der Woche erhalten: "Das können bis zu zwanzig Unterrichtseinheiten sein", erzählt Heidi Schrodt, die ein Buch über Schule und Migration in Österreich geschrieben hat und sich mit der Problematik intensiv beschäftigt. Umsonst gibt es das nicht: "Diese Kinder abzuholen , kosten etwas."
Laut Schrodt sollten Schüler, die nach neun Jahren Schule Grundlegendes nicht beherrschen, in spezielle Schulen wechseln, in denen sie das Versäumte nachholen: "In Schweden gibt es das bereits." Und: "Derzeit sind Quereinsteiger nur zwei Jahre außerordentliche Schüler und werden somit nicht benotet. Dabei brauchen junge Menschen vier bis fünf Jahre, bis sie in der Zweitsprache sattelfest sind. Das müsste man verlängern."