Offensive SPÖ, entschlusslose Volkspartei
Von Daniela Kittner
Kanzler Christian Kern verkleidet sich als Pizzabote und verschafft sich auf diese Weise Zugang zu ungezwungenen Gesprächen mit potenziellen Wählern. Die Videos von der Pizza-Tour sind auf Facebook ein Renner.
Kanzler Kern spaziert mit Bürgermeister Michael Häupl über den Wiener Naschmarkt, besucht publikumswirksam einen Feinkostladen und plaudert mit den Standlern.
Augenzwinkernd behauptet die SPÖ, all die Aktivitäten seien "kein Wahlkampf". Um im selben Atemzug eine weitere Kampagne zu lancieren: Mit einem Burger-Schmäh wirbt sie im Netz um Mittelschicht-Wähler (Foto).
Gegenschuss zur ÖVP: Beim turnusmäßigen Parteivorstand heute, Sonntagabend, werden "aktuelle Themen zu Wirtschaft, Arbeit und Europa wie etwa die EU-Reform und die Konsequenzen aus dem Türkei-Referendum diskutiert", erklärt Generalsekretär Werner Amon. Weiters soll eine "Zwischenbilanz zum Regierungsprogramm" gezogen werden. Ach ja, und dann werden die Alt-Landeshauptleute Erwin Pröll und Josef Pühringer "gebührend" verabschiedet.
"SPÖ und ÖVP sind auf zwei verschiedenen Planeten unterwegs. Die SPÖ ist voll im Wahlkampf, und unsere Parteiführung tut, als ob nichts wäre", ärgern sich ÖVP-Funktionäre.
"Business as usual"
Der Groll richtet sich vor allem gegen zwei Personen: Generalsekretär Werner Amon und den steirischen Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer. Schützenhöfer versuche gerade, so heißt es ÖVP-intern, die Rolle Erwin Prölls als dominierender Landeschef zu übernehmen. Alle sollen darauf blicken, ob der Steirer den Daumen hebt oder senkt. Und derzeit gibt Schützenhöfer seinem Freund Amon volle Rückendeckung für den "Business as usual"-Kurs der Bundespartei. Anstatt Wahlkampfvorbereitungen zu treffen und mit dem programmierten Spitzenkandidaten Sebastian Kurz diese Vorbereitungen abzustimmen, mache die ÖVP eine Zwischenkampagne mit Parteichef Reinhold Mitterlehner.Dieser wird am 15. Mai eine "Rede zur Lage der Nation" mit EU-Schwerpunkt halten und im Internet und Schaukästen mit neuen Sujets beworben.
"Das Außenbild und das Innenbild der ÖVP divergieren total", schildert ein Spitzenfunktionär. "In allen Medien wird Kurz als ÖVP-Spitzenkandidat dargestellt und in allen Umfragen als Spitzenkandidat abgefragt – aber parteiintern ist nicht auszuschließen, dass es gar nicht dazu kommt." Zwar würden reihum alle Spitzenfunktionäre sagen, sie seien für Kurz , aber niemand tue etwas dafür. Die Landeshauptleute seien – siehe Schützenhöfer – uneins, und die Parteiführung rühre keinen Finger, weil sie Kurz weichen müsste.
Mitterlehner hat im KURIER einmal gesagt, er könnte sich mit dem Modell des SPD-Chefs Sigmar Gabriel anfreunden: selbst Parteichef bleiben, aber einem anderen (also Kurz) bei der Spitzenkandidatur den Vortritt lassen. Gabriel überließ bei der letzten Bundestagswahl Peer Steinbrück und bei dieser Martin Schulz die Spitzenkandidatur.
Kurz will auch ÖVP-Vorsitz
Inzwischen hat Kurz seine Meinung geändert. Wollte er anfangs vor der Nationalratswahl weder Parteichef noch Vizekanzler, sondern nur Spitzenkandidat werden, will er nun gleichzeitig mit der Spitzenkandidatur auch den ÖVP-Vorsitz übernehmen. "Die Gefahr von Reibungsverlusten und Uneinigkeiten im Wahlkampf ist bei einer Doppelspitze einfach zu groß, auch, weil sich Mitterlehner nicht in der Rolle eines väterlichen Förderers von Sebastian Kurz sieht", sagt ein ÖVP-Kenner.
Verkompliziert wird die Sache durch den Wahltermin. Jeder, der von politischen Abläufen etwas versteht, sagt, dass der österreichische EU-Vorsitz und die Nationalratswahl mit anschließenden Regierungsverhandlungen im Herbst 2018 nicht vereinbar ist. "Wenn man nur Brötchen zur Verfügung stellen und die Konferenzsäle reservieren will, geht es schon", sagt ein Außenamts-Kundiger. "Aber wenn man als Republik Österreich in der EU etwas gestalten will, geht es nicht."
Und Österreich sollte gestalten wollen: 2018 ist das große Wahljahr in Europa vorüber, dann muss etwas weiter gehen. Der Brexit muss vollendet und in die EU ohne britische Bremser neuer Schwung kommen.
Die österreichische EU-Präsidentschaft beginnt mit 1. Juli 2018. Rechnet man von da zurück, müsste die Nationalratswahl spätestens im März 2018 stattfinden, damit sich die Regierungsbildung noch ausgeht.
Im Frühjahr 2018 finden vier Landtagswahlen statt. Die SPÖ hätte mit einem Zusammenfallen und Bundes- und Landeswahlen kein Problem. Ihre schwachen Landesparteien in Niederösterreich, Tirol und Salzburg würden davon profitieren, wenn Kanzler Kern sie mit hinauf zieht.
Poker um Nationalratswahl-Termin
Bei der ÖVP ist es genau anders. Ihre Landeshauptleute scheuen die Nähe zu Bundeswahlen, sogar dann, wenn sie einen beliebten Spitzekandidaten wie Kurz an ihrer Seite hätten. Der Grund: Für die ÖVP unangenehme Bundesthemen wie soziale Gerechtigkeit sollen aus den Landtagswahlkämpfen tunlichst fern gehalten werden, damit die Landeshauptleute mit ihrem Amtsbonus im Land punkten können.
Im Poker um den Nationalratswahltermin hat die SPÖ die besseren Karten. Die SPÖ ist offenbar nur dann bereit, über eine konsensuale Wahlvorverlegung mit Verweis auf die EU-Präsidentschaft zu reden, wenn dabei ein Frühjahrstermin herauskommt. Den wollen die ÖVP-Länder partout nicht. Salzburgs Landeshauptmann Wilfried Haslauer hat daher einen Vorstoß für Nationalratswahlen im Herbst 2017 gemacht. Auch Niederösterreich ist für den Herbst und könnte mit Unterstützung aus Oberösterreich rechnen. Aber anderen in der ÖVP ist der Wahltermin egal bzw. sind sie gegen Neuwahlen, weil sie möglichst lange ihre derzeitigen Ämter behalten wollen.
Unterm Strich sieht die Lage derzeit so aus: Die SPÖ kann ungestört Wahlkampf betreiben, ihren Kanzler bewerben und sich den Wahltermin (Frühjahr 2018?) aussuchen. Die ÖVP treibt entschluss- und strategielos daneben her. Da dürfte sich in der ÖVP wohl bald etwas zusammenbrauen.