Politik/Inland

Neues Lernen: "Wir brauchen eine digitale Grundbildung"

In internationalen Vergleichen schneidet Österreichs Schulsystem eher mittelmäßig ab. Dennoch wird in vielen Schulen gute Arbeit geleistet, wie Bildungswissenschaftler Stefan Hopmann sagt.

Im Zentrum des Erfolgs steht nämlich immer der Pädagoge. Das weiß auch Stefan Schmid. Der 33-Jährige hat als Sozialarbeiter und später als Lehrer in einer berufsbildenden Schule in Wien-Simmering gearbeitet. Individualisierter Unterricht und eine gute Beziehung zu den Schülern sind für ihn die wichtigsten Erfolgsfaktoren. Als Hilfsmittel nutzt er digitale Medien. Warum diese den gesamten Unterricht revolutionieren könnten und was das für die Lehrerbildung heißt, sagt der Rektor der virtuellen Pädagogischen Hochschule im Interview.

KURIER: Stellen Sie sich vor, Sie könnten ein Schulsystem auf der grünen Wiese errichten. Wie sollte dieses aussehen?

Stefan Schmid: Sehr einfach. Mein Alltag als Schüler würde so aussehen: Ich gehe in die Schule, mache dort Übungen, bekomme Input vom Lehrer, schaue mir ein Lehrvideo an, und frage meine Mitschüler, wenn ich etwas nicht verstanden haben. Die Übungen, die ich mache, werden ausgewertet und auf Basis dessen wird ein Curriculum für mich erstellt. So kann ich mir Lernziele innerhalb eines Rahmens stecken.

Die Lehrperson ist da nicht der einzige Wissensvermittler, sondern zunehmend ein Coach. Das muss kombiniert werden mit einer Qualitätskontrolle oder Outputkontrolle, die von außen kommt. So haben Schüler und Lehrer das gemeinsame Ziel vor Augen.

Schöne Theorie. Doch wie kann das in der Praxis aussehen?

So wie es im Programm "Schule 4.0" angedacht ist. Man braucht die technische Infrastruktur und eine digitale Grundbildung – Kompetenzen, die für die Volksschule sowie für die Unter- und Oberstufe festgeschrieben sind. Auch die Lehrerbildung muss sich ändern – Pädagogen müssen neue Kompetenzen erwerben. Das beginnt beim Verstehen des Digitalen, etwa: Was bedeutet das, eine Nachricht über einen Messengerdienst zu versenden. Die Logik, die dahinter steckt, muss verstanden werden. Und es geht um die Anwendung: Wie kann ich Digitales verwenden, um den Alltag zu erleichtern. Die Grundidee ist: Computer und Tools helfen, das schulische, private und berufliche Leben leichter und besser zu machen.

Sie haben digitale Kompetenzen erwähnt. Was helfen diese für das nichtdigitale Lernen? Wenn ich ein Handy habe, muss ich das Einmaleins vielleicht nicht so im Kopf haben, aber ich muss immer noch verstehen, was Multiplizieren heißt.

Es geht nicht um ein Entweder-Oder, sondern um ein UND. Jeder sollte lesen und schreiben können. Auch das Einmaleins sollte sattelfest sein. Wenn ich z.B. verhandle, sollte ich wissen, was zehn Prozent sind. Als vierte Kompetenz kommt die digitale hinzu. Alles ändert sich durch die Digitalisierung, vieles gewinnt an Fahrt, wenn ich das nicht verstehe, komme ich da nicht mehr mit.

Wir haben uns lange auf die Anwendung fokussiert, aber wir müssen auch verstehen, was dahinter ist – sonst weiß ich z.B. nicht, warum mir Amazon genau dieses Produkt anbietet.

Wie sieht denn ein Schulalltag in der Volksschule optimal aus, wie viel Lernen muss digital, wie viel analog sein?

Die Unterscheidung braucht es nicht. Da, wo Digitales sinnvoll ist, soll Digitales eingesetzt werden. Wo Analoges sinnvoll ist, Analoges. Beispiel: Wir arbeiten zu viert an einer weißen Wand, um ein Mindmap zu machen – das macht mehr im Analogen Spaß. Ich kann den Prozess filmen, um zu zeigen, wie die Idee entstanden ist. Es geht um ein Miteinander.

Welche Ausstattung braucht es in der Schule, um moderne Unterrichtsformen umzusetzen?

Ich brauche Endgeräte – in der Volksschule werden das andere sein als in der Oberstufe. Für spielerisches Lernen ist ein Tablet super, es geht heute auch viel über Smartphone. Wenn der Großteil der Schüler eines hat, reicht ein stabiles WLan.

Welches Feedback bekommen Sie von Lehrern? Was ist deren Wunsch, wie kann man die Arbeit verbessern?

Der Innsbrucker Bildungswissenschaftler Michael Schratz hat einmal erwähnt, dass jeder Schulleiter wie ein Start-up agieren sollen. Wir sind auf einem agilen Markt: Rahmenbedingungen und Schüler ändern sich. Wir können nur bestehen, wenn wir offen und anders denken. Einmal mache ich z.B. eine Keynote vor 70 Schülern, dann arbeite ich in Kleinstgruppen. Wir haben tolle Leute im System, man müsste sie nur besser steuern können. Nur die Autonomie ermöglicht eine Steuerung – sonst kann ich als Direktor nicht die Verantwortung übernehmen.

Studien sagen, dass Kinder aus bildungsfernen Schichten mit offenen Lernformen nicht zurecht kommen. Sie brauchen klare Vorgaben.

Gerade in solchen Klassen ist es möglich. Ich kann dem, der sich mit schwierigen Themen beschäftigt, ganz andere Herausforderungen geben als dem, der Defizite hat. Ich schreibe nicht 40 Minuten etwas an die Tafel, sondern gebe ihnen ein Lernvideo, das sie zu Hause anschauen können. Im Unterricht bleibt so mehr Zeit für den einzelnen. Auch Peer-to-Peer-Learning ist möglich. Dieses Konzept nennen wir "flipped classroom" – das umgekehrte Klassenzimmer, weil das Erklären außerhalb des Unterrichts stattfindet und das Üben in der Schule.

Schauen sich die Schüler das Video auch an?

Das ist auch die Verantwortung des Lehrers, dass er hier Strategien entwickelt. Sicher ist diese Methode kein Allheilmittel.

Wie wird gewährleistet, dass jeder dieselben Kompetenzen am Ende des Schuljahres hat? Wie halten die Kinder den Überblick, was zu lernen ist?

Die Aufgabe, die ich mir als Lehrer gegeben habe: Unterschiedliche Übungen auf unterschiedlichem Niveau. Wir hatten einen Raster mit Kompetenzen, die etwa so geheißen haben: "Umfangreiche Dokumente gestalten". Da steht zum Beispiel drinnen, "Ich kann einen Index einfügen" oder "Ich weiß, was ein Index ist". Eine Spalte wird von Schülern abgehakt, eine von den Lehrern. Wenn der Schüler das angekreuzt hat, gehe ich hin und sage: "Super" und hole ihn mir und sage: "Jetzt zeige, was du kannst". Da kann ich sagen, das und das fehlt noch. Manchmal sagt der Schüler von sich aus: "Oh – ich übe noch ein wenig." Der Vorteil an diesem System: Schüler lernen sich so selber einschätzen.

Sie haben mindestens 20 Schüler in der Klasse: Wie behalten Sie da als Pädagoge den Überblick? Wir definieren gemeinsam einen Outcome und ich muss mich fragen: Wie komme ich da hin? Weg von einer Input-Orientierung hin zu einer Output-Orientierung. Für mich war dieses Modell einzigartig. Wir haben die Schüler befragt, welchen Unterricht sie haben wollen. 92 Prozent waren für das System des "flipped classroom".

Mitarbeit: D. Davidovits

Der 33-jährige Stefan Schmid ist studierter Sozialarbeiter und Informatiklehrer. Nach seiner Arbeit bei der Schuldnerberatung unterrichtete er an der HAK Simmering in Wien. Dort hat er das Konzept des "flipped classroom" umgesetzt – das umgekehrte Klassenzimmer: Das Erklären findet außerhalb des Unterrichts statt, das Üben in der Schule. Schmid ist Mitbegründer der Initiative "flipped classroom Austria". Für seine Arbeit bekam er Auszeichnungen wie den Samsung learning award 2015. Seit 2016 ist er Leiter der virtuellen Pädagogischen Hochschule.

Online Campus

Die virtuelle Pädagogische Hochschule ist ein Bundeszentrum, das für alle Lehrkräfte zuständig ist. Heißt: Jeder Pädagoge kann an Online-Kursen teilnehmen. Angeboten werden nicht nur digitale Themen, wie die Verwendung von Handys im Unterricht, sondern auch Titel wie "Deutsch als Fremdsprache".

Kooperation

Die virtuelle PH ist auch Entwicklungsbegleitung für verschiedene Pädagogischen Hochschulen, wie z. B. der PH Wien, damit diese rein virtuelle Fortbildung anbieten können. Ca. 30.000 Pädagogen bilden sich in dieser Lernumgebung fort – das ist jeder Vierte. In Europa einzigartig.

Internet: www.virtuelle-ph.at